Dr. Marie Jahoda
Auch Marie Jahoda-Lazersfeld, durch weitere Heirat Marie Albu, Pseudonym: M. Mautner
Sozialpsychologin
Marie Jahoda war das dritte von vier Kindern von Carl Jahoda, einem Kaufmann, und seiner Frau Betty, geb. Propst.
Als Gymnasiastin schloss sie sich 1924 der „Vereinigung sozialistischer Mittelschüler“ an, deren Obfrau sie ein Jahr später wurde (bis 1926). 1925 Austritt aus der israelitischen Kultusgemeinde. Nach ihrer Matura 1926 absolvierte sie die Lehrerausbildung am Pädagogischen Institut, zugleich studierte sie Psychologie an der Universität Wien. 1932 promovierte sie mit der Dissertation „Anamnesen im Versorgungshaus. (Ein Beitrag zur Lebenspsychologie)“.
1927 heiratete Marie Jahoda Paul Lazarsfeld, den sie bei den sozialistischen Mittelschülern kennen gelernt hatte. Sie behielt jedoch ihren Mädchennamen bei. Am 17. Juni 1930 kam ihre Tochter Lotte Franziska zur Welt. Ihre Ehe mit Paul Lazarsfeld wurde 1934 geschieden.
Gemeinsam mit Lazarsfeld und Hans Zeisel erstellte sie die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“. Diese 1933 publizierte Studie über die Folgen lang andauernder Arbeitslosigkeit erregte mit neuartigen sozialpsychologischen Untersuchungsmethoden Aufsehen nicht nur in der Wissenschaft.
Marie Jahoda war politisch aktiv in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Referentin bei sozialdemokratischen Frauenvereinen. Von 1930 bis 1934 war sie Bibliothekarin in der Arbeiterbücherei im Karl-Marx-Hof, in dem sie in diesen Jahren auch lebte.
1933 gehörte sie dem Vorstand der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ an. Bereits seit Beginn der 1920er Jahre hatte Marie Jahoda Gedichte geschrieben. Einige ihrer Jugendgedichte übersetzte sie Jahrzehnte später, als 80jährige, ins Englische. Neben ihrer Mitarbeit in der „Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“ und dem „Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum“ in Wien war sie Aushilfslehrerin an verschiedenen Volk- und Hauptschulen. Ende 1934 wurde sie als exponierte Sozialdemokratin nicht mehr als Lehrerin beschäftigt. Sie war – als enge Freundin von Joseph Buttinger – im Führungsbereich der RS, der Untergrundorganisation der illegalisierten sozialdemokratischen Partei tätig. So stellte sie auch den Revolutionären Sozialisten (RS) das Büro der „Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“ als Deckadresse für illegale Post zur Verfügung. Aufgrund einer Denunziation erfolgte im Büro der Forschungsstelle am 27. November 1936 eine Hausdurchsuchung. Marie Jahoda wurde, gemeinsam mit einer Reihe von anderen, verhaftet. Zunächst in Anhalte- dann Untersuchungshaft, wurde sie am 2. Juli 1937 zu drei Monaten schweren Kerkers verurteilt. Nach internationalen Protesten und Interventionen wurde sie am 15. Juli 1937 entlassen. Unter der Bedingung, Österreich zu verlassen, die österreichische Staatsbürgerschaft wurde ihr aberkannt.
Marie Jahoda emigrierte im September 1937 nach England. Hier konnte sie ihre Arbeit als Sozialwissenschafterin wieder aufnehmen. In einer Nachfolgestudie von Marienthal untersuchte sie ein Selbsthilfeprojekt für arbeitslose Bergleute im südwalisischen Eastern Valley 1937/38. Sie war beratendes Mitglied des London Büro der AVOES und arbeitete während des Zweiten Weltkrieges u.a. für den Propagandasender „Radio Rotes Wien“.
1945 ging Marie Jahoda in die USA, wo sie zunächst in Detroit, dann in New York lebte. Von 1945 bis 1948 arbeitete sie als Research Associate bei Max Horkheimer am Department of Scientific Research des „American Jewish Committee“, anschließend beim Bureau of Applied Social Research der Columbia University in New York, das von Lazarsfeld gegründet worden war. 1949 wurde sie schließlich Professor of Psychology an der New York University.
1958 kehrte Marie Jahoda nach London zurück und heiratete den britischen Labour-Politiker Austen Harry Albu. Sie übte mehrere Lehrtätigkeiten für Psychologie am Brunel College of Advanced Technology in Uxbridge, Hillington bei London aus. Mit der Umwandlung in eine Universität 1962 wurde sie Professorin für Psychologie und Sozialwissenschaften. 1965 wurde sie als Professorin für Sozialpsychologie an die Universität von Sussex berufen. Emeritierung 1973.
Marie Jahoda hat zahlreiche sozialpsychologische Schriften veröffentlicht. 1997 erschienen im Verlag Johannes Lang die von Rainer Maria Rilke und Jahoda (französisch, deutsch, englisch) übersetzten 24 Sonette von Louise Labé (Lyon 1955).
1993 erhielt sie den Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften und das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. 1998 die Ehrendoktorwürde der Johannes Kepler Universität in Linz und der Universität Wien. 2003 Benennung einer zweisprachigen Wiener Volksschule in „Marie Jahoda-Schule“. 2008 Benennung der Marie-Jahoda-Gasse in Wien-Hernals.
Siehe auch: http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/jahoda_marie.htm
Werk / Veröffentlichungen:
Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkung langandauernder Arbeitslosigkeit. Mit Paul Lazarsfeld, Hans Zeisel. Verlag Hirzel, Leipzig 1933. Neuauflage: Surkamp, Franfurt 1975 >> Bibliothek Sammlung Exenberger
Anti-semitism and emotional disorder. A psyhcoanalytic interpretation. Mit Nathan W. Ackermann. Verlag Haprer, New York 1950
Studies in the Scope and Method of „The Authoritarian Personality“. Mit Nathan W. Ackermann, Theodor W. Adorno, Bruno Bettelheim, Else Frenkel-Brunswik, u.a.. In Deutsch: Der Autoritäre Charakter. Band 2: Studien über Autorität und Vorurteil. Materialis, Frankfurt 1954
Wieviel Arbeit braucht der Mensch? Arbeit und Arbeitslosigkeit im 20 Jahrhundert. (Reprint der 3. Aufl.) Verlag Beltz, Weinheim 1995
„Ich habe die Welt nicht verändert“. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung. Hg.: Steffani Engler, Brigitte Hasenjürgen. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1997 >> Bibliothek Sammlung Exenberger
Literatur / Dokumentation:
Marie Jahoda. Sozialpsychologie der Politik und Kultur. Ausgewählte Schriften hg. und eingeleitet von Christian Fleck. Bibliothek sozialwissenschaftlicher Emigranten. Verlag Nausner & Nausner Graz-Wien 1994 >> Bibliothek Sammlung Exenberger
Marie Jahoda. 1907-2001. Pionierin der Sozialforschung. Katalog zur Ausstellung des Archivs für die Geschichte der Soziologie an der Universitätsbibliothek Graz vom 3. Juni bis 2. August 2002. Mit zahlreichen Erstveröffentlichungen von und über Marie Jahoda. Hg.: Reinhard Müller. Verlag Universitätsbibliothek Graz, Graz 2000 >> Bibliothek Sammlung Exenberger
Bei Fragen kontaktieren Sie bitte Alexander Emanuely (emanuely[a]theodorkramer.at)