Mit Trauer und Bestürzung haben wir erfahren, dass dieses Wochenende Nahid Bagheri-Goldschmied verstorben ist.
Mit ihrer Literatur, ihrem Bedürfnis aufzuklären, zu erzählen, bot Nahid Bagheri-Goldschmied ein Fenster zur Welt, in die eigene Welt, in die eigenste und in jene hinter dem Horizont. Dank ihrem Roman Chawar kann man einen Einblick in ihre Jugend und das Leben im Iran vor und während der Revolution gewinnen, und nachvollziehen, was es heißt, auf "Urlaub" zu fahren und im Exil zu bleiben. 1980 kam sie nach Wien. Mit 23 Jahren. Sie hatte Schlimmes erlebt während der Revolution und wollte sich, bevor sie zurückkehrt und weiter kämpft, bei Verwandten in Wien erholen. Doch der Urlaub endete und die Rückkehr in den Iran wurde für sie, die linke Intellektuelle, unmöglich. Inzwischen waren all ihre FreundInnen und MitstreiterInnen in Teheran von den neuen Machthabern der islamistischen Partei, die eine neue Diktatur aufbaute, verhaftet worden.
Was es heißt, über viele Jahrzehnte im Exil zu leben, zu lieben, zu leiden und irgendwie einen Alltag zu finden, drückte Nahid Bagheri-Goldschmied, die Lyrikerin, in ihren Gedichten aus. Einen ihrer Gedichtbände, Auf welcher Erdenseite stehst du?, durfte die Theodor Kramer Gesellschaft veröffentlichen. Ihre Gedichte sind kämpferische Gedichte, politische Gedichte, Liebesgedichte.
Nahid Bagheri-Goldschmied wurde nicht müde eine literarische Brücke zwischen Iran und Österreich zu schlagen, gründete hierfür den Iranischen Kunst- und Kulturverein im Exil Marzpeyma (Grenzgänger) und übersetzte jene kritischen, poetischen Stimmen Persiens, die ihr am nächsten standen, ins Deutsche. Für die im Verlag der TKG in der Reihe Nadelstiche erschienene Anthologie Die Liebe kennt alle Sprachen der Welt übersetzte sie Gedichte von teilweise im Iran verbotenen, verfolgten, ermordeten AutorInnen, von Forough Farrokhzad, Pouran Farrokhzad, Fereydoun Farrokhzad, Siavash Kasrai, Khosro Bagherpour, Nahid Kabiri, Mahnaz Azarnia, Mahnaz Mohammadi, Mana Aghai, Narges Elikai, Nasrin Behjati, Pouran Kaveh, Reza Maghsadi, Ruhangiz Karachi, Shahla Aghapour, Bahareh Rezaee, Puria Soori, Farangis Haghighi.
Als sie 2017 gemeinsam mit Renate Welsh-Rabady den 17. Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil erhielt, hieß es in der Preisbegründung:
Sie tritt in ihrer Lyrik unablässig ein für die missachteten Rechte der Frauen, gegen die Grausamkeit eines religiös verbrämten tyrannischen Regimes, das Folter, Hinrichtung, Steinigung wie kaum in einem anderen Land der Welt nach wie vor praktiziert. Viele ihrer Gedichte zeugen aber auch von einem klaren Bewusstsein der österreichischen Verhältnisse, setzen sich mit verdecktem und offenem Antisemitismus, mit Geschichtsverleugnung auseinander.
Nahid Bagheri-Goldschmied hatte noch viel vor.
Ihr Tod kam plötzlich. Sie fehlt!
In ihrer Literatur werden ihre Anliegen lebendig bleiben.
A.Emanuely, 26. August 2024