Grußwort von Deniz Yücel, Sprecher des PEN Berlin, anlässlich der Verleihung des Theodor Kramer Preises an Meral Şimşek. Es ist maßgeblich PEN Berlin zu verdanken, dass Meral Şimşek zwei Tage vor Prozessbeginn aus der Türkei ausreisen konnte.
Ich danke der Theodor-Kramer-Gesellschaft für die Gelegenheit, bei dieser Preisverleihung im Namen des PEN Berlin zu Ihnen sprechen zu dürfen und beglückwünsche Meral Şimşek zum diesjährigen Theodor-Kramer-Preis.
In welch schroffem Gegensatz steht eine feierliche Preisverleihung wie diese zu der Art von Preisen, die Meral Şimşek und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei gewohnt sind: Es sind Preise, mit denen der türkische Staat nicht erst seit Erdoğan kritische und originelle Geister, oft seine besten Köpfe, auszuzeichnen pflegt: Schriftsteller und Journalisten, Künstler und Intellektuelle. Preise, bei deren Vergabe man keineswegs geizig vorgeht und junge Talente ebenso berücksichtigt wie über die Landesgrenzen hinweg bekannte Namen. Diese Preise heißen: Verfolgung, Gefängnis und Exil.
Nazim Hikmet, Yaşar Kemal, Sevgi Soysal, Aziz Nesin... jahrzehntelang gab es kaum einen türkischen Schriftsteller oder eine türkische Schriftstellerin von Rang, der ODER DEM ein solches Schicksal erspart geblieben wäre. Orhan Pamuk hoffte einst, an ihm könne dieser Kelch vorbeiziehen, weil sich die Dinge in der Türkei zum Besseren wandeln würden. Eine Haft blieb ihm tatsächlich – zum Glück – bislang erspart, nicht jedoch Strafverfolgung und Anfeindungen.
In der Türkei der Gegenwart, wo die autoritär-nationalistische Tradition des Ancien Régimes und der politische Islam ein verhängnisvolles Amalgam gebildet haben, gilt wieder: Besonders gefährdet sind Autorinnen und Autoren, die sich mit dem Verdrängten der türkischen Gesellschaft beschäftigen: Mit dem Völkermord an den Armeniern etwa. Oder der mannigfaltigen Diskriminierung und Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung. Aslı Erdoğan musste nach mehrmonatiger Haft ins Exil nach Deutschland GEHEN, Pınar Selek lebt seit Jahren in Frankreich. Ahmet Altan kam 2021 nach viereinhalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Silivri auf freien Fuß; Ilhami Çomak sitzt seit unvorstellbaren 28 Jahren in Haft, davon 22 Jahre ohne rechtskräftiges Urteil.
Und wenn man sich, so wie Meral Şimşek, bei alldem nicht darauf beschränkt, die Vergehen und Verbrechen des türkischen Staates zu thematisieren, sondern sich zugleich mit den Folgen des bewaffneten Kampfes beschäftigt, wenn man also der Frage nachgeht, was die Anwendung von militärischer Gewalt mit jenen macht, die doch gegen Unterdrückung aufbegehren wollen, macht man sich damit EBENFALLS nicht nur Freunde. Und wenn man all das nicht in theoretische Abhandlungen gießt, sondern Geschichten von Menschen als Geschichten erzählt, mit handelnden und fühlenden Charakteren, dann heißt das Ergebnis Literatur.
Für ihre Literatur, für ihre Romane, Erzählungen und Gedichte wurde Meral Şimşek in der Türkei verfolgt und musste nun auch den Weg ins Exil gehen. Für ihre Literatur wird sie an diesem Abend mit dem Theodor-Kramer-Preis geehrt.
Doch noch wichtiger als eine feierliche Ehrung und Preisgeld ist die Entscheidung der Theodor-Kramer-Gesellschaft, eine Übersetzung von Meral Şimşeks Werken in die Wege zu leiten. Denn nichts IST für verfolgte Schriftstellerinnen und Schriftsteller so wichtig wie die Möglichkeit, sich an ihr Publikum wenden zu können – auch über Sprachbarrieren hinweg. Dafür danke ich der Theodor-Kramer-Gesellschaft besonders, gratuliere Meral Şimşek noch einmal und wünsche einen schönen Abend.
Deniz Yücel, Sprecher PEN Berlin