Wir trauern um Margit Bartfeld-Feller!
Habe ich wirklich erlebt, was ich glaube erlebt zu haben? Sibirien, Wahnsinn und Todesangst, Verfolgung, Verachtung und Hohn. Wie habe ich nur standhalten können? Jahre tödlichen Hungers und der Kälte. Diese Frage stellen mir ungezählte Menschen, Freunde, die mich nach 50 Jahren wiedererkennen, Menschen, die meine Kurzgeschichten gelesen haben, aber - auch ich selbst. Ja, wie konnte ich nur durchhalten? Ein junges jüdisches Mädchen aus Czernowitz, das, plötzlich aus dem Wohlstand herausgerissen, sich mit seiner Familie in solch extremen Situationen befand? Anscheinend war es die Gabe, sich niemals dem Selbstmitleid hinzugeben, und ein immer wieder und wieder mich belebender Sinn für Humor.
(Margit Bartfeld-Feller: Dennoch Mensch geblieben - Erinnerungen an die sibirische Verbannung. In: Cécile Cordon, Helmut Kusdat (Hg.): An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte, Literatur, Verfolgung, Exil. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2002, 199)
Am 26. November 2019 verstarb im Alter von 96 Jahren die Schriftstellerin und Theodor-Kramer-Preisträgerin Margit Bartfeld-Feller in Tel Aviv.
Margit Bartfeld-Feller wurde 1923 in Czernowitz geboren. 1941 wurde die Familie von den Sowjets nach Sibirien deportiert, wo der Vater nach wenigen Monaten den Hungertod starb. Nach 1945 verbesserte sich die Lebenssituation etwas, 1948 folgte die Heirat mit dem Architekten Kurt Feller. Margit Bartfeld-Feller arbeitete dreißig Jahre als Musiklehrerin in Tomsk. 1990 emigrierte sie nach Israel, Tel Aviv wurde die neue Heimatstadt der Autorin.
Sie fing an zu schreiben und schrieb auf Deutsch. Schreibend beschwörte sie die versunkene kulturelle Welt ihrer Heimatstadt Czernowitz herauf und legt in ihren autobiografischen Texten ebenso Zeugnis über das Leben der Verbannten in Sibirien ab.
2013 erhielt sie zusammen mit Manfred Wieninger den Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil. In der Preisbegründung heißt es:
Die fortdauernde Bedeutung von Margit Bartfeld-Fellers Schriften geht wohl auf zwei verschiedene Quellen zurück:
Erstens die Zeugenschaft der nunmehr neunzigjährigen Autorin für zwei untergegangene Welten: das jüdisch-bürgerliche Czernowitz der Zwischenkriegszeit, mit der österreichisch gefärbten deutschen Umgangssprache, und das sowjetisch beherrschte Sibirien, einschließlich der letzten zwölf Stalin-Jahre. Aus dem tiefen Schacht ihres Gedächtnisses gräbt sie immer neue Episoden überraschender Menschlichkeit und Splitter des Glücks hervor, ohne das Schlimme, das ihr widerfuhr, zu beschönigen.
Zweitens verleiht die Abwesenheit von Bitterkeit und Hass ihrem Schreiben eine besondere Note. "Dennoch Mensch geblieben" – der Titel ihres ersten Buches bezeugt ihre Persönlichkeit, begabt für Freundschaft und Hilfsbereitschaft.
Alle ihre Bücher wurden von Erhard Roy Wiehn herausgegeben und sind im Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz erschienen:
- Dennoch Mensch geblieben (1996)
- Nicht ins Nichts gespannt (1998)
- Wie aus ganz andern Welten (2000)
- Am östlichen Fenster (2002)
- Unverloren“ (2005)
- Erinnerungswunde (2007)
- Aschenblumen (Photodokumentation, 2008)
- Mama Cilly (2009)
- Nachhall (2011)
- Selma Meerbaum-Eisinger (Mithg., 2013)
- Von dort bis heute" (2015)
- Mein Bruder Othmar (Otti) Bartfeld (2017)
Margit Bartfeld-Fellers Artikel in ZWISCHENWELT:
Freund Zopzebé - ein Märchen im Frost. In: ZW 17.Jg. Nr.3/2000, 47f
Im Zeichen des "Maiglöckchens". In: ZW 19.Jg. 3/2002, 48
Ein Akkord in tiefer Terz (S.Meerbaum-Eisinger). In: ZW 20.Jg. Nr. 4/2003, 57f
Der Weg zum Edelweiß. In: ZW 26.Jg. 3-4/2009, 28f
Der Rettichmann. In: ZW 27.Jg. Nr. 3/2010, 49
Ilana (I. Shmueli). In: ZW 28.Jg. 4/2011, 18
Komm Nadelstich. Erinnerung an Siglinde (Abschied von Siglinde Bolbecher). In: ZW 29.Jg. Nr.3/2012, 13f