Im Gedenken an Lotte Brainin
Lotte Brainin. Was soll man zu diesem Leben sagen. Man kann ja nicht einmal damit anfangen. Dieses Leben ist so groß für mich. Ich kann mir nicht anmaßen auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Aber man muss es wissen und Lotte hat dafür gesorgt, dass man es weiß. Etwas weiß, das ich nicht aussprechen kann. Sie hat mir Dinge aus dem KZ erzählt, die ich nicht über die Lippen bringen würde. Und aufschreiben geht auch nicht. Es gibt nur die Freude, dass Lotte wieder angekommen ist im Frieden, mit Mann und Töchtern. Ein Weggehen - buchstäblich - war ihr möglich. Doch etwas von ihr ist immer zurückgeblieben während sie zu Hause war. Es ist gar nicht anders möglich. Eine schlichte Müdigkeit nach einer Wanderung schaut anders aus. Das was zurückgeblieben ist, ist nicht ein freundliches Ufer und die Fahrt von dort aus ist keine gute. Aber es folgte eine Heimkunft. Und Lotte ist seither Heimgekommen und zu Hause. Wie stark ist ihr Bleiben geworden. War da etwas in ihr, das doch nicht bleiben, nicht da sein konnte. Etwas, das man sich bei dieser schönen, tatkräftigen Frau nicht vorstellen konnte, aber das muss etwas gewesen sein, das sie woanders im Schrecken festgehaleten hat. Von dem sie sich immer losreißen musste, ich weiss es nicht. Ich sehe nur die energische Frau vor mir, die die politischen Debatten in ihrem Haushalt hart aber fair dirigiert hat. Sie hat das Wort erteilt. Alles muss jetzt im Sprechen ausgetragen werden. Gut so. Das Töten darf nie mehr passieren. Ich stelle mir auch vor, welcher Stärke es - zumindest am Anfang dieser Heimkunft - bedurft hat, um zum Bleiben nach dem Grauen überhaupt fähig zu sein. Gerüstet, wie man so sagt, nur ohne Rüstung.
Elfriede Jelinek - aus dem Grußwort anlässlich Lotte Brainins 100. Geburtstag (www.brainin.at/video.html)
Über Lotte Brainin und Lotte Brainins Die vier Heldinnen von der 'Union' -> www.elfriedejelinek.com