Exil(e) und Widerstand.
Der Widerstand aus dem Exil gegen den Faschismus in Europa von den 1920er bis in die 1970er Jahre und die Funktionen seiner Narrative von den Nachkriegsjahren bis in die gegenwärtigen Neuformierungen Europas
Aus unterschiedlichen disziplinären Ansätzen soll die Frage nach der Beschaffenheit nationaler und transnationaler Dynamiken provoziert werden, welche die Bilder nationaler Vergangenheiten im Licht der gegenwärtigen Entwicklungen zu- und miteinander in Beziehung setzen. Im Blick auf die Erfahrungen des Widerstands geht es dabei im Kern auch um die Frage nach der Legitimität, nach dem Selbstverständnis und der ethischen Stabilität einer europäischen Gemeinschaft, deren Gründung einem damals kaum beendeten Gewalt- und Vernichtungsgeschehen folgte.
Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung e.V. in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung
Frankfurt (Oder), 20.-22. Juni 2019
Forschungen zum Widerstand gegen den Faschismus beschreiben einen der wesentlichen thematischen Schwerpunkte der ersten WissenschaftlerInnengenerationen in der Exilforschung. Sie spielten auch in den Aktivitäten der Gesellschaft für Exilforschung von Beginn an eine zentrale Rolle. Dabei war die Aufarbeitung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus (wie dessen partielle Verdrängung oder dezidierte Aussparung) bis 1989 im öffentlichen Raum eng mit Geschichte und politischem Selbstverständnis der beiden deutschen Staaten und dem damit einhergehenden Ost-West-Konflikt der Systeme verbunden. Seit den Nachkriegsjahren entstanden vor diesem Hintergrund wissenschaftliche wie öffentliche Institutionen zur Erforschung und Dokumentation der unterschiedlichen Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und des Kampfes gegen den Faschismus in Europa. Sie wurden von verdienstvollen individuellen Forschungsleistungen ebenso begleitet wie von kontroversen öffentlichen Debatten und beförderten zugleich ein sich mühsam verbreiterndes europäisches Forschungsfeld bis in die Gegenwart. Noch 1997 war daher ein Jahrbuch der Gesellschaft für Exilforschung dem Thema Exil und Widerstand gewidmet.
Insbesondere die Geschichts- und Sozialwissenschaften richteten in den letzten beiden Jahrzehnten die wissenschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auch auf die unterschiedlichen Formen alltäglichen Widerstands, loteten individuelle Handlungsmöglichkeiten in gesellschaftlich-politischen Situationen aus, in denen demokratische Ordnungen gefährdet sind. Die Literatur- und Kunstwissenschaften sahen ihren Beitrag nicht mehr ausschließlich in Untersuchungen zur künstlerischen Darstellung des Widerstands, sondern diskutierten darüber hinaus die Frage, ob der spezifische Beitrag ihrer Disziplinen nicht gerade auch darin liegen könnte, die individuelle und intellektuelle Genesis des Widerstandsaktes, die in der historischen Forschung häufig ausgeblendet bleibt, nachvollziehbarer zu machen (vgl. Kaiser 2002).
Gleichzeitig weitete sich der historische Blick einer interdisziplinär ausgerichteten Forschung noch einmal vergleichend auf den gesamteuropäischen Raum, auf den „Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945“, wie das 2011 herausgegebene Handbuch von Gerd R. Ueberschär bereits konzeptionell sowie im Hinweis auf noch ausstehende Forschungen dokumentiert. Der historische Widerstand gegen den Faschismus findet dabei gegenwärtig im Kontext einer gesellschaftlichen Neubetrachtung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und einer damit einhergehenden Umwälzung und Neuordnung alter Wertesysteme, einem Überschreiben von Wissensbeständen und Erinnerungsbildern einzelner Nationalgeschichten in Europa ein erneuertes Interesse, das angesichts der gegenwärtigen politischen Neuformierungen Europas einer kritischen wissenschaftlichen Begleitung bedarf.
Die geplante Konferenz Exil(e) und Widerstand schließt daher – ohne zunächst eine feste Definition von Widerstand in den verschiedenen Ländern vorzugeben – an bisherige Forschungen zum europäischen Widerstand gegen den Faschismus an und will sich der Frage nach dem
I. Verhältnis von Exil(en) und den unterschiedlichen Möglichkeiten und Formen des Widerstands gegen den Faschismus in Europa von den 1920ern bis in die 1970er Jahre aus interdisziplinärer wie europäisch vergleichender Perspektive und unter Einbeziehung neuer Quellen widmen. Gefragt werden soll auch, welche gesellschaftlichen wie sozialen Bedingungen spezifische Widerstandsformen im Exil überhaupt ermöglichten bzw. auch verhindert haben.
Gesucht werden darüber hinaus Beiträge, die
II. zeigen können, in welchen Bezügen der historische Widerstand gegen den Faschismus innerhalb eines europäischen Erinnerungsdiskurses steht und wofür er beansprucht wird. Das Verhältnis zwischen (Nachkriegs-)Narrativen des Widerstands und dem Wieder-Aufbau der modernen europäischen Staaten bzw. der gegenwärtigen Neuformierungen Europas steht hier als solches zur Diskussion.
Eine derart verstandene Dopplung der Perspektive soll im Rahmen der Konferenz nicht nur die Bedeutung historischer Forschungen zum Widerstand im aktuellen Diskurs um die künftigen Entwicklungen Europas erweisen. Sie soll vielmehr kritisch die Narrative des Widerstands im Kontext der Entwicklungen Europas bis in die Gegenwart evaluieren. Aus unterschiedlichen disziplinären Ansätzen soll die Frage nach der Beschaffenheit nationaler und transnationaler Dynamiken provoziert werden, welche die Bilder nationaler Vergangenheiten im Licht der gegenwärtigen Entwicklungen zu- und miteinander in Beziehung setzen. Im Blick auf die Erfahrungen des Widerstands geht es dabei im Kern auch um die Frage nach der Legitimität, nach dem Selbstverständnis und der ethischen Stabilität einer europäischen Gemeinschaft, deren Gründung einem damals kaum beendeten Gewalt- und Vernichtungsgeschehen folgte.
Willkommen sind Beiträge aus allen Disziplinen.
Wir sind bemüht, die Kosten für Fahrt und Unterkunft zu übernehmen.
Eingereicht werden sollten Abstracts (max. 1.000 Zeichen + bio-bibliografische Angaben) für Beiträge von ca. 30 Minuten an:
Frau Dr. Kirsten Möller: moeller@europa-uni.de
Bewerbungsschluss: 4.3.2019
Konzeption und Organisation: Prof. Dr. Kerstin Schoor (Frankfurt/Oder), Dr. Konstantin Kaiser (Wien)