40 Jahre Zwischenwelt
Danksagung und Ansprache Konstantin Kaiser
Herzlichen Dank allen, die 40 Jahre Zwischenwelt feierten, die organisierten, lasen, musizierten, die Zwischenwelt, Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands, die Treue halten, sie schenken und verbreiten, für sie schreiben, sich der Verführung durch Verdrängung widersetzen und Fragen neu stellen.
Herzlichen Dank allen SpenderInnen, die bei der Feier für SAVE UKRAINE spendeten: 292,20 Euro konnten gesammelt werden, Konstantin Kaiser und Sonja Pleßl haben auf 500 Euro aufgestockt. SAVE UKRAINE ist die ukrainische Organisation, die hilft, die von Russland verschleppten Kinder der Ukraine wiederzufinden und nach Hause zu holen: https://www.saveukraineua.org.
Den ukrainischen Behörden sind die Namen und Daten von 19.546 Kindern bekannt, die die russische Armee aus der Ukraine nach Russland oder Belarus verschleppte. Die Dunkelziffer der geraubten Kinder wird von der Ukraine auf mindestens 300.000 geschätzt. SAVE UKRAINE ist es bisher (Stand November) gelungen, 213 Kinder aus Russland oder aus den von Russland besetzten Gebieten zu retten. SAVE Ukraine stützt sich auf ein teilweise geheimes Netzwerk von Freiwilligen, zu dem auch russische Oppositionelle zählen. Russland raubt den Kindern ihre Heimat, die Liebe ihrer Angehörigen, ihre Dokumente, ihre Namen, ihre Geschichte, deportiert männliche Jugendliche in Militärlager in Russland oder Tschetschenien, um sie gegen ihre Heimat in den Krieg zu schicken. Sie wiederzufinden, wird für die ukrainischen Mütter und Großmütter, die es unter dem Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens versuchen, von Tag zu Tag schwieriger. Russland weiß, dass jedes heimgekehrte Kind ein potentieller Zeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Russlands Kriegsverbrechen ist. Indes bezeichnet der russische Diktator Putin die Deportation von Kindern als "Rettung", die Kinder als "heilig".
Konstantin Kaiser, Mitbegründer und Herausgeber von Zwischenwelt, hielt beim 40 Jahre Zwischenwelt-Fest im KiP-Kunst im Prückel am 28.11.2023 eine Ansprache für unser aller Gegenwart, die ohne Israel und ohne die Ukraine nicht denkbar ist:
Konstantin Kaiser
Sie sind zu klug die Juden...
Ansprache beim Fest zu 40 Jahre Zwischenwelt im Theater im Prückl, 28.11.2023
Zunächst herzlichen Dank den Mitgliedern der TKG und den AbonnentInnen der Zeitschrift „Zwischenwelt“, die uns durch viele Jahre begleitet haben und weiter begleiten werden und mit ihren Beiträgen unterstützen. Danke der Redaktion, Danke meinem Mitherausgeber Vladimir Vertlib, der heute nicht hier sein kann. Am wichtigsten jedoch war immer die Aufmerksamkeit und ein Mitdenken, die sie alle der Zeitschrift schenkten und schenken. Als eine Initiative, die niemand „angeschafft“ hat, die aus amtlich nicht bewilligter Einsicht „von unten“ entstanden ist, ist diese Unterstützung überlebensnotwendig.
Ich danke allen, die heute für uns lesen und Jelena Popržan, die für uns musizieren wird, ganz besonders aber Astrid Nischkauer und Lydia Potensky, die das heutige Ereignis vorbereitet und konzipiert haben. Die von ihnen zusammengestellte Anthologie von Texten weiblicher Autorinnen von „Zwischenwelt“ mit dem Titel „Offene Augen“ wird nächstes Jahr als Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft erscheinen. Offene Augen bedeutet, dass ein literarischer Text auch eine Form des Sehens, mehr noch als des Sich-Ausdrückens sein kann. Für Förderung der heutigen Veranstaltung ist der Stadt Wien zu danken.
Ich begrüße auch die anwesenden Kinder im Saal und weise auf die Spendenbox für Save Ukraine, die ukrainische Organisation zur Wiederauffindung der von Russland verschleppten ukrainischen Kinder hin.
Sie sind zu klug die Juden,
Sagt man, und jagt sie aus.
Es sind die Gejagten,
Den Jägern voraus.
Dieses kluge Gedicht stammt von Stella Rotenberg, der ersten Preisträgerin des Theodor Kramer Preises. Sie war eine von 135.000 Jüdinnen und Juden, die unter deutscher Besatzung aus Österreich verjagt worden sind. 65.000 weitere blieben dem nationalsozialistischen Massenmord preisgegeben. Die österreichische Literatur der Nachkriegsjahre hat in geradezu grotesker Weise das Verschwinden von an die 200.000 Jüdinnen und Juden aus Wien verschwiegen. Heute interessiert man sich an Gedenktagen für Verfolgung und Flucht, aber dafür, dass die Verfolgten im Exil weiterlebten, weiterschrieben, sangen, ordinierten, politisierten … besteht bis heute wenig Interesse.
Ab und zu erreichen uns in Österreich Nachrichten aus dem Exil, so vor zwei Jahren Elisabeth Frischaufs Langgedicht „Die meine Hand ergreifen“, in dem sie ihre ganze Lebensgeschichte im New Yorker Exil, in das sie hineingeboren wurde, aufrollt. Die Dichterin stellt sich hierin nicht als Gliederpuppe des Leidens unter bedauerlichen Umständen und Fakten, angesichts derer schuldhaft die Köpfe zu senken wären, sondern als denkendes, Lust und Weh fühlendes, weltanschauendes Wesen dar.
Und eben erst erreichte uns als Nachricht aus dem mexikanischen Exil Óscar Roemers Erinnerungsbuch „Ich wählte das Schiff“.
Man möchte denken, diese raren Nachrichten aus dem fernen Exil sollten in Österreich großes Interesse hervorrufen. Sie werden aber meist mit gepflegter Langeweile aufgenommen. Ich glaube, „Zwischenwelt“ ist ein unverzichtbares Gegenmittel gegen alle blasierte Distanziertheit, ein zuverlässiger Hafen für Nachrichten aus dem Exil. Und dieser Hafen muss weiter zu Verfügung stehen – und auch als ein Ort des kritischen Denkens und Beobachtens...
Von den bisher 32 Theodor Kramer-PreisträgerInenn war die Mehrzahl jüdischer Herkunft. Sie lebten und leben in verschiedensten Ländern, relativ viele von ihnen in Israel, und zwar:
- der große Aphoristiker und Gelehrte Elazar Benyoez aus Wiener Neustadt;
- die Lyrikerin Ilana Shmueli aus dem altösterrichischen Czernowitz;
- der Literaturwissenschaftler und Dichter Tuvia Rübner aus Pressburg, Sohn einer Mutter aus Wien;
- das Genie des Erinnerns aus der Bukowina, Margit Bartfeld-Feller.
Man ersieht daraus, dass das alte Österreich in Israel weiterlebte. In gewisser Weise ist es Europa, das in Israel weiterlebt und mit Israel verteidigt werden muss. An diese große Verbundenheit wollte ich erinnern.
Israel ist das Land, in dem ich die meisten Freundinnen und Freunde außerhalb Österreichs habe oder hatte.
Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hat aufgerissen, was lange wie hinter einem Vorhang verdeckt lag. Die genozidalen Verbrechen der Sowjetunion in der Ukraine, die Ausrottung der ukrainischen Intelligenz in den 1920er und 1930er Jahren, der Holodomor sind wieder ins Blickfeld geraten. Unweigerlich ist die ganze Geschichte des realen Sozialismus neu zu beurteilen. Die Solidarität mit der um ihr Überleben kämpfenden Ukraine legt uns die Verpflichtung auf, den Unterschied von Recht und Unrecht klar zu erkennen.
Wir leben nun in einer anderen Zeit, als der, von der wir glaubten, dass sie die unsere sei. In und mit „Zwischenwelt“ sind wir mit vielen neuen Fragen konfrontiert, denen wir nicht mit ängstlicher Skepsis und Irrationalismus, sondern mit Vernunft gerecht werden sollen.
Slava Ukrajini! Am Israel chai!
Lang lebe die Ukraine, lang lebe Israel.