Josef Luitpold Stern
Ps.: Josef(ph) Luitpold. Exil: 1934 ČSR, 1938 Frankr., 1940 USA.
Vater: Moritz St. (+ 1901 Wien), Steinmetz, Eisenbahner, Meerschaumdrechsler, Administrator der AZ; Sozialdemokrat. Mutter: Ernestine, geb. Fischer (* Použdrany), Weberin. - Piaristengymnasium in Wien-Josefstadt. Funktionär der sozialistischen Jugend ("Verband Jugendlicher Arbeiter") und der "Freien Vereinigung sozialistischer Studenten". 1902 erste Gedichtpublikation im "Brünner Volksfreund". 1904-09 Studium Jus und Literatur in Wien und Heidelberg. Dr.phil. 1905 Beginn der Vortagstätigkeit am "Ottakringer Volksheim". 1908-09 Sekretär von Ferdinand Avenarius, des konservativen Hrsg. von "Der Kunstwart" in Dresden. Setzte sich für den Arbeiterdichter Alfons Petzold ein. 1910 Veröffentlichung der Studie "Das Wiener Volksbildungswesen" (Jena: Eugen Diederichs) und 1911 eines ersten Gedichtbandes "Soziale Balladen". Seit 1911 ständiger Mitarbeiter im Kulturteil der AZ und von "Der Kampf" (theoretisches Organ der SDAP); 1911 Mitbegründer der Wiener "Freien Volksbühne". Verbindung zu → B. Viertel. Ab 1912 Leiter der 'sozialistischen Bildungszentrale' in Wien. 1913-14 Redakteur von "Der Strom" (Zeitschrift der Wiener "Freien Volksbühne"). 1914-15 Hrsg. der pazifistischen satirischen Zeitschrift "Glühlichter" (April 1915 verboten). April 1915-18 Teilnehmer am 1. Weltkrieg; Einsatz in Tirol, Albanien, am Isonzo. 1919-21 Leiter des "Reichsbildungsamtes der Volkswehr". 1919 zs. mit → D.J. Bach Gründer der "Sozialdemokratischen Kunststelle"; Redakteur der Zeitschriften "Bildungsarbeit" und "Kunstnachrichten". 1919 Heirat mit Maria Kaspar (1892 - 1958); Geburt des Sohnes Hans Martin (Ingenieur, Exil: 1938 USA). 1922-24 Leitung der Zentralstelle für Bildungsarbeit der sudetendeutschen Arbeiterpartei in Aussig (ČSR). 1925 Rückkehr nach Wien. Ab 1926 Rektor der "Arbeiter-Hochschule"; Gedichtband "Der entwurzelte Baum" (Berlin: Büchergilde Gutenberg), von dem Maler Otto Rudolf Schatz in Holz geschnitten. 1926-30 Redakteur des "Arbeiter-Kalenders". 1927 "Die neue Stadt". Leidenschaftlicher und mitreißender Redner, den seine Vortragsreisen durch den ganzen deutschen Sprachraum führten. 1933 Mitbegründer und erster Obmann der VsS.
J.L.St. flüchtete im Februar 1934 nach Brünn. Zunächst bei seinem Freund Hugo Iltis, dem Begründer der Volkshochschule in Brünn, untergebracht. Gedichte in der Anthologie "Österr. Lyrik der Gegenwart" (Wien 1934). 1935 begann er in Brünn mit der Herausgabe seines Werkes in Form von "Hundert Heften". 1936 Neuausgabe von J.L.St.s "Handbuch für Arbeiterbibliothekare" (Wien 1912) in Bern. Verbot "sämtlicher Schriften" in der "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums", Stand vom 31. Dezember 1938. November 1938 nach Paris. April 1939 Scheidung von seiner in Wien gebliebenen Frau, um diese dadurch vor Verfolgung zu schützen. (Sie war schon 1934 in Wien geblieben, aber in Verbindung mit J.L.St.; wegen illegaler politischer Tätigkeit zeitweise inhaftiert). 1939/40 interniert im Stade de Colombes, in Montargis und Meslay du Maine. Nach der Kapitulation Frankr.s Zuflucht im südfranz. Montauban. Flucht in die USA über die Pyrenäen nach Spanien und weiter nach Lissabon. Ankunft NY 12.10. 1940 (lt. Spalek/Strelka 2.9. 1940) auf der "Nea Hellas" mit einem von Joseph Buttinger vermittelten Besuchervisum (erst 1943 in ein Immigrationsvisum umgewandelt). In NY Arbeit als Tellerwäscher. Arbeit an dem Stück "Ein armer Mann wie Shakespeare". Unterstützung durch "Hebrew Immigrant Aid Society" (HIAS). Sprachtraining 1941 im "Cooperative College Workshop at Haverford", Pennsylvania (vom American Friends Service Committee, einer Quäkerorganisation betrieben). Von Dezember 1941 bis 1948 Assistant Librarian in dem von den Quäkern unterhaltenen College Settlement of Philadelphia, Pendle Hill (Vorort von Philadelphia, Slumgegend; Wohnadresse von J.L.St.: 433 Christian Street, Philadelphia 47). Mai 1941 erster Vortrag in engl. Sprache. Ab 1942 Vortragsreisen nach Chicago, Washington, Montreal, Frankford (Pennsylvania). Publikation von 12 weiteren der "Hundert Hefte". Beiträge in engl. und deutscher Sprache in den Zeitungen und Zeitschriften: AAT, Motive, NY Republic, NYer Volkszeitung, Säner Zeitung, Austrian Labor News, Austrian Labor Information. Am 11.3. 1944 sprach sich J.L.St. bei einem von der Austrian Action (→ F. Czernin), der Austro American Association (mit AAT und KP-Gruppe verbunden) und Austrian Labor Committee (von Friedrich Adler geleitet) veranstalteten Meeting in NY (aus Anlaß des sechsten Jahrestages der Besetzung Ö.s) für "die unabhängige demokratische Republik Ö. aus". (Außer ihm sprachen u.a. F. Czernin und → F. Bruckner.) 1945/46 betrieb J.L.St. vergeblich die Publikation einer Anthologie "Wir heißen euch hoffen! Eine Auslese deutscher Freiheitsdichtung", mit der er "zum Bau der reineren, der edleren Welt von morgen" aufrufen wollte.
Abreise aus den USA am 1.5. 1948; Rückkehr nach Ö. Aufbau eines Arbeiterbildungsheimes in Schloß Weinberg bei Kefermarkt (OÖ). 1954-59 nach Schließung des Heimes in Weinberg Tätigkeit im Bildungsreferat des Österr. Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Vorstandsmitglied des österr. PEN-Zentrums. Seit 1959 Verschlimmerung des Augenleidens. - Gedichte J.L.St.s wurden vertont von Kurt Manschinger, H.A. Schimmerling, Erwin Weiss. J.L.St. erhielt etliche Auszeichnungen für seine volksbildnerische Tätigkeit, keine jedoch für sein literarisches Werk. Nach ihm ist ein vom ÖGB gestifteter Förderungspreis benannt. - NL: WStLB (Teile).
Werke
Kleine Musik um Karl Marx. Programm zu den Wiener Marx-Feiern 1933. Wien: Piperger 1933. 15S. ÖNB 911.203-A
Die hundert Hefte. Das Gedicht eines Lebens. Brünn, NY, Wien: Selbstverlag 1935-53. (31 Hefte erschienen in Brünn, 12 in Philadelphia. Umfang jeweils 32S. Insgesamt erschienen 70 Hefte mit Titeln wie "Das Zauberspiel", "Knabenbuch", "Die goldene Schwelle", "Herzdoktor"). DÖW 4691
Herz im Eisen. Brünn: Selbstverlag 1937. 291S. ÖNB 735.059-B (Das Sternbild. 2. - Erstausgabe mit dem Untertitel: Aus dem Tagebuch ein Landsturmmannes. Ill. von Alfred Kubin. Stuttgart: J.H.W. Dietz 1917. 157S. ÖNB 518.448-B).
Das Buch Prometheus. Brünn: Selbstverlag 1937. 292S. DBF (Das Sternbild. 3. - Zuerst: Mit Holzschnitten von O.R. Schatz. Berlin; Büchergilde Gutenberg 1927. 125S.)
Der Schrei der Opfer. Brünn: Selbstverlag 1937. 296 S. DBF (Das Sternbild. 4).
Gesang vom kleinen Ich. Brünn: Selbstverlag 1938. 289S. DÖW 15.360 (Das Sternbild. 1).
Die europäische Tragödie. Dramatische Trilogie. NY: Selbstverlag 1946. (Enthält: "Michael Servetus. Der Mann zwischen den Kirchen", entstanden 1939, U: Volkstheater Wien 1952; "Ein armer Mann wie Shakespeare", entstanden 1941; "Georg Forster. Der Mann zwischen den Nationen", entstanden 1938, U: 1959 Volkstheater Wien, R: Leon Epp, Bühnenbild: Gustav Manker).
Sons like These/Solche Söhne braucht die Erde. (Engl./Dt.) Übers. Louise Salm. NY: The Josef Luitpold Booklets 1946. 64S. DBF (Das bereits in Brünn als eines der 100 Hefte erschienene "Knabenbuch").
Das Josef Luitpold-Buch. Lyrik und Prosa aus vier Jahrzehnten. Mit einem Vorwort von Alfred Zohner. Ill. von O.R. Schatz. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1948. 247S. UB I 562.041
Das Sternbild. Die sieben Bände der gesammelten Dichtungen. Kefermarkt: Selbstverlag o.J. (1953). Ca. 2100S. DÖW 15.833 (Einmalige siebenbändige Ausgabe zu je 150 Exemplaren. - Gesammelte Ausgabe der "Hundert Hefte").
Bruder Einsam. Hg. von A. Zohner. Graz, Wien: Stiasny 1960. 127S. (Das österr. Wort. 80). UB I 703.5307/80
Genius des standhaften Herzens. (Balladen.) Ill. von O.R. Schatz. Wien: Büchergilde Gutenberg 1961. 255S. UB I 846.781
Das Sternbild. Gedicht eines Lebens. (Gesammelte Werke). 5 Bde. Wien: Europaverlag 1964-66. 168, 157, 455, 450, 496S. DÖW 10.564.
Sekundärliteratur
Handbuch der deutschsprachigen Emigration I, 731; II, 756. Spalek u.a. 4, 1170-1173. Handbuch der Nachlässe, 251. Österreicher im Exil - USA, passim.
Ernst Glaser: → Th. Kramer und J.L.St. Versuch der literarisch-politischen Interpretation einer Kontroverse aus dem Jahre 1931. In: K. Kaiser (Hg.): Th. Kramer 1897 - 1958. Dichter im Exil. Wien 1983, 33-38.
Ders.: J.L.St. (1886 - 1966). In: MdZ 4 (1987) 1, 3f.
Peter Eppel: J.L.St. in Amerika (1940-1948). In: DÖW: Jahrbuch 1987, 54-66.
Ernst K. Herlitzka: J.L.St. (1886 - 1966). Versuch einer Würdigung. In: Botz/Hautmann/Konrad/Weidenholzer (Hg.): Bewegung und Klasse. Studien zur österr. Arbeitergeschichte. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1978, 119-157.
Ders.: J.L.St. Biographische Daten. (Typoskript).
Hugo Pepper: "Bürger erst kommender Welten". Der Dichter Josef Luitpold. In: Bücherschau. Zeitschrift für Betriebs- und Gewerkschaftsbibliotheken (Wien), Nr.13/1965.
Ders.: J.L.St. Versuch einer Bibliographie. In: MdZ 9 (1992) 3, 21-23.
D. Müller: Drehscheibe Brünn/Brno Přestupní Stanice. 1933-1939. Brünn 1997, 96-101.
Aus: Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser: Lexikon der Österreichischen Exilliteratur. Wien: Deuticke Verlag 1999, 615-618