Ernst Fischer
Ps.: Peter Wieden, F. Ernst, P.(ierre) Vidal, W. Peter. Exil: 1934 ČSR, 1934 SU.
Vater: Josef F. (1855 ─ 1919), K.u.K.-Oberst, Lehrer für Mathematik und Darstellende Geometrie an Militärschulen. Mutter: Agnes, geb. Planner von Wildinghof (* 1877). Brüder: Otto F. (30.12. 1901 St. Pölten ─ 26.4. 1980 Graz), wissenschaftlicher Publizist und Politiker, Exil: 1934 ČSR, SU; → W. Fischer. Schwester: Agnes F. (1905 ─ 1929), Sekretärin. - E.F. wächst in Graz auf. 1914 wird er wegen "pornographischer" Gedichte vom Realgymnasium relegiert. Mittelschulabschluß 1916/17 als Externist mit "Kriegsmatura". 1917/18 Kriegsdienst, Einsatz an der italienischen Front; Kadettaspirant; 1918 zum Soldatenrat gewählt.
Beginnt 1919 ein Studium an der Universität Graz: Philosophie, Germanistik, Geschichte; daneben Hilfsarbeiter. Kontakt zu → R. Weys. 1920 erscheint E.F.s erster Gedichtband "Vogel Sehnsucht". Brieffreundschaft mit → St. Zweig. 1924 wird am Burgtheater (Wien) durch St. Zweigs Vermittlung E.F.s Stück "Das Schwert des Attila" uraufgeführt. Die Freundschaft mit St. Zweig geht nach den Ereignissen des 15. Juli 1927 und durch die politische Radikalisierung E.F.s in die Brüche. Seit 1920 ist E.F. SDAP-Mitglied und Redakteur der SDAP-Tageszeitung "Arbeiterwille" (Graz). Ab 1925 künstlerischer Leiter des Vereins "Arbeiterbühne" in Graz. 1925 Aufführung von E.F.s Stück "Der ewige Rebell". 1924-26 entsteht das fragmentarische Romanmanuskript "So kann man nicht leben", an dem E.F. 1930 in Wien weiterarbeitet. Ab 1927 in Wien; Feuilletonredakteur der AZ. 1928 U von E.F.s Stück "Lenin". 1931 verfaßt er zs. mit R. Ehrenzweig (→ R. Lucas) das Stück "Die neue Büchse der Pandora". E.F. redigierte die Rubrik "Zwischenrufe links" in der AZ, in der u.a. → J. Soyfer, → F. Brainin zu Wort kamen. In der Zeit von 1931-34 gilt E.F. als Führer der sogenannten "Linksopposition" ("Sozialistische Jungfront") in der SDAP mit großem Einfluß auf die Parteijugend.
E.F. war an den Februarkämpfen 1934 nicht persönlich beteiligt, entgeht aber nur durch Untertauchen (u.a. bei → E. Canetti) einer Verhaftung. Anfang März 1934 mit falschem tschechischen Paß und mit → R. von Mayenburg Flucht nach Prag, wo er im April zur KPÖ übertritt; in Reichenberg (Liberec) erscheint seine Propagandaschrift "Der Weg der österr. Linksopposition zum Kommunismus". Im Juli 1934 mit dem "Schutzbundzug" nach Moskau. Ins ZK der KPÖ aufgenommen. Ab Herbst 1935 in Moskau Vertreter der KPÖ bei der Komintern. Mit Dimitroff ab dem VII. Weltkongreß der Komintern (1935) ein Wortführer der "antifaschistischen Volksfront" und ab 1937 auch der nationalen Eigenständigkeit Ö.s. 1938-43 Redakteur des deutschsprachigen Komintern-Organs "Die Kommunistische Internationale". In den Moskauer Jahren setzt sich E.F. eingehend mit den faschistischen Rassetheorien auseinander; seine Studien bleiben größtenteils unveröffentlicht. Ab 1941 Kommentator der deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau; Mitarbeit am "Sender Ö." Von Herbst 1941 bis Jänner 1942 nach Ufa evakuiert. 1943-45 an politischer Arbeit unter österr. Kriegsgefangenen beteiligt.
April 1945 Rückkehr nach Wien. April-Dezember Staatssekretär für Volksaufklärung, Unterricht, Erziehung und Kulturangelegenheiten. Bis 1959 Abgeordneter zum Nationalrat der KPÖ. 1945-47 Chefredakteur und Mitherausgeber der Tageszeitung "Neues Ö.". Ab 1948 zs. mit → B. Frei und → V. Matejka Redakteur "Österr. Tagebuch" (später: Tagebuch; ab 1969: Wiener Tagebuch). 1956 wurde E.F. im Zs.hang mit der Auseinandersetzung um den Aufstand in Ungarn aus dem PEN-Club, dessen Vorstand er angehörte, ausgeschlossen. Im Mai 1963 nimmt E.F. an der Kafka-Konferenz von Liblice teil, in deren Folge die ästhetischen Doktrine des "sozialistischen Realismus" ihr Ansehen unter der marxistischen Intelligenz immer mehr verlieren.
Oktober 1969 im Streit um die Intervention der Warschauer Pakt-Staaten in der ČSSR aus der KPÖ ausgeschlossen. Gibt mit Franz Marek die Monatszeitschrift "Wiener Tagebuch" heraus und arbeitet an seiner Autobiographie, deren zweiter Band erst posthum erscheint. - Eine Werkausgabe in Einzelbänden wurde von Karl-Markus Gauß unter Mitarbeit von Ludwig Hartinger begonnen (Frankfurt: Sendler- bzw. Vervuert-Verlag 1984-91; insgesamt 8 Bde.), konnte aber nicht abgeschlossen werden. - NL: ÖLA; Institut für Zeitgeschichte, Wien (Teile). - Die politischen Schriften sind unter Werke nur in Auswahl angeführt.
Werke
Die Krise der Jugend. (Essay.) Wien, Leipzig: Hess & Co. 1931. 130S. ÖNB 587.215-B
(Ps. P. Wieden) Der Arbeitermord von Kemerowo. (Tarntitel: Gottfried Keller: Der Narr auf Manegg. ─ Anti-trotzkistische Propagandaschrift.) Leipzig, Hartenstein 1932. (Erscheinungsort und -jahr fingiert). 24S. ÖNB 758.977-A (Unter E.F.s Namen: Der Arbeitermord von Kemerowo. Die verbrecherische Tätigkeit der Trotzkisten. Zürich: Verlag Freie Schweiz 1937. 18S. DBF)
Vernichtet den Trotzkismus. Strasbourg: Éditions Prométhée 1937. 35S. DBF
Die faschistische Rassentheorie. Moskau: Verlag für fremdsprachige Literatur 1941. 74S. DBF
(Anonym) Der Miesmacher. Politische Spottgedichte aus Ö. Moskau: Verlag für fremdsprachige Literatur 1943. 41S. DBF (Nachdruck in Auswahl: London: Verlag Jugend voran 1944. 23S. Und: Hg. von der Acción Republicana de México. México D.F. 1945).
Franz Grillparzer. Ein großer österr. Dichter. (Studie.) London: Verlag Jugend voran 1944. 8S. (Im vollen Umfang: Wien: Globus 1946. 44S. ÖNB 544.404-B.Per.1265)
Der österr. Volks-Charakter. (Essay.) London/Zürich: Free Austrian Books/Frei-österr. Bewegung in der Schweiz 1944. 43/42S. DBF (Zürich) (Ausgabe für Ö.: Die Entstehung des österr. Volkscharakters. Wien: Neues Ö. 1945. 45S. ÖNB 743.034-B.2)
Nationale Probleme des Jahres 1848 in Ö. (Studie.) London: Free Austrian Books 1945. 24S. ÖNB 244.149-B
Deutschland, ein Wintermärchen. Heinrich Heine. Glasgow: Free German League of Culture in Great Britain 1945. 16S. DBF
Ö. 1848. Probleme der demokratischen Revolution in Ö. (Studie.) Wien: Stern 1946. 205S. ÖNB 744.512-B
Die nationale Maske der Hitlerimperialisten. Berlin: SWA-Verlag 1946. 39S. (Zuerst Moskau 1944).
Freiheit und Persönlichkeit. Drei Vorlesungen über die Probleme der materialistischen Philosophie. Wien: Neues Ö. 1947. 97S. ÖNB 743.034-B.5/6
Herz und Fahne. (Gedichte.) Wien: Erasmus 1948. 60S. ÖNB 772.239-B
Die Brücken von Breisau. (Komödie.) Wien 1952. (Bühnenmanuskript. ─ U: Wien 1952 Neues Theater in der Scala, unter dem Titel: Höchste Zeit...!).
Dichtung und Deutung. Beiträge zur Literaturbetrachtung. Wien: Globus 1953. 414S.
Erinnerungen und Reflexionen. (Autobiographie.) Reinbek: Rowohlt 1969. 477S. ÖNB 1,059.551-B (Neuausgabe: Mit einem Nachwort von K.-M. Gauß. Frankfurt: Sendler 1987).
Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945-1955. Wien, Zürich, München: Europa 1973. ÖNB 1,097.291-B (Neuausgabe: Mit einem Nachwort von K.-M. Gauß. Frankfurt: Vervuert 1988).
Sekundärliteratur
Handbuch der deutschsprachigen Emigration I, 175f. Deutsches Dichterlexikon, 204f. Killy: Literaturlexikon 3, 388. Handbuch der Nachlässe, 70.
H.A. Niederle (Hg.): E.F. Ein marxistischer Aristoteles? St. Pölten: Sondernummer das pult 1980. 133S.
P. Roessler: Studien zur Auseinandersetzung mit Faschismus und Krieg im österr. Drama ... Köln 1987, 304-317. (Über "Die Brücken von Breisau").
Jürgen Egyptien: E.F.s Grazer Jahre oder Die Erotisierung von Literatur, Politik und Leben. In: Zwischenwelt 3, 155-174.
Bernhard Fetz (Hg.): E.F. Texte und Materialien. Wien: Sonderzahl 2000. 251 S. (Österr. Literaturarchiv - Forschung 4).
Aus: Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser: Lexikon der Österreichischen Exilliteratur. Wien: Deuticke Verlag 1999, 192-194
Bei Fragen kontaktieren Sie bitte Alexander Emanuely (emanuely[a]theodorkramer.at)