Niewiederland
Gedichte
Lyrikreihe Nadelstiche, Band 2
Das lyrische „Ich“ Trude Krakauers spricht selten zu einem konkreten „Du“. Das „Ich“ ist ihr gespalten in Heimat, Jugend und Zukunft: wovon sie spricht, wurde in eine ewige Fremdheit gerettet. „Ich bin ein Mensch, der vor sich selber flieht“, heißt es in dem Gedicht „Meine Widersprüche“, das die äußere Zerstörung durch den Faschismus an der inneren Gespaltenheit nachzeichnet. Es ist ein trotzig rebellisches Herz, das die Wege vom Ursprung her, der leuchten mag, bis auf das Verdorren hin überprüft. Die „Luftwurzeln“ ihres Gedichts „zittern und schwanken und tasten ins Leere“. – Siglinde Bolbecher.
Mit einem Nachwort von Siglinde Bolbecher.
Besprechung auf fixpoetry (2013) /// https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/trude-krakauer/theodor-kramer-gesellschaft/niewiederland:
»Salzbitter wehen die Tränen im Wind«.
17.04.2013, Hamburg
Von
Jan Kuhlbrodt
Im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft Wien erscheint unter dem Titel Nadelstiche eine Reihe mit Büchern von Emigrantinnen. Auftakt war ein Buch von Siglinde Bolbecher, die selbst keine Emigrantin war, deren Arbeit aber das Erscheinen dieser Reihe erst ermöglichte. Der zweite Band heißt Niewiederland und enthält Gedichte von Trude Krakauer. Abgesehen davon, dass ich von der Formenstrenge dieser Texte fasziniert und ergriffen bin, treiben sie meine Gedanken aber auch zu allgemeinen Erwägungen, die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts betreffend.
Blicken wir auf das vergangene Jahrhundert zurück, sehen wir eine Abfolge von Tragödien, gesellschaftlichen und persönlichen Katastrophen, deren momentlange Wucht dazu führte, dass jener Blick auf den Gang dieser Zeit nur Stückwerk fasst, die Zeit sich nur kaleidoskopisch zusammensetzt. Die Unvollständigkeit des Geschauten kann der Blick nicht überblenden. Privates Glück und Freude in der Jugend, die jeder irgendwie erlebt hat, erscheinen angesichts der Katastrophen, wie von einer anderen Welt, Bestandteile einer utopischen Gegenerzählung. Irgendwo, ich glaube im Text „Freud und Marx“, schreibt der französische Philosoph Althusser, dass die Kindheit ein Schlachtfeld sei, an deren Ende ein versehrter Mensch, dem alle Freiheit ausgetrieben ist, die Erwachsenenwelt betritt.
Natürlich rekonstruiere ich, weil Althussers Texte auch mit dem vergangenen Jahrhundert aus dem Bewusstsein verschwanden, aus dem Gedächtnis. Ich hatte eine Reihe von Kopien seiner Bücher, die schon am Anfang der neunziger Jahre nicht mehr lieferbar waren, aber nach verschiedenen Umzügen sind auch die Kopien nicht mehr auffindbar. Ich musste mich daran gewöhnen, dass auch meine Erzählung des vergangenen Jahrhunderts unzureichend ist. Umso dankbarer bin ich der Theodor Kramer Gesellschaft für diese Arbeit, die Texte der Emigrantinnen bewahrt zu haben, die im Gegensatz zu Althussers noch in keiner Bibliothek geborgen sind.
Geschichte ist kein Mantel, der sich über Trümmer legt. Geschichte sind die Trümmer selbst und das, was sichtbar wird, in den Löchern dieses Mantels, der letztlich nichts ist, als die Ideologie eines Erzählers, der behauptet, sich zu wissen und zu wissen, was geschah, und der die offensichtlichen Lücken mit Sinn zuschüttet. Und so reißt das Feld bei jeder Schwankung wieder auf, wie die notdürftig geflickte Straße vor unserm Haus nach jedem Winter neue Löcher aufweist, neben den wieder aufgerissenen alten.
So oder so ähnlich beginnt meine Besprechung eines Buches von Trude Krakauer.
Die 1922 in Wien geborene Autorin verließ im Jahre 1938 ihre Heimatstadt, um den Rest ihres Lebens in Bogotá zu verbringen. Was sie mitnahm, war die deutsche Sprache ( ihr und anderen Emigranten, wir werden demnächst an anderer Stelle noch auf Hans Sahl zu sprechen kommen, und wir sprachen bereits über Zensl Mühsam, die den Nachlass ihres Mannes Erich nach Russland rettete, wo er im Verließ des KGB-Archivs überdauerte). Den Emigranten und fremden Archiven haben wir es zu verdanken, dass Teile Deutsch die LTI, die Sprache des Dritten Reiches (Klemperer), überlebten.
In Krakauers Gedicht Narzissen heißt es:
In meiner Kindheit, liebe Spielgefährten,
Ihr tragt noch heut weiß-seidne Festgewänder,
Licht-güldne Krönlein, schmale grüne Bänder,
Wie in der fernen Heimat Zaubergärten.
Es handelt sich hier um den ersten Vierzeiler eines Sonettes, das mit dem Dreizeiler endet:
Nun seid ihr da. Es tut so gut, zu wissen
Daß irgendwo sich weite Wiesen dehnen,
Ganz übersät von duftenden Narzissen.
Dieses „Irgendwo“ liegt für die Autorin nicht im Ungefähren, nicht auf der anderen Seite des Ozeans, den es nur zu überwinden gälte. Im zweiten Vierzeiler wird der Verlust durch die Vertreibung deutlich:Wie fandet ihr den Weg durch Feindesländer/zu mir? ...
Krakauer ist nie mehr nach Wien zurückgekehrt, und dass ihre Lyrik und mit ihr diese präzis- unprätentiöse Sprache es ist, haben wir der Herausgeberin der Reihe Nadelstiche, der im vergangenem Jahr verstorbenen Siglinde Bolbecher zu verdanken, die Trude Krakauer in Bogotá besuchte, und die Texte auf die andere Seite des Atlantiks brachte. Fast hätte ich geschrieben: nach Hause, aber wenn es die Heimat wäre, wären die Emigranten doch alle zurückgekehrt, aber nur wenige kamen und zögerlich. Trude Krakauer kam nicht. Ihr Vertrauen in Europa und in die Österreichische Heimat war zerstört, und die Anstalten, die der alte Kontinent machte, dienten nicht dazu, den Riss zu verdecken.
1971 schrieb sie das Gedicht Emigrant:
Netzmaschen entronnen,
Jappend im Sand,
Noch spür ich im Wind
Salzigkühl-tiefgrün-schützende Flut
Gerettet?
Die Brüder schleppt man zum Mord.
Gerettet?
Allein. Jappend im Sand.
Salzbitter wehen die Tränen im Wind.
Fluch-Flucht-Furcht furchen die Dunkelflut.
Am Strand sitzt der Tod.
Dieser Text legt nahe, dass Krakauer Emigrantin geblieben ist, dass sie der Herkunft entrissen, sich keine neue Heimat bauen konnte. Ein Indiz dafür ist auch, dass sie ihre Gedichte bis zu ihrem Tod 1995 auf Deutsch schrieb. In ihnen aber hat sich eine Sprachqualität erhalten, die ich in den Herkunftsländern zerstört finde. Eine Qualität, die mit uns vielleicht überkommen scheinenden, metrischen Modellen einen souveränen Umgang pflegt. Ergebnis sind formvollendete Jamben, Trochäen, Alexandriner usw., die würden so heute hier verwendet werden, dass meine These einen Anachronismus darstellte, und komisch wirkte. Bei Krakauer entfalten sie eine klare, vielleicht klärende Schönheit. In Grammatik heißt es:
Hätte ich damals und würdest du heute –
Kämest du wieder, so könnte ich leben –
Unmöglichkeitsfallen!
Am Ende ihres kurzen, aber umso eindringlicheren Nachworts schreibt Bolbecher:
Es ist ein trotzig rebellisches Herz, das die Wege vom Ursprung her, der leuchten mag, bis auf das Verdorren hin überprüft.
Wir sollten Siglinde Bolbecher und der Theodor Kramer Gesellschaft, dankbar sein, dass sie uns die Texte Trude Krakauers erhalten und zugänglich gemacht haben.