Aufzeichnung: Das Lyrische Quartett am 08.05.2019
Die Sendung kann online auf der Seite der Stiftung Lyrik Kabinett angehört werden.
Kristina Maidt-Zinke, Florian Kessler und Hubert Spiegel haben wieder ebenso erhellend wie kritisch drei lyrische Neuerscheinungen des Frühjahrs gesichtet – Daniela Strigl hat ein älteres Werk einem Haltbarkeitstest unterzogen - und dieses ältere Werk ist jenes Theodor Kramers.
Der Gast der Runde - Daniela Strigl - hatte einen Auswahlband mit Gedichten von Theodor Kramer mitgebracht (Ausgewählte Gedichte, Theodor Kramer Gesellschaft, 2018); seine Besprechung stellte in diesem Quartett den üblichen »Haltbarkeitstest« dar. Der hauptsächlich vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg tätige Kramer (1897-1958) war, trotz prominenter Fürsprecher wie Thomas Mann, außerhalb seines Geburtslandes Österreich, das er als Jude gezwungen war zu verlassen, und der DDR wenig oder kaum bekannt (auch die Diskutanten gaben zu, mit seinem Werk bislang nur am Rande vertraut gewesen zu sein). Hubert Spiegel bemerkte eingangs, dass er in der Vergangenheit vor allem durch Kramers wohl meistrezipiertes Gedicht „Requiem für einen Faschisten“ (eine von Ambiguitäten durchsetzte Ehrung an Josef Weinheber) irritiert gewesen sei. Nun aber, nach eingehender Lektüre müsse er feststellen, dass es sich hier um »hoch-hochinteressante Lyrik« handle, die wie kaum eine andere Zeugnis über die Zeit des Nationalsozialismus ablege und darüber hinaus ein breites Themenspektrum (Arbeitslosigkeit, Prostitution, Natur) abbilde. Kessler bekannte sich verblüfft und beeindruckt von dem »Handwerk« Kramers, das ihm so bei anderer Exil- und Nachkriegsliteratur noch nicht begegnet sei. Kramer lege in seinen Reimen und seiner Vershandhabung ein »Ethos der Genauigkeit«, eine »Liedhaftigkeit« an den Tag, die fasziniere. Kessler stellte lediglich die Frage in den Raum, ob sich (innerhalb von Kramers Werk und durch dessen Beitrag zum modernen Lyrikpanorama) in der literaturgeschichtlichen Entwicklung viel verändere. »Da entwickelt sich nichts nach vorne«, entgegnete Strigl, »das ist wie ein guter Blues, der muss eintönig sein.« Spiegel hielt dagegen: Innerhalb des Bandes oder von Kramers Œuvre gebe es durchaus markante Schwerpunktveränderungen. Der Band im Allgemeinen und vor allem das besprochene Gedicht »Die Stauborgel« sorgten einhellig für Begeisterung der Runde.