Theodor Kramer Gesellschaft

Menü

Pest

Die Tragödie eines Wiener Arztes

Roman

Stefan Pollatschek wusste natürlich genau, welche Pest er meinte, nämlich den Antisemitismus. Dieser war im Ausgang des 19. Jahrhunderts zwar überall gegenwärtig, damit er aber zu seiner späteren wahnhaften Bösartigkeit gedieh, bedurfte es noch einige Jahrzehnte geduldiger Hetze. Liest man Pollatscheks Roman über das Vorspiel des später dann Eingetretenen, fühlt man sich vielfach nicht in die Jahrhundertwende, sondern in die Gegenwart versetzt.

 

Mit einem Vorwort von Ernst Waldinger und einem Nachwort von Alexander Emanuely.

 

Antisemitismus und Covid-19. Ein Begriffspaar, das seit fast zwei Jahren Hand in Hand geht. Doch es ist nicht das erste, und wohl auch nicht das letzte Mal, dass sich die Judenfeindlichkeit in Pandemiezeiten derart stark bemerkbar macht. Wie Stefan Pollatschek in seinem 1948 auf Deutsch posthum erschienenen und jetzt von der Theodor Kramer Gesellschaft neu aufgelegten Roman zeigt, gab es diese Verknüpfung auch vor mehr als 120 Jahren. Damals nahmen der Wiener Bürgermeister Karl Lueger und seine Gefolgsleute die Wiener Pestfälle für ihre "Judenhetze" in Anspruch. […] Stefan Pollatschek verfasste seinen Roman "Pest" im Jahr 1938. In seiner literarischen Bearbeitung zeigt er die Gefährlichkeit der Pest des Geistes mit der des Körpers: Werden die Symptome zu Beginn verkannt, gar ignoriert, lassen sich die Folgen nur mehr schwer wieder eindämmen.
Maximilian Spera in Wiener Zeitung vom 17.11.2021

Die Nachricht von einem Pesttoten in Wien verängstigte die Bevölkerung, man befürchtete, die Seuche würde sich über die ganze Stadt ausbreiten, dazu trug die Presse einen ganz wesentlichen Teil bei. Nicht nur die Angst beherrschte die Situation, vielmehr wucherte eine zweite Art der Pest – der Antisemitismus. Jüdischen Ärzten wurde unterstellt, sie hätten die Pest eingeschleppt, hätten „mit Bazillen gespielt.“ [...]

Der Tatsachenroman ist großartig recherchiert, die Beteiligten werden detailreich beschrieben und treten mit ihren wirklichen Namen auf. Der aufopfernden Tätigkeit von Dr. Müller, der noch knapp vor seinem Tod seine Symptome aufzeichnete, ist es zu verdanken, dass die Pest 1898 nur drei Opfer forderte. [...]

Pollatschek verfasste seinen eigenen Nachruf: „Es ist eine Schande, vor Hitlers endgültiger Niederlage zu sterben, aber mir ist dieses Malheur nun leider passiert.“

Manfred Chobot in Podium 199/200

 

Während die Pest bei Camus als Metapher wahlweise für das Böse, den Krieg und den Nationalsozialismus gelesen werden kann, gegen die Solidarität not tut, ist Pollatschek konkreter: Die Pest, das ist auch der Antisemitismus, der ihn 1938 aus Wien vertreiben sollte.

Klaus Taschwer in Der Standard, 29.12.2020

"Der österreichische Schriftsteller hat in dieser "Tragödie eines Wiener Arztes" ein lang zurückliegendes Unglück und dessen Instrumentalisierung durch Judenhasser in Presse und Politik aufgegriffen, die mit den antisemitischen Ausschreitungen nach der Besetzung Österreichs durch Nazideutschland im März 1938, nur wenige Wochen nach der Fertigstellung des Romans, traurige Aktualität gewann. Gegenwärtig mutet die Handlung auch heute an, angesichts der Verschwörungsfanatiker, die als selbsternannte Querdenker ihr Unwesen treiben.

Erich Hackl in Junge Welt, 03.12.2020

...der Antisemitismus, höchst infektiös: Als 1898 im AKH bei der Forschung mehrere Mitarbeiter an Pest erkrankten, unter ihnen der Arzt Hermann Franz Müller (Büste im Campus Altes AKH, Hof 9), hieß es bei Bürgermeister Lueger und seinen Leuten sofort: An der Pest seien die Juden schuld. „Meinst du denn wirklich, dass dieser Geist in unserer Zeit siegen kann?“ sagt ein Mediziner im Buch. Mit der Zeit hat das nichts zutun. Aber mit der Liebe. Ein Kollege hat die Antwort, die für vieles gilt: Am Tag, an dem man nicht mehr lieben kann, beginnt der Tod. Er richtet es sich häuslich im Inneren des Menschen ein und beginnt zu fressen. Er frisst zuerst Herz und Hirn.

Peter Pisa in Kurier, 22.11.2020