Theodor Kramer Gesellschaft

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Karl Müller

Heimat und Heimatverlust. Zur Erfahrung des Exils seit 1933

 

I. „Modellsituation der Gegenwart“ (Hilde Spiel 1975) – Aspektesammlung

 

Gerne und oft kam nach 1945 ein schöngeistiges, jenseits konkreter geschichtlicher Zusammenhänge angesiedeltes, Gewalt und Verbrechen nicht explizit thematisierendes Räsonnement über „Heimat“ und „Heimatverlust“ in Mode. Die folgenden Passagen aus dem Essay „Nachdenken über Heimat“ des „Daheimgebliebenen“ und nach 1945 zum angesehenen Tübinger Rhetorik-Professor aufgestiegenen geschätzten deutschen Nachkriegsintellektuellen Walter Jens (1923–2013) greifen zwar einige für unser Thema relevante Aspekte auf und behandeln sie rhetorisch beeindruckend, intellektuell versiert und anspielungsreich. Dennoch widerspiegeln sie eine Art von allgemeinem, überzeitlichem, möglicherweise auch von vagen Gewissensbissen durchsetztem Reden jenseits konkreter geschichtlicher Gegebenheiten: Entmündigung, Entrechtung, Vertreibung, „Heimatverlust“:

 

Die Heimat der einzelnen […] will eines Tages Haus werden […] Menschheitshaus, das Raum für alle hat. […] Heimat […] ist allein dort, wo Provinzialismus durch weite Horizonte, Selbstbewußtsein durch Offenheit gegenüber dem Fremden konterkariert wird […]. Es gibt […] nicht nur ein Heimweh, sondern auch ein Hinausweh – Hinausweh, das immer wieder zur Gründung neuer, zweiter, besserer Heimaten führt […] Welche, und wie viele, Heimaten einer auch haben mag […]: Er müßte bedenken, daß es kaum einen Begriff gibt, der verfügbarer zu sein scheint und in Wahrheit, um in der Vielfalt seiner Erscheinungsformen begreifbar zu werden, größerer Gedankenanstrengung bedarf als das Substantiv Heimat. Ein nüchternes und ein poetisches, also ein rätselhaftes Wort.1

 

Tatsächlich scheint „Heimat“ zu jenen besonderen Wörtern der deutschen Sprache zu gehören, die in hohem Maße „verfügbar“ waren und sind – für unterschiedliche politische Interessen und oft genug bedenkliche Zwecke. Aber nicht nur das. Das Wort „Heimat“ ist nicht nur eine psychisch-emotionale bzw. individuelle Kategorie, es hat auch eine konkrete rechtliche Dimension. So ist die spezifische Problematik der Bestimmungen des „Heimatrechts“, wie es im alten Österreich 1849 im Provisorischen Gemeindegesetz eingeführt wurde, zu berücksichtigen. Zuvor galt das „Heimatrecht“, die „Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Gemeinde“, nur „subsidiär“, und zwar als „Zugehörigkeit zu einer Grundherrschaft“.2 Im Heimatrechtsgesetz (Reichsgesetz) von 1863 wurde die Ausstellung von Heimatrollen bzw. Heimatscheinen (Heimatrecht) geregelt und damit das Recht auf Aufenthalt und soziale Unterstützung sowie öffentliche Fürsorge erworben. Für die Gewährung des Heimatscheines spielten rassische, kulturelle oder Volkszugehörigkeit praktisch keine Rolle, was sich aber seit der Handhabung der Bestimmungen des Staatsvertrages von Saint Germain en Laye (10. September 1919), insbesondere im Zusammenhang mit den dort vereinbarten Optionsbestimmungen für ehemals Heimatberechtigte, sukzessive in Richtung auf die rassische und kulturelle Zugehörigkeit zum Deutschtum oder zur deutschen Nation hin verschob. Dazu kommt: Die NSDAP hatte schon 1920 in ihr Parteiprogramm das Gesetz des „deutschen Blutes“ eingeschrieben, so dass „Staatsbürger“ nur jemand sein könne, wer gemäß dieses Blutsgesetzes „Volksgenosse“ sei, was schließlich nach der Annexion Österreichs katastrophale Auswirkungen auf alle hatten, die diesem „Blutsgesetz“ nicht entsprachen: Würde- und Rechtlosigkeit, in diesem Sinne Heimatlosigkeit waren die Folgen.

Ein gegensätzliches, aus „Introspektion“3, unmittelbarer Gewalt-Erfahrung, also Heimatentzugserfahrung herausbrechendes Sprechen, repräsentieren die folgenden Sätze des jüdischen Exilanten und KZ-Überlebenden Jean Améry: „Daß rückschrittliche Bärenhäuterei den Heimatkomplex besetzt hat, verpflichtet uns nicht, ihn zu ignorieren“4, schreibt er in seinem mit „philosophischer Durchdringung“5 gesättigten Essay „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ (erstmals 1966 publiziert). Das „Nazi-Opfer“, genauer das jüdische Opfer6, der „namenlose“7 Flüchtling aus Österreich, der antinazistische Widerstandskämpfer, der solcherart „gelernte Heimatlose“8, wie er sich selbst bezeichnet, bietet uns in seinen Reflexionen nicht nur einen detaillierten Aufriss aller nur denkbaren Aspekte des Themas, sondern gibt uns gewissermaßen ein Infrarot-Suchgerät an die Hand, das es Nicht-Vertriebenen (Nicht-Exilanten) ermöglicht, das im Dunkeln der Exilerfahrung Befindliche zu betrachten. Améry stellt sein Nachdenken und Schreiben über Heimat, Heimatentzug und -losigkeit, über „Heimatersatz“ und „Fremdheimat“, „Heim-Weh(e)“ und „Heimkehr“, aber auch „Heimat-Alberei“9 zugleich in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang und heutzutage nicht minder aktuellen Reflexionsraum:

 

Die werdende Welt von morgen wird Heimat gewiß und Muttersprache möglicherweise aus sich ausstoßen und nur noch als einen Gegenstand historisch gelehrter Spezialforschung am Rande bestehen lassen. Jedoch wir sind noch nicht so weit. Noch lange nicht. Noch öffnet uns, was wir Heimat nennen, den Zugang zu einer Realität, die für uns in der Wahrnehmung der Sinne besteht. Anders als für den Physiker, der nicht im Pendelausschlag eines Kontrollapparates Wirklichkeit erkennt, sondern in einer mathematischen Formel, sind wir darauf angewiesen zu sehen, zu hören, zu tasten10 – und man ist geneigt hinzuzufügen, das Erfahrene in künstlerischen Formen mitzuteilen.

 

In dem vorliegenden Aufsatz geht es nicht um jene, die weggehen, „weil ihnen die Wanderschaft im Blut liegt“11, wie kürzlich György Konrád meinte. Es handelt sich auch nicht um jene „freiwillige[n] Déraciné[s] wie James Joyce, wie Beckett“, die „die Andersartigkeit der Städte, Menschen, Lebensgewohnheiten, mit denen [sie] es zu tun [haben], voll Gleichmut, wenn nicht voll Enthusiasmus […] hinnehmen“12. Es geht vielmehr um jene, „die weggehen, weil sich um sie her schwärmerischer Hass verbreitet, irgendeine nationale, religiöse, politische Exaltation, was ihr Heimischsein stark beeinträchtigt“ oder weil man sie hat „wissen lassen“, dass sie „eine Plage und ein Unheil, eine ansteckende Krankheit oder eine Krebsgeschwulst“13 wären. Es geht nicht um jenes „Hinausweh – Hinausweh, das immer wieder zur Gründung neuer, zweiter, besserer Heimaten führt“14, wie Walter Jens meint, nicht um „bloße“ Migration, Emigration und Immigration, sondern um Entrechtung, erzwungene Vertreibung, Flucht, also Exil am Beispiel der Folgen der NS-Herrschaft.

Ähnlich wie Jean Améry bietet auch Hilde Spiel aufschlussreiche Überlegungen zum Thema Heimat und Heimatverlust an – in ihrem Vortrag „Psychologie des Exils“, worüber sie bei der ersten Nachkriegstagung zum österreichischen Exil in Wien im Jahre 1975 sprach: Hier wird der Exilant paradigmatisch als „Schlüsselfigur unserer Zeit“15 vorgestellt. Auch der diagnostische Blick des aus Wien vertriebenen Egon Schwarz ist authentisch: In seiner 1964 erschienenen Anthologie „Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil“16 rückt er – im Wissen um das vielgestaltige Verhältnis von Exilierten zur „Heimat“ zwischen „Nonchalance“ und Heimweh-Krankheit17 – den Heimat- bzw. Fremdekomplex, „das Erlebnis der Heimatlosigkeit und des Ausgestoßenseins“18, ins Zentrum seiner Sammlung von nicht-literarischen Berichten und essayistischen Dokumenten.

Und erst vor wenigen Jahren konnte man ein bisher unpubliziertes Fundstück aus Hermann Kestens (1900–1996) Nachlass lesen.19 Kesten hatte es in den 1950er Jahren als Warnung an die vergessliche deutsche Nachkriegsgesellschaft, die Wirtschaftswunderwelt verfasst. Es handelt von den Folgen und Kosten der „Heimatopferung“, die viele durchmachen mussten und auf sich nahmen. Sein Essay ist eine mit scheinbar leichter Feder geschriebene Auflistung von Heimatentzugs-Erscheinungen bzw. jener Sprechweisen, die über Heimat und Exil von deutschsprachigen Schriftstellern und NS-Verfolgten geführt wurden:

 

Im Exil wird man geschwind einsam, wie in Ovids bewölkten Zeiten. Man verliert ein Volk und erhält weitverstreute Freunde. […] Ein Fremder zwischen fremden Völkern, lebt der Exilierte wie in einer Theaterpause, die nicht mehr endet, wie in einem Abgrund, den nichts überbrücken kann. Der Exilierte ist ein verhinderter Heimkehrer. Nie sprachen deutsche oder österreichische Dichter so viel von Deutschland oder Österreich als im Exil. Jedoch als der Krieg aus war, da wollten viele der exilierten Autoren nicht mehr heimkehren, als würde sie die Heimkehr in ein neues finstereres Exil führen. […] Sie klammerten sich an die deutsche Sprache, wie an einen Acker in der Heimat, wie an ein Haus, und blickten nach Deutschland oder Österreich, als gäbe es für sie ein einziges Fenster, mit dem Blick auf dieses oder das andre Land. Ich kam am 17. März 1933 so heiter in Paris an, als wäre ich aus einem Gefängnis ausgebrochen. [wie z. B. auch Fred Wander K.M.20] MirIkam vor, ganz Europa sei damals ins Exil gegangen. Dante sprach von den Treppen des Exils, Joseph Roth von den Bet­ten des Exils. Exil macht geil, sagte er, gleich mancher Armut. Ludwig Marcuse hiess [sic] das Exil die stärkste Bereicherung seines Lebens. Anton Kuh erklärte, Deutschland sei in den Abort gefallen, und das Exil sei der einzige Notausgang. Sein Freund Karl Tschuppik wider­sprach ihm heftig. Deutschland sei schon vor zweitausend Jahren anrü­chig gewesen. Hermann der Cherusker röche fast wie Ludendorff. […] Alfred Polgar hiess das Exil ein verkleinertes Stammcafé. Alexander Roda Roda, mit dem ich in Brüssel häufig Schach gespielt habe, hiess das Exil ein Patt, eine Verlegenheit. […] Im Exil verengt sich die Heimat zur Begegnung mit zwei Dutzend Bekannten, und für einen Autor häufig nur zu einem Koffer mit deutschen Büchern. Im Exil erweitert sich die Welt. […] Ging der Exilierte zuvor in der Heimat über die Strasse, zum Fluß, in den Wald, um sein Deutschland oder Österreich mit einem Blick, mit einem Atemzug zu fassen, so musste er jetzt über Meere und Gebirge hüpfen, Kontinente überfliegen und Ozeane durchqueren, um ein deut­sches Wort zu hören, um lebendige deutsche [und österreichische K.M.] Geschichte zu erfahren.21

 

Ähnlich beeindruckend wie Hermann Kestens Erkundung des Exils ist eine in den Jahren 1945–1947 entstandene Glossen-Reihe von Alfred Polgar mit dem Titel „Der Emigrant und die Heimat“22. In ihr findet man ebenfalls pointiert zugespitzte und von frischem Erlebnis gespeiste Erkenntnis – etwa über fremdes Land als gnädig gewährte, aber auch schnell wieder sistierte Sicherheit und Falle. Man liest über das Exil als psychische Zeitbombe, über die widerstreitenden Perspektiven der Daheimgebliebenen und der Wandernden sowie überraschende Perspektivenwechsel, über Zerstörung und mühsame Reparaturen von privaten und politischen „Lebenslinien“, über enteignete Sprache und den individuellen und kollektiven Kampf um das Erinnern, über biblische Analogien und unterschiedlich gelagerte „seelische Transpiration“, also Mentalitätsdifferenzen zwischen „hüben und drüben“ oder auch über die Möglichkeiten und Grenzen eines modus vivendi in zukünftigen Nachkriegszeiten: „Die zufällig nicht umgebracht wurden, müssen ihren Frieden machen mit denen, die zufällig nicht mehr dazu gekommen sind, sie umzubringen.“23 1930, einige Jahre vor seiner im Alter von 65 Jahren beginnenden Vertriebenen- und Flüchtlingsexistenz hat sich Alfred Polgar dem Thema „Heimat“24 aus kritischer Perspektive gewidmet. Sein Essay stellt eine liebevoll ironisierende Auseinandersetzung mit einigen Versatzstücken des damals grassierenden Heimat-Geredes dar: Ewigkeit und Erde, fest Gegründetes und Altbewährtes quasi als Heiligtümer, eine Art von Rausch der Vertrautheit, Ruhe, Verlässlichkeit und Unverlorensein, ein Lebtag lang, Kirchlein, Quelle, Wald und Bächlein.25 Bei Polgar heißt es hingegen: So vertraut ist hier alles … und so gespenstisch! [ …] In der Heimat wandelt sich vieles, sie selbst, das ist auch eines ihrer Wunder, wandelt sich nicht. Unverändert wie ihr geographisch bestimmtes bleibt ihr seelisches Klima, […] bleibt die geistige Ausdünstung der Eingeborenen, bleiben die Regeln, nach denen sie irregulär sind, bleibt der Kanon für Bosheit und Tiefsinn, die sie, gereizt, von sich geben. […] Und darum ist es auch ein solches Vergnügen, in der Heimat begraben zu sein.26

Ähnlich verhält es sich mit Kurt Tucholskys „Heimat“27 aus dem Jahre 1929. Sein Beitrag steht für eine andere Variante der Heimatliebe, und zwar für eine offen politisierende und der Satire verbundene – offen gerichtet gegen die „nationalen Esel“ aller Couleurs und ebenso gegen jene „umgekehrten Nationalisten“, die „überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle“: Weder die „Daheimgebliebenen“ noch die fortschrittlich-modernen „Kosmopoliten“ haben, so Tucholsky, eine adäquate Sprache dafür. Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemandem – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbücherlich eingetragen ist. Unser ist es.28

Alfred Polgars Mentalität und Stilistik ist, wie schon angedeutet, eine etwas andere. Aus seiner US-amerikanischen Exilszeit (seit Oktober 1940) stammt eine tragikomische Kurzgeschichte mit dem harmlos klingenden Titel „Sonntag Abend“29, erstmals publiziert 1948 im Band „Anderseits“ bei Querido in Amsterdam. „Heimat“ wird hier eine weitere, beklemmende Bedeutungsdimension abgerungen. Die Erzählung leuchtet hinein in eine abendliche Zusammenkunft von zwei exilierten Wiener Ehepaaren in einer sommerstickigen und von den Errungenschaften amerikanischen Fortschritts gesegneten, lärmumfluteten New Yorker Wohnung. Das eine Ehepaar sind ehemalige Konditorei-Besitzer, das andere früher ein Professorenehepaar:

Nach dem Abendessen erzählte Professor Stefan Norman (Hauptwerk: ,Österreichisches Patentrecht’) einen Traum. Ihm hatte vergangene Nacht geträumt, er wäre auf Besuch in der Heimat gewesen, ein paar Privatsachen dort zu erledigen.“30 Die „Privatsachen“ entpuppen sich als eine handgreifliche Revanche an einem antisemitischen Wiener Denunzianten und einem Gestapomann, einem „Ariseur“. Herausgefordert von der vorerst ungläubig zuhörenden Konditorin erzählt der Professor sogar vom angeblich geträumten Mord am kleinen Sohn des Ariseurs: „… er sah seinem Vater abscheulich ähnlich …“31. Aber dieser Mord fand, wie sich herausstellt, nicht einmal im Traum statt, sondern ist tagträumerisches Auftrumpfen und Kompensieren eines deklassierten und gedemütigten Exilanten. In wenigen Erzählsequenzen wird klar, wie die Geflüchteten zwischen mehreren Welten leben und ihnen ihr Bewusstsein Streiche spielt: Indikativ und Konjunktiv verlieren ihre Macht – Traumwunsch, Hüben und Drüben, Traum und Realität verschwimmen. Professor Norman hält sich liebend gern in seinen Traum- und Tagtraum-Wirklichkeiten auf, er ist „unwillig über die Störungen“, die ihn aus seinen, die Zivilisationsschranken brechenden Wünschen zu reißen drohen – also Widerspiegelung realer Zeitgeschichte, Defizienz-Gefühle und ihre Kompensationen. Die Exilanten selbst haben das selbstironisch das „Bernhardiner-Syndrom“32 genannt. Die Heimweh-Träume in Polgars Erzählung sind eine untrennbare Mischung sowohl aus „vergoldeten“, auch witzigen und krausen als auch „verdorbenen“ Erinnerungen. Das Ineinander von „Vergangenheit und Zukunft“33 konkurriert mit der schalen, lärmigen Substandard-Alltagsgegenwart New Yorks: „Aber Alles – wie soll ich’s erklären? – Alles, selbst die Erinnerungen, die im Raum geisterten, Alles war … verdorben. Wie eine Speise verdorben. Als ob etwas Widriges sich in’s Innere der Dinge eingefressen hätte. Mich packte der Ekel und ich lief davon“34, so berichtet der Traumerzähler über die Atmosphäre der „verwunschenen“ Straßen und Plätze seiner Wiener Heimat. Die Exilant/inn/en – dies macht die Erzählung klar – besitzen zudem keine ausreichenden Erklärungsinstrumentarien für das ihnen Zugestoßene. So reden sie etwa über das Wirken des Teufels, was vom Erzähler ironisch festgehalten wird. So viel wird dem Leser jedenfalls klar: Feste Beheimatungen und ihre unbefragte Selbstverständlichkeit sind verloren und können offenbar auch nicht wieder hergestellt werden.

Am Beispiel der „existentiellen Besonderheit“35 des Exils, am Exemplum der „Ritter Ohneland“36, wie die aus dem Land Gejagten bezeichnet wurden, wird das gesamte Bedeutungs- und Erfahrungspanorama von „Heimat“ sichtbar – die emotionalen Dimensionen des „Entborgenseins“, „ganz und gar“37 und die absurde Kläglichkeit der „nationalen Exkommunikation“ durch die „erbärmlich-äußerliche Zufallsmacht“38 der Nazis. Es „gilt […] die Formel: Einmal Exilant, immer Exilant.“39

Die Folgen, die ausgrenzende Demütigung und Entrechtung, wie sie juristisch festgeschriebener Heimatentzug und Entziehung der Staatsbürgerschaft anrichteten, widerspiegeln sich in der Formgebung literarischer Sprachkunstwerke auf vielfältige und widersprüchliche Art und Weise. Der Bogen spannt sich dabei von poetischer Schlichtheit (z. B. bei Berthold Viertel oder Theodor Kramer) bis zu gehobenem Sprachausdruck, sogar sprachlicher Bombastik (z. B. bei Alfred Marnau 1919–1999, Jesse Thoor 1905–1952, Raoul Hausmann 1886–1971). Erinnerung – Melancholie, Nostalgie, aber auch harter Realitätssinn – sowie Beschwörungen literarischer Traditionen als offensichtlicher Heimatersatz gewinnen einen neuen Status in der Literatur, beim Schreiben. Nicht zuletzt sind die Dokumente des Heimatentzugs voll von prinzipiellen Reflexionen etwa über die noch bestehen gebliebenen bzw. die fehlenden Möglichkeiten sprachlicher Äußerung und/oder des noch möglichen oder erst recht zu pflegenden bzw. nicht mehr akzeptablen Gebrauchs der deutschen Sprache als einer vom Feind missbrauchten Sprache. Wiederholt wird auch die Erfahrung thematisiert, wonach das Exil dazu beiträgt, die kritische Wahrnehmung zu verfeinern und plötzlich noch genauer sehen zu können als vorher. Selbstverständliches erscheint plötzlich als etwas nicht Selbstverständliches, das Gewohnte als der Überprüfung wert. Polgars Einsicht und Methode, wonach „Nahes ferne“40 betrachtet werden möge, um sprachbewusster schreiben zu können, haben viele Autorinnen und Autoren angesichts ihrer Exilerfahrungen bestätigt: „Wer uns in Fahrt bringt, macht uns erfahren, / Wer uns ins Weite stößt, uns weit. / Nun danken wir alles den fahrenden Jahren, / und nichts der Kinderzeit“41, so heißt es etwa bei Günther Anders.

 

II.) Chronologie der Exilbewegung – Stationen, Beispiele

 

Lassen wir nun unseren Blick in chronologischer Abfolge der Phasen der Exilbewegung über die Innenlandschaften des Exils schweifen: Beobachten wir so an einigen exemplarischen Beispielen den Umgang und die Erfahrungen mit Heimatrechtsverlust, mit Heimatverlust bzw. Fremde und versuchen wir, an einigen insistierend wiederkehrenden Themen gewissermaßen eine Typologie des Exils zum Heimat-Fremde-Komplex zu skizzieren. Jean Améry, Hilde Spiel, Egon Schwarz, Hermann Kesten stehen uns dabei hilfreich zur Seite, auch die Anthologistin Mimi Grossberg42. Fliegen wir zuerst mit Hermann Broch auf seiner Flucht „im Ätherboot“43 über die sich immer weiter entfernende heimatliche Landschaft. Wir sehen, wie „Flüchtlingsnot“ und „Schlingenstrick“44 Heimat und Welt auf neue Weise konturieren:

 

Da unten ist nun nichts mehr groß

die Straße ist ein Strich -

doch plötzlich weiß ich von dem Moos

und weiß den Wald, des Wurz ich riech,

und weiß, da drunten lag einst ich

und lag in meiner Heimat Schoß.

Die Straße ist ein Strich.

 

Wie pfeilgrad endlos ist der Strich -

hier ist nur stählernes Gebraus

pfeilgrade geht der Flug.

Dort drunten steht ein Bauernhaus

ich weiß, dort drunten geht ein Pflug

ganz still und langsam, schnell genug

fürs stille Brot, jahrein, jahraus.

Pfeilgrad und stählern geht der Flug –

(Im Flugzeug von Österreich nach England 1938)45

 

Die Chronologie der Ereignisse lässt sich ab 1933 annäherungsweise in folgende Phasen gliedern. Sie prägen in der Folge, bei aller individuellen Verschiedenheit der Lebensschicksale46 von Flucht, Exil, Internierung und KZ, die jeweiligen Redeweisen über Heimat und Fremde und das jeweils spezifische Verhältnis zur ehemaligen Heimat und zu den Flucht- bzw. Gastländern.

Erstens: Die Jahre zwischen 1933 und der Annexion Österreichs im Frühjahr 1938 und dem Kriegsbeginn im September 1939. Erster Abschied und Aufbruch, erste Ankunft in einem bislang meist fremden Land – der „Blick blieb auf die Heimat“ zurückgerichtet. Bei manchen mag noch das Bewusstsein und die Hoffnung gegeben gewesen sein, als Verfolgter zumindest „eine geistige Funktion zu haben“, also „die Flamme der deutschen Kultur vor dem Verlöschen zu bewahren“47 bzw. das andere Deutschland oder Österreich darzustellen. Dies allerdings kann man wohl hauptsächlich, wie Egon Schwarz meint, an „Antifaschisten jeder Orientierung“48 beobachten, weniger bis gar nicht jedoch bei „unpolitische[n] Auswanderer[n], meist jüdischer Abstammung“, die wegen ihrer „Stimmlosigkeit gegenüber den beredteren Leidensgenossen nicht so sehr ins Gewicht“49 fielen. Jener – aus heutiger Perspektive – naive Optimismus, den etwa Heinrich Mann noch 1934 an den Tag legte, ist nicht repräsentativ:

Die Emigration ist eingesetzt vom Schicksal, damit Deutschland das Recht behält, sich zu messen an der Vernunft und an der Menschlichkeit! […] behauptet euch und lernt, dann werden viele von euch es [Deutschland] wiedersehen, und es wird das eure sein!50

Für das österreichische Exil ab 1938/39 waren solche Hoffnungen angesichts dessen, wie sich Hitler-Deutschland seit 1933 rasant zum faschistischen Staat entwickelte, von vornherein anachronistisch. Trotz des seit 1934 herrschenden autoritären Ständestaates christlich-sozialer Prägung, war Österreich bis 1938 zugleich ein „Exilland“ für Schriftsteller, die bis 1933 in der Weimarer Republik lebten und arbeiteten (z. B. Robert Musil, Ödön von Horváth) und zugleich angesichts des Bürgerkriegs von 1934 Verfolgungs- und Fluchtland für sozialistisch und republikanisch orientierte Intellektuelle und Künstler.

Jean Amérys Beschreibung der Überquerung der deutsch-belgischen Grenze auf der lebensrettenden Flucht aus Nazi-Deutschland „ohne Paß und Visum“51 als der Urknall von „Elend/Verbannung“52 und die darauf folgende umfassende Entfaltung von Aspekten erschütterter Identität, die Analyse versuchter Selbstbewahrung und Identitäts-Rekonstruktion, hat eine völlig andere Dimension und ist zugleich von exemplarischer Qualität: „Torkeln über schwanken Boden“, so heißt es. „Gleichgewichtsstörung“, so nennt es Stefan Zweig. Dieser fügt sodann Sätze hinzu, die an Améry erinnern: „man wird unsicher, gegen sich selbst misstrauischer. […] Etwas von der natürlichen Identität mit meinem ursprünglichen und eigentlichen Ich blieb für immer zerstört.“53 Auch bei Theodor Kramer torkelt der Körper angesichts des bevorstehenden Heimatrechtsentzugs und der Autor denkt zugleich an die Folgen für seine schriftstellerische Identität (z. B. „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“54). Jean Améry spricht von „Ordnungslosigkeit, Verstörung, Zerfahrenheit“55 und der Erschütterung von allem, „was [sein] Bewusstsein angefüllt hatte, von der Geschichte [seines] Landes […] bis zu den Landschaftsbildern, deren Erinnerung [er] unterdrückte“56, davon, dass er nicht mehr ,wir’ sagen konnte und darum nur noch gewohnheitsmäßig, aber nicht im Gefühl vollen Selbstbesitzes ,ich’ sagte. […] Ich war kein Ich mehr und lebte nicht mehr im Wir. Ich hatte keinen Paß und keine Vergangenheit und kein Geld und keine Geschichte.57 Man darf eine derartige „Selbstentfremdung“, das Herausgeschnittensein aus einer Lebenskontinuität, aus „Muttersprache und Heimatwelt“58, als kollektive Erfahrung des Exils verstehen. Améry spricht auch vom Zerschneiden eines inneren Bandes, das ihn mit dem – jetzt faschistisch konnotierten – „Dialekt“ seiner Heimat, mit „Volkslied und banaler Spruchweisheit“, mit „Märchenerzählung einer alten Kinderfrau“, mit der Erinnerung an „das Gesicht der Mutter überm Bett, Fliederduft aus dem Nachbarsgarten“, mit „Spinnstuben und Rundgesang der Dorflinde“ verbindet.59 Gefühle des plötzlichen Unnützseins thematisiert Stefan Zweig: Und der ein ganzes Leben leidenschaftlich sich bemüht um Verbundenheit im Menschlichen und im Geiste, empfand sich […] durch dieses jähe Ausgesondertsein unnütz und allein wie nie in seinem Leben. […] alles Geleistete zunichte – Europa, unsere Heimat, für die wir gelebt, weit über unser eigenes Leben hinaus zerstört.60 Der Schlag, der Jean Améry traf, mag diesen allerdings noch ungeschützter getroffen haben, denn Schreiben war dem jungen Autor noch kein geschützter Fluchtraum geworden, so dass sich ihm das „Haupt-Wehe“ letztlich als „Selbstverachtung und Haß gegen das verlorene Ich“ entschlüsselte. Denn, indem er „die Feindheimat“ vernichtet habe, sei zugleich auch „das Stück eigenen Lebens […], das mit ihr verbunden war“61, getilgt worden. Dies stellt eine Erfahrung dar, die dem Exil – in welchen Ausprägungen, Variationen und Abtönungen auch immer – oft zugrunde liegt.

Zweitens: 1938/39 bis 1944. Weitere relevante Einschnitte stellen klarerweise die Annexion Österreichs im März 1938 und der Kriegsbeginn im September 1939 dar.

Diese Phase sollte bis etwa Ende Juli 1944 dauern, als die Rote Armee Lublin eroberte, das KZ Majdanek befreit wurde und die Vorkommnisse international bekannt wurden:

 

Die Perspektiven der Exilierten waren einem Wandel unterworfen: hatten sie vordem die Niederwerfung des Hitlerregimes durch interne Faktoren (innere Widersprüche des NS-Systems und seiner Wirtschaftspolitik, Opposition des liberalen Bürgertums und der militärischen Kaste, Widerstand der Arbeiter) für möglich gehalten, mußten sie 1939/40 erkennen, dass der Nationalsozialismus nur mehr durch die alliierte Kriegsführung zu besiegen war; der innere Widerstand konnte dabei allenfalls eine unterstützende Rolle spielen.62

 

Nun mussten auch jene, die noch immer an den Sturz Hitlers glaubten, einsehen, dass sie sich geirrt hatten und neue Perspektiven gesucht werden. Egon Schwarz schreibt: „Selbst unverbesserliche Optimisten sahen nun ein, dass der Sieg Hitlers weiter um sich greifen werde, wenn nicht der Krieg den Nationalsozialismus vernichtete. […] Der ideologische Kampf schien [mit Beginn des Krieges] endgültig verloren, der Glaube an eine sinnvolle Aufgabe der Emigration zerbrach. […] Einige fielen [in ihren ersten Exilländern] den Nazis in die Hände und ‚kehrten heim’.“63 Mit Kriegsbeginn stellte sich heraus, dass das bisherige Exil nur ein Zwischenexil war, für viele begann eine zweite Fluchtbewegung, ein zweites Exil – jetzt vermehrt nach Übersee.

Die literarischen Auseinandersetzungen und Reflexionen, die in den Exilländern über den Heimat-Komplex geführt wurden, kreisen, je aussichtsloser die politische und militärische Lage wurde und je rapider die Hoffnungen auf das Ende des NS-Regimes schwanden, um einige wiederkehrende Themenbereiche, die eng miteinander verbunden sind: Verstärkte Selbstverständigung im Schreiben und ganz besonders die Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache, auch mit dem vertrauten Dialekt, sprachlicher Klangfarbe und spezifischem Idiom als Medium der Heimatbindung und -vergewisserung – also Nachdenken über Heimatverlust in einem neuen Land, in dem man oft genug als Störenfried, Fremdkörper, ja sogar als „enemy alien“, nicht selten versetzt mit antisemitischen Untertönen, behandelt wurde.

Die positiven Erfahrungen und bewegenden Ausnahmen notieren die Exilanten freilich ebenso genau und dankbar, z. B. Käthe Braun-Prager64. Hilde Spiel etwa erinnert sich an ein Treffen im Londoner Exil-P.E.N. im Jahre 1939, bei dem Storm Jameson die aus Deutschland, Österreich und Tschechien stammenden Schriftsteller/innen mit dem sprichwörtlich gewordenen Satz begrüßte: „Bitte seid daheim.“65 Leicht zu machen war das trotz guten Willens der Exilant/inn/en und ihrer Gastländer und Freunde nicht. Dafür waren die Verletzungen zu schwer, die Gefahr der „Erstarrung“66, wie Theodor Kramer sagte, zu groß. Kramer „kam aus dem Frösteln“ nicht heraus67 und stellte gegen das „vor die Hunde […] gehen“ einige „Faustregeln“ für das Überleben auf. Er nennt das rettende Verbot, „den Mutterlaut samt unsren Feinden zu hassen“, das Gebot, die „Laute“ weiterhin zu schlagen – „sie wird uns alle überdauern“ – und „sein Eigen“68 unverdrossen mitzuteilen. Zu diesem „Eigenen“ gehört nicht zuletzt seine hölderlinisch anmutende Utopie, in sein heimatliches „grünes Haus“ dereinst wiederkehren zu können – ein Gedicht, geschrieben am 14. April 1944, noch vor der Befreiung des KZs Majdanek im Juli 1944.69 Sie ist eine feierliche Beschwörung des Zusammenfindens der so unterschiedlichen Verfolgten, der Geschundenen und Vertriebenen, der zu unglücklich abseitig Gemachten im Zeichen der Einheit von Natur und Mensch, vorgetragen in strenger Strophenform, regelmäßigem Rhythmus und reinen Reimen. Als Theodor Kramer durch den Austrian Exil-P.E.N. in London die Möglichkeit bekam, einige seiner Gedichte unter dem Titel „Verbannt aus Österreich“ 1943 zu veröffentlichen, stellte er das Gedicht „Auf einen Vogelbeerbaum in Staffordshire“ (geschrieben und bearbeitet am 14.9. und 22.9. 1941)70 als Motto voran. Es ist ein verstörendes und zugleich tröstliches Gedicht insofern, als es die Erinnerung an die „brennrote“ Schönheit eines aus der niederösterreichischen Kindheit „herübergleißenden“ und ehemals Orientierung verbürgenden Vogelbeerbaumes zum Bildanlass und als Gegensatz zu einer aktuellen Situation der Orientierungslosigkeit und angstvoller Zukunftsangst nimmt. Nur die herübergleißende erinnerte Schönheit tröstet jetzt „im fernen Land“ – und, so heißt es, „beug mich stumm/in mir der schönen Wucht.“71

Rückbindung und Erinnerung, Orientierung, Stabilisierung – rettende Bewältigungsstrategien allesamt: So könnte man das nennen, was in zahlreichen Texten des Exils zum Ausdruck kommt. Einerseits gab es zwar auch Warnungen vor Sehnsuchts-Vergoldungen der ehemaligen Heimat, etwa in Texten von Trude Krakauer oder auch Berthold Viertel, und auf der anderen Seite offenbar befreiend wirkende Schilderungen von Exil-Landschaften, in denen Heimatliches entdeckt wurde. Als Beispiel mögen die „Heimwehgeschichten aus Südamerika“ des in Bolivien und in Uruguay gelandeten Fritz Kalmar dienen. Über die Hernalser Hutmacherin Finnerl heißt es: „Sie übersetzte alles in Heimat“72. Das Wort Heimweh stellt sich in den Texten wiederholt ein – explizit und implizit – und damit wohl auch die delikate Aktualisierung ambivalenter Gefühle: etwa die schmerzlich getönte Sehnsucht nach etwas Heimatlich-Schönem, aber nicht mehr Wiederholbarem, Unwiederbringlichem sowie das melancholisch-süße Gefühl von Versäumnis. Einerseits fehlte es nicht an Appellen an das Realitätsprinzip, andererseits konnte man sich der grassierenden vergoldenden Tagträume des Exils nicht erwehren. Die wirklichen Träume waren freilich meistens Angst- und Verfolgungsträume: „Wir sind, mein Kind, nie mehr zuhause, / Vergiss das Wort, vergiss das Land / Und mach im Herzen eine Pause – / Dann gehen wir“, heißt es in Berthold Viertels Gedicht „Auswanderer“ (1937), in dem aber die schmerzliche Rückbindung an Versatzstücke der ehemaligen Heimat nicht ausgeblendet wird: „Die Landschaft werden wir verlassen, /Die uns auf ihren Armen trug. / Wir sollen diese Wälder hassen / Und hatten ihrer nie genug.“73 Bei der im kolumbianischen Exil gelandeten Lyrikerin Trude Krakauer (1902-1995) ist ebenfalls das Realitätsprinzip am Werk: „Erwürge endlich /das Kind in dir, / das spielen will. […] Lern’s mit verwandelten Zeichen zu rechnen: / plus ist gleich minus, / Freude ist Schmerz. […] Lerne, dass Schönheit brennendes Leid ist, / lerne die Sprache, die nicht verbindet, / lern’s mit verwandelten Zeichen zu rechnen“, heißt es, vergleichbar mit Jean Amérys Reflexionen über das schwierige Entziffern von Zeichen in der Fremde74, bei Krakauer zwecks lebensbewältigender Perspektive. Wiederholt sind es zumindest Appelle, die Exil-Wirklichkeit doch endlich wahrzunehmen, sich ihr realistisch zu stellen, sich in der neuen Welt nützlich zu machen, neu im fremden Land anzupacken, sich nicht unterkriegen zu lassen und vor allem das Leben widerständig in Ehren zu halten. Carl Zuckmayers „Aufruf zum Leben“ anlässlich des Selbstmordes von Stefan Zweig im Jahre 1942 mag auch dafür ein – durchaus bedenkliches – Beispiel sein: „Laßt euch nicht von der Müdigkeit übermannen, die den einsamen Posten gefährlicher macht als die Schlachtreihe, singt sie weg, so lang ihr noch einen Hauch von Stimme habt, ruft das Signal, das Kennwort durch die Nacht, es heiße: Leben!“75

Einen wichtigen Stellenwert nimmt naturgemäß die Reflexion der Exilant/inn/en über die Sprache ein, die Muttersprache. Sie wird zu „Haus und Heim“, ein „Sicherheit verbürgender“, „Wärme und […] das himmlische Gefühl der Grenzenlosigkeit“76 vermittelnder Ort. Sie wird Zuflucht, Halt und Rückzugsort, aber auch – im Erfahrungsraum der Fremde – ein abschottendes, die Vereinsamung förderndes „Gefängnis“77. Für Thomas Mann war die (deutsche) Sprache die „wahre und unverlierbare Heimat, die ich mit mir ins Exil genommen und aus der kein Machthaber mich vertreiben konnte“78. Angesichts des „feindheimatlichen“ Sprachmissbrauchs durch die Nationalsozialisten kam eine Dimension hinzu, die Berthold Viertel ins poetische Wort gefasst hat: „Deutsch zu sprechen hast du dir verboten / Wie du sagst: aus Zorn und tiefer Scham. / Doch wie sprichst du nun zu deinen Toten, / Deren keiner mit herüberkam? // Wie das Kind, das mit der Mutter greinte, / Und, indem es nicht zu Abend aß, / Sich zu rächen, sie zu strafen meinte: / Solch ein kindisch armer Trotz ist das.“79 Aus Jean Amérys Heimat-Essay dürfte sich wohl für fast jeden Leser die Erinnerungssequenz an das für den Autor fast tödlich endende Zusammentreffen des jüdischen, seinen regionalen Dialekt sprechenden Flüchtlings mit jenem SS-Mann, der denselben Dialekt spricht, besonders eingeprägt haben. Der Mann der Feindheimat fühlt sich in seiner Nachmittagsruhe von den unvorsichtig im selben Haus lärmenden Widerstandsleuten gestört und regt sich in der vertrauen Mundart auf. Wäre der jüdische Flüchtling nicht von „Angst und Vernunftkontrolle“80 geleitet gewesen und hätten sie ihn nicht einige französische Entschuldigungsformeln“81 stammeln lassen, wer weiß, was geschehen wäre: „In diesem Augenblick“, so schreibt Améry, „begriff ich ganz und gar und für immer, dass die Heimat Feindesland war.“82 Es ist der Klang der Sprache, der für den im Untergrund arbeitenden Widerständler einerseits vertrauter Schutzraum ist und zugleich Lebensgefahr bedeutet. Es ist schwierig, einen Autor von Rang zu nennen, der dieses gespannte Verhältnis zur deutschen Sprache nicht durchlebt hätte und „Muttersprache und Heimatwelt“83 nicht thematisiert bzw. von dem „um ihr mitgebrachtes Kapital geprellte“ Individuum geredet hätte, dem „das mit großer Mühe selbstgeschmiedete und brauchbare Werkzeug […] jäh aus der Hand gerissen“84 worden sei, wie sich Hilde Spiel ausdrückt. Jean Améry beklagt mit dem Ausgesperrtsein „aus der deutschen Realität“ auch jenes „aus der deutschen Sprache“, so dass er nicht zuletzt in einer sprachlichen Zwischenwelt landet und begreifen muss, dass er „in der anderen Sprache immer nur Gastrecht auf Widerruf haben würde.“85

Bemerkenswerte Studien zum Thema haben Ernst Bloch in seiner New Yorker Rede “Zerstörte Sprache – zerstörte Kultur“ (1939) und – im Rückblick des Jahres 1962 – Günther Anders in seinem Essay „Lebenserlaubnis“86 geleistet. Bloch wehrt sich gegen jeden „falschen Radikalismus“87, gegen jene, die eine „bis zum Selbsthaß“88 entwickelte Verschmähung des Deutschen entwickelt haben und gegen jene, die sich im Exil eine hochnäsige „deutsche Kulturinsel“89 schaffen wollen. Er plädiert stattdessen für die sprachliche Herausforderung, sich der neuen Wirklichkeit zu stellen:

 

Unser Verhältnis möchte also weder weichlich-gerissene Anbiederung sein (am wenigsten an die herrschende Klasse) noch introvertierte Fremdheit. […] Das ist möglich, weil das Deutsche außerordentlich weit und elastisch ist. Die deutsche Kultur war einmal der ganzen Welt offen und zugewandt, ihre Sprache ist seit je gesättigt mit fremder Anschauung.90

 

Eine ähnliche Position nimmt Anders ein: Das überraschende Motto von Anders‘ Essay lautet: „Die gute Zeit unserer Exilmisere“91. Denn die Lehrmeisterin Exil habe das Sprachbewusstsein geschärft und bei einigen auch veredelt, weil sie „die Würdelosigkeit des Stammeldaseins nicht aushielten; weil die Sprache das einzige Gerät war, mit dessen Hilfe sie sich, wenn auch nicht vor dem physischen Untergang, so doch vor dem letzten Herunterkommen bewahren konnten; und weil es das einzige unraubbare Gut war, das einzige Stück Zuhause, das sie, wenn sie es verteidigten, selbst im Zustande restloser Entwürdigung noch beherrschten, das einzige, das (wenn auch nur ihnen selbst) bezeugte, wo sie hingehörten.92 Anders verweist auf die unter unsäglichen Bedingungen von Haft und KZ entstandenen Sprachkunstwerke: „Deren Brüder sind wir gewesen, freilich deren unsäglich begünstigte Brüder.“93 Wer z. B. die Gedichte von Emil Alphons Rheinhardt aus seiner Gestapohaft in Menton, Nizza und Marseille kennt, etwa sein Gedicht „Grabschrift“94, weiß, wovon Günther Anders spricht. Es sind Beispiele jener „Nachtsprache“, die „das Kontinuum unseres Lebens [zumindest für kurze Zeit im Falle E.A. Rheinhardts] sicherten, bis uns die […] Tagstunden nur als Löcher im Gewebe erschienen.“95 Exemplarische Gedichte stammen insbesondere von Ernst Waldinger oder auch von Stella Rotenberg, deren Texte erst in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Der wohl bekannteste Text aus der Feder von Ernst Waldinger heißt „Ich bin ein Sohn der deutschen Sprache nur“ und schließt mit den selbstbewussten Versen: „Was meinem Volk an Leid auch widerfuhr, / In meinem Worte klärt sich’s und beweist / mein Judenblut und dass der Menschengeist / der stärkere ist –: aus vielen finstern Stunden / Hab’ ich zum Licht des Liedes heimgefunden.“96 Und viele von Stella Rotenbergs Texten kreisen schlicht und unpathetisch um den Klang der vertrauten deutschen Muttersprache, um den Themenkomplex „Heimat und Hort“ und „Scherben“.97

Die Jahre seit 1944/45 und seit 1948: Mit den international wahrgenommenen Berichten über den Völkermord im KZ Majdanek kam ein weiteres Element ins Spiel, die Einsicht in die massenhafte Beteiligung von deutschen Volksgenossinnen und Volksgenossen am Genozid und die für viele Exilantinnen und Exilanten daraus folgende Überzeugung, die „Heimat“ endgültig aufgeben zu haben:

 

Als die Rote Armee 1944 das Konzentrationslager Majdanek bei Lublin erreichte und eine internationale Kommission einen ersten Bericht über die in diesem Lager verübten Verbrechen veröffentlichte, wurde zur Gewissheit, was manche (z. B. die Schweizer Regierung) längst gewusst, viele geahnt und die meisten von sich geschoben, ‚verdrängt’ hatten: Der organisierte Massenmord […] war ohne die tätige und stillschweigende Mitwirkung ungezählter Deutscher und Österreicher nicht vorstellbar. […] Waren die meisten Exilierten zuvor in ihren Wünschen und Zukunftsvorstellungen noch hingespannt gewesen auf eine Heimkehr nach dem Krieg, entschieden sie sich jetzt endgültig zum Verbleib im Gastland oder zur Weiteremigration. Eine Periode der Assimilation und mitunter geglückten Integration begann.98

 

So sehr die Kapitulation Hitler-Deutschlands im Mai 1945 ein zentrales politisches Datum ist, für die Auseinandersetzung mit alten und neuen „Heimaten“ und die daraus erfließenden Überlegungen hinsichtlich „Heimkehr“, „Rückkehr“ bzw. Neu-Beheimatungen dürfte das Jahr 1948 von besonderer Bedeutung sein:

 

Die Enttäuschung über das Verhalten Nachkriegsösterreichs, besonders ab 1948, gegenüber den NS-Verbrechen und den berechtigen Ansprüchen der Enteigneten und Verfolgten bestärkte die Exilierten in der Zuwendung zu ihren neuen Heimaten?99

 

Die Desillusionierung über die österreichische „Fremdheimat“, die Demontage idealistischer Vorstellungen von „Heimkehr“ sowie die bei vielen lebenslang ungebrochene Skepsis etwa bei probeweisen Besuchen in der „Heimat“ datieren wohl hauptsächlich von daher. Demnach heißen auch einige Kapitelüberschriften in dem von Ursula Seeber herausgegebenen Sammelband mit Texten von ExilautorInnen zum Thema Rückkehr mit dem Titel „Ein Niemandsland, aber welch ein Rundblick!“100 folgendermaßen: „Eine Fremdstadt, die ich gut kenne“, „Erinnerungssüchtig mit verdrängtem Ortssinn“ oder „Heimat im Plural“101.

In ihre österreichische Heimat sind nach Kriegsende nur ca. 8% der Exilanten dauernd zurückgekehrt, die in künstlerischen und geistigen Berufen tätig waren. „Insgesamt sind nur etwa 5% derVertriebenen nach Österreich zurückgekehrt“.102 Die Gründe sind vielfältig: ökonomische, soziale, organisatorische, familiäre, verkehrstechnische. Das bleibende Skandalon aber ist die moralische Kläglichkeit großer Teile der Nachkriegspolitik, aber offenbar auch eine von den wichtigsten gesellschaftlichen Kräften (Wirtschaft, Politik, Justiz, Sicherheitsapparat, Bildung, Medien) getragene Übereinkunft, die „Vergangenheit“ ruhen zu lassen. Mit „auf die lange Bank schiebenden“ Phrasen bzw. beharrlichem Schweigen, und zwar über die Grenzen der staatstragenden Parteien hinweg, wurde lange auf Zeitgewinn und kontinuierliche Ausgrenzung gesetzt: „Therapie hätte nur die geschichtliche Praxis sein können, ich meine: die deutsche Revolution und mit ihr das kraftvoll sich ausdrückende Verlangen der Heimat nach unserer Wiederkehr. Aber die Revolution fand nicht statt, und unsere Wiederkehr war für die Heimat nichts als eine Verlegenheit“103, stellte Jean Améry fest. Alfred Polgar lieferte ein Bündel von möglichen Gründen für die fortgesetzte, im vertauschten Gewande daherkommende Heimatverweigerungs-Haltung:

 

Auch wir haben uns die Befreiung freier vorgestellt, mit mehr Ausrufungs- und weniger Fragezeichen. Aber den Morgen anklagen, dass er grau ist, das sollten jene nicht tun, die sich so gut zurechtfanden in der pechschwarzen Nacht [der nazistischen Heimat, K.M.], die ihm voranging. […] Mit manchen guten Menschen in der Heimat gleicher Gesinnung wie wir, stößt die Verständigung auf Schwierigkeiten. Sie und die Exilanten sind durch verschiedene Schulen der Erfahrung und des Leidens gegangen, […] ‚können beisammen nicht kommen, das Wasser ist viel zu tief“.104 Sein bekanntes Fazit lautet: „Die Fremde ist nicht Heimat geworden. Aber die Heimat Fremde.“105

 

Dies ist die Erfahrung, die den Kern vieler literarischer Texte des Exils nach 1945 ausmacht, so sehr sich einige schnelle „Rückkehrer“ ausgerechnet als „Heimkehrer“ begriffen – als bewusste Kontrapunkte zu jenem unmittelbar nach 1945 und bis in die 1980er Jahre hegemonialen Diskurs, der den Begriff „Heimkehrer“ für die zurückkehrenden Soldaten der Wehrmacht reserviert sehen wollte. Der Stachel der Skepsis und des Misstrauens steckte allerdings kaum in Hans Weigel, durchaus aber in Karl Farkas, Friedrich Torberg und Ernst Lothar106, gewiss auch in Carl Zuckmayers „Henndorfer Pastorale“107. Dieser Text gibt sich überaus heimattrunken und idyllisch, ähnlich den Heimwehgeschichten von Fritz Kalmar. Aber die angebliche Idylle des feiernden Henndorf wird schließlich doch von einem Gewittersturm gebrochen und beendet das späte Empfangsfest für die Zuckmayers im Jahre 1970 – eine Art Zeichen des doppelten Heimat-Bodens. In Zuckmayers „Elegie von Abschied und Wiederkehr“ (1939) hieß es bereits: „Ich weiß, ich werde alles wiedersehn. / Und es wird alles ganz verwandelt sein, / […] / Ich weiß, ich werde alles wiedersehn / und nichts mehr finden, was ich einst verlassen.“108 Oder: Ernst Waldinger ist auf Besuch in Wien und findet sein eigenes Kindheits-„Gekritzel im Hausflur“109 – das war es, was noch „Bestand“ hatte, so wie ein paar klingende Dialektsprüch’ auf dem Brunnenmarkt auch. Für Fritz Kortner will sich „das himmlisch schöne Barock […] nicht zur Heimat zurückverwandeln“110, und als Theodor Kramer die Heimat wieder sieht, „schließt sich [ihm] im Gedächtnis nicht das Loch, Espressos glitzern, mich empfängt kein Tschoch.“111 Irritationen also unentwegt, nicht nur Melancholie, auch Sarkasmus und Bitterkeit sprechen aus vielen „Heimat“-Texten von Exilierten, etwa aus Georg Kreisler:

 

Meine Heimat ist Wien. […] Die Luft in Oslo ist gesünder, aber meine Heimat ist Wien. […] Wien ist eine schöne Stadt, vielleicht nicht ganz so schön wie Venedig oder Honolulu, aber trotzdem eine schöne Stadt, auf die ich stolz sein kann, so wie ein Frankfurter auf Frankfurt stolz ist, obwohl er dazu nicht die mindeste Ursache hat. […] Jeder Mensch hat eine Heimat, aber die Heimat mancher Menschen ist einfach furchtbar. Was macht ein Mensch, dessen Heimat Gelsenkirchen oder Liverpool ist? […] Der Sinn jeder Heimat ist es, dass man sie liebt, egal wie scheußlich sie ist. […]

Die Heimatliebe zeigt sich auch daran, dass man andere Leute davon ausschließt, vor allem solche, die weit weg wohnen. Das gilt auch umgekehrt: Es gibt Wiener, die im Alter von zwei Jahren ausgewandert und nie wieder nach Wien zurückgekehrt sind. Aber für uns Wiener bleiben die ihr ganzes Leben lang Wiener, besonders wenn sie es zu etwas gebracht haben. So leicht entlässt man keinen Wiener aus seiner Liebe zur Heimat. Wahlwiener darf es gelegentlich schon geben, Wahlauslandswiener auf keinen Fall. Nur bei Juden machen die Wiener manchmal eine Ausnahme. […] Die Heimat der Wiener liegt in der Illusion. Ihre tägliche Zerstörung ist ein Teil unserer Heimatliebe. […] In unserer Wiener Heimat gibt es keine Einsamkeit. In unserer Heimat wollen alle dasselbe: die Heimat.112

 

Bei Jean Améry heißt es, dass es eine der prägenden „Lebensantworten“ des Exils ist, „dass es keine Rückkehr gibt, weil niemals der Wiedereintritt in einen Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen Zeit ist.“113

 

 

1 Walter Jens: Nachdenken über Heimat. Fremde und Zuhause im Spiegel deutscher Poesie. In: Heimat. Neue Erkundungen eines alten Themas. Hg. von Horst Bienek. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1985, 14–26, hier 25f.

2 Vgl. dazu den Beitrag: Heimatrecht, AEIOU. In: Austria-Forum, das Wissensnetz, http://austria-forum.org/af/AEIOU/Heimatrecht, 28. März 2014.

3 Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Kurze Darstellung des Buchinhaltes (1967). In: Jean Améry: Werke. Band 2, 625 (Beilage zum Brief vom 11.3.1967 an Siegfried Schober, Szczesny Verlag).

4 Jean Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch? In: Jean Améry: Werke. Band 2. Hg. von Gerhard Scheit. Stuttgart: Klett Cotta 2002 (= Jean Améry: Werke. Hg. von Irene Heidelberger-Leonard), 97.

5 Ebd., 625: „Die fünf voneinander unabhängigen, aber durch das Thema eng aneinander gebundenen Aufsätze sind einer der ersten Versuch einer philosophischen Durchdringung der Situation des Nazi-Opfers.“ (J. Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Kurze Darstellung des Buchinhaltes 1967)

6 J. Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Vorwort zur ersten Ausgabe 1966, 22: „Ebenso hatte ich, über Auschwitz und Tortur schreibend, noch nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit gesehen, daß meine Situation nicht voll enthalten ist im Begriff des ‚Naziopfers’: erst als ich zum Ende kam und über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein, nachdachte, fand ich mich im Bilde des jüdischen Opfers.“

7 J. Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 93.

8 Ebd., 107.

9 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 97.

10 Ebd., 110f.

11György Konrád: Vom Exil. Ein Essay über das Verschwinden zu Lebzeiten. In: Die Zeit, 22.12.2003, Nr. 1.

12 Hilde Spiel: Psychologie des Exils (1975). In: Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945, abgehalten vom 3. bis 6. Juni 1975 in Wien. Hg. vom DÖW und der DOKU. Redaktion: Helene Maimann, Heinz Lunzer. Vorwort von BK Dr. Bruno Kreisky. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1977, S. XXII–XXXVII, hier XXXV.

13 G. Konrád: Vom Exil 2003.

14 W. Jens: Nachdenken über Heimat 1985, 25.

15 H. Spiel: Psychologie des Exils (1975), XXII.

16 Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Hg. von Egon Schwarz und Matthias Wegner. Hamburg: Christian Wegner Verlag 1964. Vgl. auch Egon Schwarz’ Autobiographie: Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderjahre. Königstein/Ts.: Athenäum 1979; englische Übs.: Refuge chronicle of a flight from Hitler. Riverside: Ariadne Press 2002. Neuausgabe: Unfreiwillige Wanderjahre. Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente. Mit einem Nachwort von Uwe Timm. München: Beck 2005).

17 Ebd., 11.

18 Ebd., 10.

19Hermann Kesten: „La doulce France" oder Exil in Frankreich. Erstdruck. Mit einem Kommentar von Hendrik Weber. In: Walter Fähnders/Hendrik Weber (Hg.): Dichter – Literat – Emigrant. Über Hermann Kesten. Mit einer Kesten-Bibliographie. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2005, 227–236.

20 Vgl. Fred Wander: Das gute Leben. Erinnerungen. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1996. Überarbeitete Neuausgabe unter dem Titel: Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken. Erinnerungen. Göttingen: Wallstein Verlag 2006. Über das erste Paris-Erlebnis heißt es: Die Szenerie betrachtend fühlte ich mich zum erstenmal mit allen Menschen eins, das war das große Erlebnis von Paris. Ich war ein Ausgestoßener, ein Paria, aber ich gehörte dazu. […] Ich hätte nichts sagen können, worin diese Freiheit besteht. Sie war fühlbar, wie die Luft, wie das Licht von Paris. […] Ich war trunken von dieser Stadt. Ich liebte Paris. Und ich liebte alle Menschen!“ (11 und 14)

21H. Kesten: „La doulce France" oder Exil in Frankreich.

22 Alfred Polgar: Der Emigrant und die Heimat. [Teil von: Der Emigrant und die Heimat. (Eine Glossen-Reihe) 1945/47]. In: Anderseits. Erzählungen und Erwägungen. Amsterdam: Querido-Verlag N.V. 1948, 221–233.

23 Ebd., 225 und 232.

24 Alfred Polgar: Heimat. In: Alfred Polgar: Kleine Schriften. Band 3: Irrlicht. Hg. von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl. 1. Aufl., Reinbek: Rowohlt Verlag 1984, S. 16–19 (Bei dieser Gelegenheit. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag 1930, 35–38. Erstveröffentlichung in: Berliner Tageblatt, Nr. 52, Morgenausgabe, 31.1.1930, 2).

25 Wer sich für die Verwendungen des Wortes „Heimat“ seit dem 19. Jahrhundert interessiert, kann bei Walter Jens Aufschlussreiches nachlesen: „Die Heimat mit Quelle und Wald [hingegen], mit dem Mütterlein und den Trachten, der alten Linde und den raschen Bächlein: die Sonntagsheimat war eine Erfindung von Bürgern, die sich inmitten einer von wenigen Kapitalisten und vielen Industriearbeitern bestimmten Welt ein Refugium zu sichern trachteten, mit dessen Hilfe sie die Bedrohung von oben und unten, durch die Konzerne hier und die Proleten dort, zu kompensieren versuchten: Heimat als verklärtes Gestern, heile Welt und Relikt ständestaatlicher Ordnung im Zeitalter der Verstädterung, Industrialisierung, Vermassung. Heimat: ein geschichtsloser Flecken, in dessen Bannkreis die gesunden und beharrenden Kräfte, Aristokratie und Bauerntum, den revolutionären Mächten des Proletariats und der neuen Bourgeoisie zum Nutzen des deutschen Volkes widerstünden: das Gesunde dem Kranken, das kulturell Gewachsene dem Treibsand der Zivilisation, die familiäre Gemeinschaft jener Anonymität der großen Städte […]. Symbol des Überschaubar-Vertrauten, Überkommenen und Wiedererkennungsfähigen in einer vom Kapitalismus bestimmten Epoche zunehmender Gesichtslosigkeit. [bezogen auf Wilhelm Heinrich Riehls „Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik“].“ (Walter Jens: Nachdenken über Heimat 1985, 15f.)

26 Ebd., 17f.

27 Kurt Tucholsky: Heimat (1929). In: K. T.: Gesammelte Werke. Band 7. Hamburg 1975, 312ff (Nach: Heimat deine Heimat. Ein Lesebuch. Hg. von Jürgen Liebing. Darmstadt und Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag 1982, 57).

28 Ebd.

29 Alfred Polgar: Sonntag Abend. In: Anderseits. Erzählungen und Erwägungen. Amsterdam: Querido Verlag N. V. 1948, 208–214.

30 Ebd., S. 208.

31 Ebd., S. 213.

32 Hilde Spiel schreibt: „Von Leuten dieser Art [maßloses Übertreiben] wurde gesagt, sie gäben sich als Bernhardiner aus, obwohl sie in ihrem Herkunftsland nur Dackel gewesen wären. Aber die manische Phase […] wich unweigerlich Anfällen tiefster Depression, in denen sie jeden Glauben an sich verloren und die Nichtigkeit ihrer Existenz ihnen düster vor Augen stand. Analog zum jüdischen Selbsthaß gab es den Selbsthaß der Exiliierten.“ (H. Spiel: Psychologie des Exils 1975, XXIX).

33 Ebd., 214.

34 Ebd., 212.

35 H. Spiel: Psychologie des Exils (1975), XXII.

36 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch? (1966), 90.

37 Ebd., 92.

38 Thomas Mann: Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn (Küsnacht am Zürichsee, Neujahr 1937). In: Verbannung 1964, 213–220, hier 217.

39 Egon Schwarz: Ausblick. In: Ders.: Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil 1964, 272.

40 Alfred Polgar: Bericht über eine Reise (1923). In: Alfred Polgar: Kleine Schriften. Band 1: Musterung. Hg. von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl. Frankfurt a. M.: Büchergilde Gutenberg 1982, 345f.: „Ich stecke meine Reiseziele nicht weit. Am häufigsten fahre ich nach Wien [wo Polgar seit 1915 wohnt] Reise zu Hause! Denke dich daheim in der Fremde! Eben bin ich angekommen in der Stadt, die ich eben, nach langem Aufenthalt, verlassen habe. Wie ist sie? Entspricht sie dem Bild, das ich von ihr in der Seele trage? Empfangensfroh sieht das Auge zum erstenmal ihm längst gleichgültig Gewordenes, und lüstern weidet Neugier auf Wohlbekanntem, bis zum Überdruß Vertrautem. […] Wenn man zum erstenmal wo ist, sieht man natürlich nur oberflächlich und beiläufig. Solche Fahrt mit dem Ausgangspunkt zum Ziel kann ich jedermann empfehlen. Ob Fernes nahe rückt, wie bei einer richtigen Reise, ob Nahes ferne wird, wie bei meiner Methode, kommt schließlich […] auf eins heraus.“ In der Glossenfolge „Der Emigrant und die Heimat"(1945–1947) heißt es schließlich: „Je länger man in der Fremde lebt, desto fremder wird sie. (Im Anfang scheint es ganz leicht, mit ihr vertraut zu werden.) Je näher man ihr kommt (oder zu kommen glaubt), desto weiter rückt sie weg. Je genauer man sie kennen lernt (oder zu kennen lernen glaubt), desto stärker wird die Empfindung, daß man sie niemals richtig kennen wird. Aber vielleicht gilt das nur für die reifere Jugend über sechzig.“ (A. Polgar: Der Emigrant und die Heimat. 1948, 232).

41 Verse von Günther Anders aus dem Jahre 1943, vorangestellt den Erinnerungen von Elisabeth Freundlich: Die fahrenden Jahre 1992.

42 Mimi Grossberg: Geschichte im Gedicht. Das politische Gedicht der austro-amerikanischen Exilautoren des Schicksalsjahres 1938. Eine Auswahl. 2. Aufl., New York: Austrian Institute 1985.

43 Hermann Broch: Im Flugzeug von Österreich nach England (1938). In: In welcher Sprache träumen Sie? Österreichische Exillyrik. Hg. von Miguel Herz-Kestranek, Konstantin Kaiser, Daniela Strigl. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2006, 86.

44 Ebd.

45 Ebd., 86f.

46 Vgl. E. Schwarz: Verbannung 1964, 60.

47 Ebd.

48 Ebd.

49 Ebd.

50 Heinrich Mann: Der Sinn dieser Emigration (Aus: Heinrich Mann und ein junger Deutscher: Der Sinn dieser Emigration. Schriftenreihe des europäischen Merkur, Paris 1934). In: Egon Schwarz (Hg.): Verbannung 1964, 169.

51 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch, 86.

52 Ebd., 87. Zu Beginn des Essays heißt es: „…die schwarzen Tannen sahen nicht anders aus als ihre Schwestern in der Heimat, aber es waren schon belgische Tannen, wir wussten, dass sie uns nicht haben wollten.“ (86)

53 Stefan Zweig: Abschied von Wien. In: Egon Schwarz (Hg.): Verbannung 1964, 45.

54 Theodor Kramer: Andre, die das Land so sehr nicht liebten (17. Juli 1938). In: Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte. Hg. von Erwin Chvojka. Band 1. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, 369.

55 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch, 96.

56 Ebd., 90.

57 Ebd.

58 Ebd., 97.

59 Ebd.

60 Stefan Zweig: Widersinn des Lebens. Brief vom 29. 7.1940 an Thomas Mann. In: Egon Schwarz (Hg.): Verbannung 1964, 201.

61 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 102.

62 Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. In Zusammenarbeit mit Evelyn Adunka, Nina Jakl, Ulrike Oedl. Wien, München: Deuticke 2000, 17.

63 E. Schwarz: Verbannung 1964, 61.

64 Käthe Braun-Prager: Heimat in der Fremde. Erlebnisse und Erzählungen aus England. Mit einem Nachwort von Felix Braun. Wien: Österreichische Verlagsanstalt 1968.

65 H. Spiel: Psychologie des Exils 1975, XXXI.

66 Theodor Kramer: Von den Faustregeln (7.12.1941). In: Th. K.: Verbannt aus Österreich. Nach: Th. Kramer. Gesammelte Gedichte 1. Hg. von Erwin Chvojka. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, 317.

67 Bei Guido Zernatto kann man in seinem in New York entstandenen Gedicht „Dieser Wind der fremden Kontinente“ lesen: „Ich bin hier verloren/Wie ein Waldtier, das in Winternächten schreit.“ (Aus: Die Sonnenuhr. Salzburg: Otto Müller 1967, 127. Nach: Mimi Grossberg: Geschichte im Gedicht 1982/1985, 34.)

68 Th. Kramer: Von den Faustregeln (7.12.1941). In: Th. K.: Verbannt aus Österreich. Nach: Th. Kramer. Gesammelte Gedichte 1. Hg. von Erwin Chvojka. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, 317.

69 „Am 24. Juli 1944, vier Tage nach dem letzten vergeblichen Versuch, Hitler zu beseitigen und sein Regime zu stürzen, befreien sowjetische Truppen das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek bei Lublin. Eine halbe Million Menschen aus ganz Europa ging durch dieses Lager. über 250.000 Häftlinge, vor allem Polen, Juden und Russen, fanden hier den Tod. Sie wurden vergast, erschossen oder starben an Entkräftung. Die SS hatte keine Zeit mehr, die Gaskammern und das Krematorium zu sprengen. So blieben die Vernichtungsanlagen vollständig erhalten.“ (vgl. Haus der Wannsee-Konferenz: http://www.ghwk.de/index.htm)

70 Theodor Kramer: Auf einen Vogelbeerbaum in Staffordshire. In: Theodor Kramer: Verbannt aus Österreich. Neue Gedichte. London W.: Austrian P.E.N. 119, Sussex Gardens 1943. (auch in: Gesammelte Gedichte 1. Hg. von Erwin Chvojka. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, 291f.; Theodor Kramer: Ausgewählte Gedichte. Hg. von Karl Müller und Peter Roessler. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2018, 63f.)

71 Ebd., 292.

72 Fritz Kalmar: Das Herz europaschwer. Heimwehgeschichten aus Südamerika. Wien: Picus Verlag 2001. (auch als CD). Die Erzählung heißt „Übersetzung der Gefühle“.

73 Berthold Viertel: Auswanderer. In: Das neue Tagebuch, 5.6.1937 (Nach: Mimi Grossberg 1982/1985, 23).

74 Bei Jean Améry heißt es über den schwierigen bis unmöglichen Prozess, „eine neue Heimat [zu] finden“: „Man kann unter Umständen im fremden Land so ‚zu Hause sein’, dass man am Ende die Fähigkeit besitzt, die Menschen nach ihrer Sprache, ihren Gesichtszügen, ihren Kleidern sozial und intellektuell zu situieren, dass man Alter, Funktion, wirtschaftlichen Wert eines Hauses auf den ersten Blick erkennt, dass man die neuen Mitbürger mühelos anschließt an ihre Geschichte und Folklore. Es wird aber gleichwohl auch in diesem günstigen Fall für den Exilierten, der schon als erwachsener Mensch ins neue Land kam, der Durchblick durch die Zeichen nicht spontan sein, vielmehr ein intellektueller mit einem gewissen geistigen Müheaufwand verbundener Akt.“ (J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 96).

75 Carl Zuckmayer: Aufruf zum Leben (Aus: Aufbau, Nr. 12, 1942). In: Egon Schwarz: Verbannung 1964, 12f.

76 A. Polgar: Der Emigrant und die Heimat, 232.

77 Ebd.

78 Thomas Mann: Ansprache im Goethe-Jahr 1949. Ähnlich auch in seiner „Ansprache in Weimar“ (1949) In: Thomas Mann: An die gesittete Welt. Politische Schriften und Reden im Exil. Nachwort von Hanno Helbling. (= Gesammelte Werke in Einzelbänden. Frankfurter Ausgabe. Hg. von Peter de Mendelssohn). Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 1986, 780.

79 Berthold Viertel: Der nicht mehr Deutsch spricht. In: Mimi Grossberg 1982, 38.

80 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 99.

81 Ebd.

82 Ebd.

83 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 97.

84 H. Spiel: Psychologie des Exils, XXXI.

85 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 104.

86 Günther Anders: Lebenserlaubnis. Aus: Der Emigrant. In: Merkur, H. 7, 1962 (Nach: Egon Schwarz: Verbannung, 178).

87 Ernst Bloch: Zerstörte Sprache – zerstörte Kultur. (Aus einem Vortrag im Schutzverband deutscher Schriftsteller, New York 1939). In: Egon Schwarz: Verbannung, 184.

88 Ebd., 182.

89 Ebd.

90 Ebd., 186f.

91 G. Anders: Lebenserlaubnis, 178.

92 Ebd., 176.

93 Ebd.

94 Emil Alphons Rheinhardt: Grabschrift. In: In welcher Sprache träumen Sie? Österreichische Exillyrik. Hg. von Miguel Herz-Kestranek, Konstantin Kaiser, Daniela Strigl. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2006, 394. Weitere Gedichte (Abschied, Jähes Schaudern, Was soll uns …, Lied in der Nacht, Nacht der Kindheit) sind in der folgenden Anthologie abgedruckt: Dein Herz ist deine Heimat. Hg. von Rudolf Felmayer. Wien: Amandus-Verlag 1955. Einschlägige Sekundärliteratur ist verzeichnet im „Lexikon der österreichischen Exilliteratur“ (2000).

95 G. Anders: Lebenserlaubnis, 177.

96 Ernst Waldinger: Ich bin ein Sohn der deutschen Sprache. In: E.W.: Noch vor dem jüngsten Tag. Ausgewählte Gedichte und Essays. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Karl-Markus Gauß. Salzburg: Otto Müller Verlag. 86. Im Sonett „Mein künftiges Wort“ (noch in Wien, 13. Mai 1938) heißt es vorausahnend: „Inmitten fremder Laute wird mein Wort, / Von Einsamkeit gehärtet, um so freier / Sich selbst belauschen können; in der Leier / Klirrt frostig noch ein Rest von Sehnsucht fort. // Doch bald ist er verhallt; und wie ein Port / Des Schweigens über dem Geschwätz der Schreier / Ist mein Gedicht nun, wie ein Wald, ein Weiher, / Den keine Wolke wirklich trübt, ein Hort // Der ruhig spiegelnden Gerechtigkeit. / Verachtung kennt ich wohl, doch sie entweiht / Des Sängers reine Stimme, dass sie schrill wird – / So will ich, da die Heimat mich verstößt, / Daß sich mein Wort vom Lärmend-Trüben löst, / Das sie umdunkelt, dass es sanft und still wird.“ (82)

97 Stella Rotenberg: „Scherben sind endlicher Hort ...“. Ausgewählte Lyrik und Prosa. Hrsg. von Primus-Heinz Kucher u. Armin A. Wallas. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1991. (= Antifaschistische Literatur und Exilliteratur Nr. 6 ); Meine wahre Heimat. Ins Englische übers. von Herbert Kuhner. Klagenfurt: Alekto-Verlag 1999. (= Edition Mnemosyne 8); An den Quell. Gesammelte Gedichte. Hrsg. u. mit e. Vor- u. Nachw. vers. von Siglinde Bolbecher und Beatrix Müller-Kampel. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 2003. 

98 S. Bolbecher/K. Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur, 17.

99 Ebd.

100 Ursula Seeber (Hg.): Ein Niemandsland, aber welch ein Rundblick! Exilautoren über Nachkriegs-Wien. Wien: Picus Verlag 1998 (= Österreichische Exilbibliothek). Vgl. auch Texte des Sammelbandes: Adi Wimmer (Hg.): Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat. Erinnerungen österreichischer Juden aus dem Exil. Wien 1993 (Es handelt sich dabei um insgesamt 38 autobiographische Texte, hauptsächlich von nicht-literarischen VerfasserInnen.)

101 Ebd., S. 29, 67 und 169. Der Bogen der Beiträger/innen reicht dabei von Günther Anders, Ulrich Becher, Jimmy Berg, Franz Theodor Csokor, Albert Drach, Ernst Fischer über Theodor Kramer, Georg Kreisler, Ruth Klüger, Ernst Lothar, Robert Neumann, Felix Pollak bis Hilde Spiel, Friedrich Torberg, Fred Wander, Ernst Waldinger und Harry Zohn.

102 S. Bolbecher/K. Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur 2000, 19.

103 J. Améry: Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 102.

104 A. Polgar: Der Emigrant und die Heimat, 226 und 223.

105 Ebd., 233.

106 Vgl. Jacqueline Vansant: Exil, Rückkehr, Heimkehr - Topographien des Erinnerns (Online-Projekt: www.literaturepochen.at/exil). Es werden folgende Beispiele genannt: Ernst Lothar: Das Wunder des Überlebens 1960, Hans J. Thalberg: Von der Kunst, Österreicher zu sein 1984, Stella Klein-Löw: Erinnerungen: Erlebtes und Gedachtes 1980, Franziska Tausig: Shanghai Passage 1987, Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten 1989; Welche Welt ist meine Welt? 1990, Elisabeth Freundlich: Die fahrenden Jahre 1992, Minna Lachs: Warum schaust du zurück? 1986; Zwischen zwei Welten 1992.

107 Carl Zuckmayer: Henndorfer Pastorale. In: C.Z.: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Hg. von Knut Beck und Maria Guttenbrunner-Zuckmayer. Band: Die Fastnachtsbeichte. Erzählungen 1938–1972. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996, 311–362, hier 360 und 362.

108 Carl Zuckmayer: Elegie von Abschied und Wiederkehr. In: C.Z.: Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993 (1966), 455.

109 Ernst Waldinger: Gekritzel im Hausflur. In: Ders.: Noch vor dem jüngsten Tag. Ausgewählte Gedichte und Essays. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Karl-Markus Gauß. Salzburg: Otto Müller Verlag 1990, 98 (Aus der Sammlung „Zwischen Hudson und Donau“ Wien 1958).

110 Fritz Kortner: Letzten Endes. In: Ursula Seeber (Hg.): Ein Niemandsland, aber welch ein Rundblick! Exilautoren über Nachkriegs-Wien. Wien: Picus Verlag 1998 (= Österreichische Exilbibliothek), 126 (Aus: Fritz Kortner: Letzten Endes. Fragmente. Hg. von Johanna Kortner. München: Kindler-Verlag 1971).

111Theodor Kramer: Wiedersehen mit der Heimat. In: Ders.: Gesammelte Gedichte. Band 3. Hg. von Erwin Chvojka. Wien: Zsolnay Verlag 1989, 590.

112 Georg Kreisler: Heimat. In: Ursula Seeber (Hg.): Ein Niemandsland, aber welch ein Rundblick! Exilautoren über Nachkriegs-Wien. Wien: Picus Verlag 1998 (= Österreichische Exilbibliothek), 200-204. (Aus: Georg Kreisler: Ist Wien überflüssig? Satiren über die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin. Wien: Ueberreuter 1987).

113 J. Améry. Wieviel Heimat braucht der Mensch?, 87.