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Alexander Emanuely
Neues Licht auf alte Fragen
Wiener Freimauer und Schriftsteller im Exil

Unsere Bausteine...
Im Jahr 2009 erschien ein Buch im Löcker Verlag, welches für die Exilforschung von einigem Interesse sein wird. Der Autor dieses Buches ist Günter K. Kodek, pensionierter Buchbinder und -drucker, engagierter Vizepräsident des Wiener Roten Kreuzes und Autor diverser Wienführer. Das Buch heißt "Unsere Bausteine sind die Menschen. Die Mitglieder der Wiener Freimaurer Logen 1869-1938"1 und beinhaltet eine Liste von ca. 5.300 Wiener Freimaurern mit dazugehörigen Kurzbiographien. Doch was wie ein namedropping aussieht, ist nicht nur für Biographen ein unglaubliches Quellenmaterial.
Freimaurer? Das klingt nach geheimen Machenschaften, zumindest für viele Menschen in Ländern wie Österreich, wo allzu lange Zeit die katholische Kirche und autoritäre bis totalitäre Regime alle möglichen Vorurteile und Ressentiments gegen Freimauer und Freimaurerinnen in die Welt setzen konnten. Wohl gemerkt Freimaurerinnen, denn obwohl immer von einem Männerbund gesprochen wird, gibt es in Österreich seit den 1920er Jahren, mit der Unterbrechung von 1938 bis 1945, auch solche. Diese Frauen hätte Günter K. Kodek auch gerne in seine Namensliste aufgenommen, doch hatte er nicht, wie in der Einleitung zu lesen ist, die Mitgliedernamen der aus Frauen und Männer zusammengesetzten Wiener Logen "Vertrauen" und "Harmonie" des "Droit Humain". Hier seien nur einige erwähnt: Mary Dickenson-Auer, irische Komponistin und Geigenvirtuosin, die auch während der Nazizeit in Wien lebte, jedoch Berufsverbot hatte; Paul Pisk, Schüler Arnold Schönbergs, Musikkritiker der Arbeiter-Zeitung, Komponist, floh in die USA, wo er an mehreren Universitäten unterrichtete; Johanna Kampmann-Freund, die erste Malerin, die 1927 einen Staatspreis erhielt, wurde 1939 mit Berufsverbot belegt und starb 1940 in Wien.2
Diese Lücken werden sich sicher mit der Zeit schließen, sie zeigen jedoch gut auf, wie viel zum Thema Freimaurerei in Österreich noch zu erforschen ist, insbesondere seit der Öffnung der Moskauer Archive in den 1990er Jahren, wo viele der von der Gestapo konfiszierten Logen-Archive nach 1945 gelandet sind. Kodek ist sich dessen bewusst und weist in seiner Einleitung darauf hin.

Exil und Verfolgung
Viele Wiener Freimaurer emigrierten nach dem März 1938, jene, die es nicht schafften, wurden großteils spätestens bis 1942 in den Vernichtungslagern und den Ghettos im Osten ermordet, doch meistens führten die Transporte zuerst nach Theresienstadt. Vielleicht haben die vielen Freimaurer in Theresienstadt so wie jene sieben belgischen Freimaurer und Widerstandskämpfer 1943 im KZ Esterwegen eine Loge gegründet. Von jener im KZ Esterwegen, welche "Liberté chérie" hieß, haben zwei Mitglieder überlebt und konnten Zeugnis ablegen. Das KZ Theresienstadt und die Folgestationen der Vernichtung hat kaum einer der deportierten Wiener Freimaurer überlebt, jedenfalls keiner, der Ähnliches berichten konnte.3
Jene, die es in ein sicheres Exil schafften, etwa Großbritannien oder USA, gründeten fleißig wieder Logen, in enger Zusammenarbeit mit den dort bestehenden. Die der Österreicher in London hieß zuerst als Arbeitsgruppe "Mozart-Circle", dann "Mozart-Lodge No. 6997", und die in New York "Humanitas Lodge No. 1123". Es gab auch in Buenos Aires eine Loge, die in Kodeks Buch immer wieder erwähnt wird, sie hieß "Humanitas No. 387", und der Schriftsteller, Pazifist und Dramaturg Heinrich Glücksmann war eines ihrer Mitglieder. Bei ihm kann man die Mitgliedschaft sogar im mittlerweile vergriffenen Lexikon der österreichischen Exilliteratur4 nachlesen, da erfährt man, dass er Redakteur der freimaurerischen Zeitschriften "Der Zirkel" und "Wiener Freimaurer-Zeitung" war und "1941 [...] seinem Sohn Hans ins Exil nach Argentinien, wo er Kontakt zur Freien Deutschen Bühne und zu den Freimaurern hatte", gefolgt war.
Man schätzt, dass 1938 70 bis 80% der Wiener Freimaurer durch die antisemitischen Gesetze der Nazis bedroht waren. Das war kein Zufall, da die Großloge von Wien, ihre Logen und die von ihnen unterstützten Vereine bis zum "Anschluss" wohl die letzten überparteilichen Organisationsstrukturen in Österreich waren, die weder einen offiziellen, noch einen inoffiziellen Arierparagraphen kannten. Die ermordeten und vertriebenen Wiener Freimaurer wurden in erster Linie als Juden verfolgt. Einzig exponierte Freimaurer, wie der Großmeister Richard Schlesinger, einst Richter am Obersten Gerichtshof, am 5. Juni 1938 an den Folgen der Haft verstorben, und etliche Logenbeamte, also sozusagen die "Vorstandsmitglieder" der einzelnen Logen, wurden in den Monaten nach dem Anschluss dezidiert als solche verhaftet. Die Freimaurerei und ihre Logen waren für die Nazis neben den "Juden" und den "Bolschewisten" Feindbild Nr.1. Natürlich verhielt es sich umgekehrt nicht anders; die meisten Wiener Freimaurer waren entschiedene Gegner des Nationalsozialismus.
Man wirft der Freimaurerei Geheimnistuerei vor, diese wurde sicherlich in dieser Zeit und während der Verfolgungen in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor gestärkt, es galt und gilt sich zu schützen, denn auch im Jahre 2010 wird man als Freimaurer z.B. in Saudi-Arabien oder im Iran, wo es bis 1979 eine lange masonische (vom engl. "mason": Maurer) Tradition gab, zum Tode verurteilt. Zumindest haben katholische Mitglieder einer Loge seit 1983 keine Exkommunikation mehr zu befürchten, sondern nur noch eine moralische Verurteilung.

Die Freimaurer der Ersten Republik
Das zivilgesellschaftliche Leben im Wien der Ersten Republik war vielfach mit den Freimaurern verbunden, was mit der besonderen Geschichte der österreichischen Freimaurerei zu tun hat. 1869 wurden Freimauerlogen – nach einem ersten Verbot und einer brutalen Verfolgung ab 1794 – wieder erlaubt. In ihnen trafen sich nun progressiv Gesinnte im Zeichen von Aufklärung und Fortschritt. Anders als in der ungarischen Reichshälfte sah das Vereinsgesetz in der österreichischen Hälfte der Monarchie jedoch vor, dass Vereinsversammlungen jederzeit von Polizeibeamten inspiziert werden konnten, was für eine Loge mit ihren nur Eingeweihten bekannt sein sollenden Codes und Ritualen kaum akzeptabel war. So trafen sich die Wiener Freimaurer im nahen Bratislava oder im heute burgenländischen Neudörfl. Solche Logen, von denen es 19 gab, nannten sich Grenzlogen. Die Abende waren so organisiert, dass man mit der letzten Bahn nach Wien zurück gelangen konnte.
Mit der Ersten Republik fielen diese Einschränkungen weg, und 1918 wurde in Wien eine Großloge, der sich alle Wiener Grenzlogen anschlossen, gegründet. Der sozialdemokratische Staatssekretär Ferdinand Hanusch, Begründer der österreichischen Sozialgesetzgebung und seit 1908 Mitglied der Grenzloge "Lessing zu den drei Ringen", hatte sich persönlich um eine schnelle Gesetzesänderung gekümmert. Sozialisten in den Logen waren keine Seltenheit, obwohl die Freimaurerei eher den Ruf der Bürgerlichkeit hat. Man arbeitete jedoch nach dem durchaus masonischen Grundsatz "... auf die sozio-ökonomische Sonderstellung einer Klasse zu verzichten und sich der Vervollkommnung der Gesamtmenscheit zu verschreiben."5
Doch nicht nur am Kampf für soziale Rechte, sondern auch an jenem für Frieden und Menschenrechte waren Wiener Freimaurer maßgeblich beteiligt, man denke nur an den Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried (1908, Loge Sokrates) und Rudolf Goldscheid (Loge Ardens), ersterer als Gründer der Friedensgesellschaft, letzterer als Gründer der österreichischen Sektion der Internationalen Liga für Menschenrechte. Daneben sahen etliche Freimauer für sich bis 1938 noch viele weitere zivilgesellschaftliche Tätigkeitsfelder. Bernd Gallob schreibt dazu, dass ein "... modern-humanistisches Netzwerk ... im Rahmen der Großloge von Wien geplant und gegründet wurde, um im 'profanen' Leben in modernisierend-masonischem Geist wirksam werden zu können."6 Das Engagement, etwa in der im Sinne des Pazifismus kräftig unterstützten internationalen Völkerbundliga, wird im Exil unverhofft von Bedeutung sein - immerhin hatte diese Friedensorganisation 1931 weltweit 400.000 Mitglieder.7

Seitenwechsel
Wenn sie auch nicht verboten werden, so werden die Logen während des Ständestaates von der Polizei offen überwacht. Einige Mitglieder treten aus. Schließlich werden 1938 die Logenräume von den Nazis zerstört, die vorgefundenen Archive beschlagnahmt, exponierte Mitglieder verhaftet, die Logenvermögen, Fonds und Immobilien, beschlagnahmt, gestohlen. Es gab jedoch, wie man bei Norbert Knittler in seiner Arbeit über die Mitglieder der Loge "Zukunft" während der Nazizeit8, aber vor allem in Günter K. Kodeks Buch nachlesen kann, auch Freimaurer, welche versuchten, sich den Nazis anzubiedern. Es wären z.B. sechs Mitglieder (von 132) der Loge "Zukunft"9 gerne gute NSDAP-Mitglieder geworden, doch wurde dies mit dem Argument, dass sie Freimaurer gewesen seien, abgelehnt. Eine Ausnahme war der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey, von 1919 bis 1931 Mitglied der Loge "Zukunft". Er war jedoch nicht nur NSDAP-Mitglied mit Nr. 8,751.771, wie man bei Günter K. Kodek nachlesen kann, sondern auch im Ständestaat Mitglied des Staatsrates und nach dem Krieg Mitglied des PEN-Clubs. 1957 erhielt er gemeinsam mit Heimito von Doderer den Österreichischen Staatspreis für Literatur. Sein Gedicht "Oh Heimat, dich zu lieben" wurde nach seinem Tod niederösterreichische Landeshymne. Freimauer jedoch hätte Franz Karl Ginzkeys nach 1945 nicht mehr werden können. Im Gegensatz zu anderen Institutionen und Vereinen in Österreich waren zumindest die Wiener Logen strikt darauf bedacht, keine ehemaligen Nazis oder Parteianwärter wieder als Mitglieder aufzunehmen. Ermordung, Exil und die strenge Haltung gegenüber den "Ehemaligen" führten wohl auch dazu, dass sich 1946 von 873 registrierten Mitgliedern der diversen Logen der Großloge von Wien des Jahres 1937 nur noch 48 fanden, um die Freimaurerei in Wien wieder zu beleben. Dafür meldeten sich viele im Exil lebenden Mitglieder wieder und wurden, wenn sie nicht nach Wien zurückkehrten, quasi Ehrenmitglieder. Diese schickten Care-Pakete und sammelten Geld für Wien und organisierten, finanzierten Aufenthalte für etliche "Butterkinder".

Die Schriftsteller
In Günter K. Kodeks Buch kann man Schriftsteller entdecken, die selbst im Lexikon der österreichischen Exilliteratur, von dem eine überarbeitete Neuauflage in Vorbereitung ist, noch nicht vorzufinden sind. Da gibt es zum Beispiel Emil Müller-Sturmheim, der Bücher wie "Der Narr der Liebe" (1920) oder "Die am Krieg verdienen" (1934) geschrieben hat. Im Londoner Exil wird er eine zentrale politische Rolle spielen und im wahrsten Sinne federführend in der "Austrian Democratic Union" sein. Schon in Wien hatte er die örtliche Sektion der Völkerbundliga geleitet. 1920 war er in die Loge "Kosmos" aufgenommen worden und in London Mitglied der "Mozart-Lodge No. 6997" geworden.
Zu erwähnen ist auch der ebenfalls nach London geflohene Hanns Margulies, der 1913 neben Albert Ehrenstein, Georg Trakl und anderen Gedichte in "Die Pforte – Anthologie Wiener Lyrik" publiziert hat und später ein bekannter Gerichtsberichterstatter und Theaterdramaturg wurde. Auch war er künstlerischer Leiter des, wie es heißt, politisch schärfsten Kabaretts der 1930er Jahre, des ABC im Café Arkaden (heute Café Votiv) gewesen. Er war 1926 in die Loge "Zukunft" aufgenommen worden, trat jedoch 1931 wieder aus.
Dann Moritz Scheyer, 1914 in die Grenzloge "Humanitas" aufgenommen, Mitglied des PEN-Clubs, Autor von "Schrei aus der Tropennacht" oder "Flucht ins Gestern", beides um 1926 geschrieben. Er war 1938 nach Frankreich geflohen und, wie man bei Günter K. Kodek nachlesen kann, "zweimal verhaftet, interniert und wieder geflüchtet". Er sollte auf diese Art und Weise mit Glück die Verfolgung überleben. Es bleibt zu untersuchen, ob französische Freimaurer, die ebenfalls verboten und verfolgt und stark in der Résistance vertreten waren und deren "Comité d'Action Maçonnique" sich vor allem um jüdische Flüchtlinge und abgestürzte alliierte Piloten kümmerte, ihm dabei geholfen haben.10
Oder Carl Graf Lonyay, Studienkollege von Bruno Kreisky, ab 1929 Mitglied der Loge "Labor", bis 1937 Mitglied des obersten Gremiums der Großloge von Wien, dann Exil in Großbritannien und in den USA. Er unterrichtete Geschichte in Berkeley, wo er weiterhin aktiver Freimaurer blieb und war Autor historisch-biographischer Bücher, darunter sein berühmtestes: "Rudolph: The Tragedy of Mayerling" (1949). Daneben war er historischer Berater, technical advisor bei Filmen, wie z.B. 1954 bei "Désirée" mit Jean Simmons und Marlon Brando. Im Archiv der University of California warten seine Autobiographie mit dem Titel "As a Hussar Saw it", der Roman "The Lieutnant Remained a Virgin", das Script "The Prisoner - story of Napoleon II and Fanny Elsler" und weitere Manuskripte in elf Boxen auf ihre Veröffentlichung.
Als mögliche Kandidaten für das Lexikon wären auch zu erwähnen: Herbert Stein (1936, L. Sokrates), Georg Friedrich Walz (1921-1926, Loge Zukunft), Rudolf Huber-Wiesenthal (1921, L. Zukunft), der Ehemann von Käthe Braun-Prager: Max Prager (1921, Loge Fortschritt), Rudolf Cefarin (1928, Loge W.A. Mozart, Graz), Justinian Frisch (1925, Loge Kosmos), Max Herz (1920, Loge Kosmos, Humanitas Lodge in New York), Ludwig Brügel, der Vater von Fritz Brügel (1907-34 Grenzloge, dann Loge Sokrates, 1942 im KZ Theresienstadt ermordet) und Max Hayek (Loge Humanitas), der in der Pogromnacht vom 9. November 1938 ermordet wurde. Natürlich gibt es auch jene Schriftsteller, die in beiden Büchern vorkommen, wie Leopold Langhammer (Ansuchen 1920, Loge Zur Wahrheit), Robert Lohan (1930, Loge Zukunft, Humanitas Lodge in NY), Ernst Lothar (1924, Loge Kosmos), sein Bruder Hans Müller (1926, Loge Zukunft), Rudolf Lothar Spitzer (1892, Grenzloge, dann Loge Freundschaft), Max Roden (1927, Loge Freundschaft, Humanitas Lodge NY), Felix Salten (1926-37 Loge Zur Wahrheit), Fritz Brügel (1923-34 Loge Sokrates), Heinrich Glücksmann (1893, Grenzloge, dann Loge Eintracht, Loge Humanitas No. 387 in Buenos Aires), Ferdinand Czernin (Ansuchen 1936, Loge Zukunft). Unter den ermordeten Autoren sind zu nennen: Max Fleischer (1922, Loge Treue), bei dem man jedoch nur im Lexikon der österreichischen Exilliteratur, nicht aber bei Günter K. Kodek erfährt, dass er Schriftsteller war, ermordet 1941 im KZ Włodawa, und Fritz Grünbaum (1924, Loge Schiller), ermordet 1941 in Dachau.
Dass man bei Günter K. Kodek fast immer nachlesen kann, wer wann in welcher Loge war, ist nur eine von vielen bis dato oft unbekannten biographischen Informationen, die dieses Buch liefert. Doch was ist eine Loge und wieso ist die Erwähnung so wichtig? Eine Loge umfasst sieben bis manchmal über hundert Mitglieder. Mehrere Logen bilden eine Großloge oder einen Großorient. Fast in jedem Land der Welt, außer dort, wo die Freimaurerei verboten ist, gibt es eine oder mehrere Großlogen, manche sind eher esoterisch, manche sehen sich als älteste Vereinigung der modernen Zivilgesellschaft. Man versammelt sich regelmäßig mindestens zweimal im Monat in seiner eigenen Loge oder besucht, z.B. auf Reisen in einem anderen Land, eine dortige. Bei den Logentreffen philosophiert man in einem rituellen Rahmen über die Fragen der Zeit und über zeitlose Fragen, über eine humanere, solidarischere Welt und sammelt nebenbei Geld für wohltätige Zwecke und das seit fast 300 Jahren, weltweit, in allen möglichen Sprachen. Diese Treffen bilden aber vor allem einen kontinuierlichen, regelmäßigen Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen.

Die Loge als Exilorganisation
Es kann durchaus die These aufgestellt werden, dass die Logen wichtige Exilorganisationen waren, die nicht nur aus dem Machtbereich der Nazis geflohene Freimaurern, sondern Flüchtlingen im allgemeinen geholfen haben. Da sie in den Logen im Zufluchtsland mit Menschen zusammentrafen, die ihnen solidarisch gesinnt waren, konnten sich geflohene Freimaurer dank einem massiven social support nicht nur etwas leichter mit der neuen, traurigen Situation zurecht finden, manche von ihnen konnten auch rascher Verbündete in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus gewinnen.
Ein Beispiel für einen solchen Kampf könnte die 1941 gegründete "Austrian Democratic Union" in London sein. Der schon erwähnte Emil Müller-Sturmheim stand mit Julius Meinl, der kein Freimaurer war, der Organisation vor. Im Vorstand saßen fast nur Wiener Freimaurer, wie der Rechtsanwalt Paul Abel, über den im Buch von Günther K. Kodek zu lesen ist: "... auf der Liste der Gestapo als 'gefährlicher Freimaurer' bezeichnet, ohne Hinweis auf eine bestimmte L.", der Soziologe Friedrich Otto Hertz (1906, Grenzloge Zukunft, Gründungsmitglied der Mozart-Lodge No. 6997) und Karl Kapralik (1930, Loge Goethe, Mozart-Lodge No. 6997). Der Union gehörten auch prominente Briten an wie Lord Robert Cecil, meist unter dem Namen Viscount Cecil of Chelwood erwähnt, der nicht nur von 1923 bis 1946 Präsident der Völkerbundliga, sondern auch des Völkerbundes selbst war. Er gehörte zu jenen prominenten britischen Politikern, die 1940 heftig und schließlich erfolgreich gegen die Internierung von Flüchtlingen als enemy aliens protestierten. Lord Cecil war wahrscheinlich kein Freimaurer11, dafür aber Friedensnobelpreisträger.
Wenn man nun die Union als Organisation betrachtet, der überwiegend Wiener Freimaurer angehörten, kann zumindest folgender Satz in Helene Maimanns 1975 publizierter Arbeit "Politik im Wartesaal", einem Standardwerk über das österreichische Exil in Großbritannien, umformuliert werden: "In ihren politischen Auffassungen trafen sich die rund 200 Mitglieder der Demokratischen Union auf der Plattform des bürgerlichen Liberalismus und Fortschrittsglaubens, nahmen aber auch Grundsätze der französischen Revolution auf."12 Und zwar dahingehend, dass es für viele Freimaurer kein "aber auch" zwischen Liberalismus, Fortschrittsglauben und der Erklärung der Menschenrechte gab und gibt.

Ausblick
Dass die Freimaurerei in der österreichischen Exilforschung bis jetzt noch kaum beachtet wurde, ist verwunderlich. Falls nun ForscherInnen ein solches Projekt anvisieren, werden ihnen die von Günter K. Kodek zusammengetragenen Kurzbiographien der Mitglieder der Wiener Logen jedenfalls eine große Hilfe sein. Ebenfalls in diesem Zusammenhang ist das neue Buch von Marcus G. Patka, der in den letzten Jahren schon einiges zum Thema publiziert hat13, von Interesse. Sein eben erschienenes Buch heißt "Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus. Treue und Verrat". Ein äußerst ausführliches Kapitel ist dem Exil der österreichischen Freimaurer gewidmet.

Günter K. Kodek: Unsere Bausteine sind die Menschen. Die Mitglieder der Wiener Freimauerer Logen 1869-1938. Wien Löcker 2009. 400 S. Euro 49,-

Anmerkungen
1 Zu erwähnen ist, dass vom selben Autor 2009 ebenfalls bei Löcker "Zwischen verboten und erlaubt – Chronik der Freimaurerei in der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867-1918 und der I. Republik 1918-1938" erschienen ist.
2 Material beim Autor.
3 Von den Nazis deportierte und gefangene Freimaurer konnten sich am ehesten noch in Kriegsgefangenenlagern treffen. Darüber gibt es etliche Berichte. In Österreich weiß man z.B. von fünf, sechs Treffen von Soldaten des britischen Commonwealth im Frühling 1942 im "Stalag 18A" in Wolfsberg in Kärnten (vgl. www.freemasons-freemasonry.com/prisoner.html. In Buchenwald hatte sich eine Gruppe von rund 100 Freimaurern aus ganz Europa gefunden. Die meisten von ihnen waren auch in den verschiedenen politischen Gruppen und vor allem im "Internationalen Lagerkomitee Buchenwald" aktiv. (Vgl. Eric Saunier: Encyclopédie de la Franc-Maçonnerie. Paris: Pochothèque 2000, 713).
4 Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser in Zusarbeit mit E. Adunka u.a.: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien: Deuticke 2000.
5 Norber Leser: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus, Wien: Wiener Volksbuchhandlung 1964, 370.
6 Bernd Gallob: Die Österreichische Liga für Menschenrechte. Ein Bericht zur Geschichte ihrer Gründung. In Margarete Grandner, Wolfgang Schmale, Michael Weinzierl (Hg.): Querschnitte 9: Grund- und Menschenrechte. Wien, München: Oldenbourg 2002, 355.
7 Peter Barberis (Hg.): Encyclopedia of British and Irish political organizations: parties, groups and movements of the Twentieth Century. London: Pinter Publisher 2000, 388.
8 Norbert Knittler: Der verlorene Koffer. Eine Geschichte der österreichischen Freimaurerei während des Nationalsozialismus. Wien 2004.
9 Ebd.
10 Man schätzt, dass fast 20% der französischen Freimaurer und Freimaurerinnen in der Résistance aktiv waren. (Vgl. E. Saunier, wie in Anm. 3, 712).
11 Eugen Lennhoff, Oskar Posner: Internationales Freimaurerlexikon. Wien: Amalthea 1973, 1658.
12 Helene Maimann: Politik im Wartesaal. Österreichische Exil in Großbritannien 1938 – 1945. Wien 1975, 99.
13 Marcus G. Patka: Die israelitischen Humanitätsvereine B'nai B'rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit. In: Frank Stern, Barbara Eichinger (Hg.): Wien und die jüdische Erfahrung, 1900-1938: Akkulturation, Antisemitismus, Zionismus. Wien: Böhlau 2009, 115-130.