Richard Schuberth
Auch du, mein Sohn Judas Ischariot?
Was hat der Fall Heller mit Antisemitismus zu tun?
So viel gäbe es an André Heller zu kritisieren. Man tut es nicht, weil das Objekt solch einer Kritik dann doch nicht genug hergibt. Man hat mit 19 schließlich auch aufgegeben, Gläubige von der Nichtexistenz Gottes zu überzeugen. So viel also wäre ulkig an diesem Paradiesvogel mit besten Medienkontakten: sein kunsthandwerklicher Spektakelsurrealismus – nicht als Alternative zur falschen Welt, sondern ihr Supplement, ihr Ablenkungs-Ecstasy; Hellers überbordende Eitelkeit (die noch sein sympathischster Wesenszug wäre, würde ihr interessantere Kunst und weniger Kitsch entspringen) ...
Wie abrupt und heftig jedoch die Reaktionen auf seinen kleinen Coup ausfielen, deutet darauf hin, dass sie ein kollektives Bedürfnis befriedigten. Woran hängte sich die Heller-Häme auf, zumal in Blasen, die sich nicht als rechte verstehen? Ein paar Stichproben: Auf Facebook wird Heller von einem linksliberalen Schriftsteller mit der Brillanz, derer nur österreichischer Wortwitz fähig ist, umgedichtet: „Die wahren Abenteuer sind im Geldbörsel, und sind sie nicht im Geldbörsel, sind sie nirgendwo.“ Wie durch Telepathie hat ein anderer Friend denselben Einfall, nur dass er statt Geldbörsel Konto schreibt. Kommentiert wird das konspirativ von jemand anderem mit einem Link zum Wikipediaeintrag zu „Heller“. (Bezeichnenderweise war die Kleinwährung „Heller“ das letzte Mal zu einer Zeit im Umlauf, als der österreichische Antisemitismus seinen ersten Höhepunkt erlebte.) Während der Dieb der Saliera zum heimlichen Volkshelden avancierte und jeder erfolgreiche Kunstfälscher heutzutage seine Talkshow bekommt, hat Heller mit der ruchlosen Missetat seine Reputation als Mahner gegen Faschismus und Intoleranz wohl für immer verspielt. ORF-Kulturredakteur Schneeberger in der ZiB vom 3. November: „Er ist auch eine moralische Instanz. Er hat sich immer wieder zu politischen Themen öffentlich geäußert und den Politikern ins Gewissen geredet, und jetzt stellt sich heraus, André Heller nimmt es mit der Wahrheit selber nicht so ganz genau. (...) Das ändert schon sehr vieles, untergräbt seine Glaubwürdigkeit nämlich auch in anderen Fragen, und das in einer Zeit, in der wir uns sowieso von so vielen Politikern ein neues Bild machen müssen.“ Es scheint so, als hätte Heller, so kurz vor Ende seiner Bewährungszeit, alles vermasselt. Und die moralische Verantwortung des Sprosses eines von den Nazis Verfolgten, nämlich gefälligst der bessere Österreicher zu sein, fahrlässig verletzt.
Wieso aber sollte ein jüdischer Mensch weniger Anrecht darauf haben, betrügerisch und geldgierig zu sein?, fragt die Vernunft der Unschuld. Warum wird‘s einem Solchen als Erstes vorgeworfen, antwortet die Sensibilität der von Antisemitismus Betroffenen. Und die können aus guter Erfahrung auch den vorhersehbaren Fluchtpunkt der perspektivischen Anspielungen benennen: Er is doch nur a Jud!
Was, Anne Frank war Jüdin?
Hören wir da etwa wieder mal die Antisemitismuskeule heraus? Oder gar die Mär vom Linken Antisemitismus? Das sei doch ein Widerspruch in sich. Und – Naturgesetz! – Antisemiten sind bekanntlich immer die anderen. Was die Antisemiten wider Willen nicht verstehen können: dass es Wesen des aktuellen, latenten Antisemitismus ist, ihn als Überspanntheit der Betroffenen und folglich moralische Erpressung abzutun. Da sich außer muslimischen Fundamentalisten und dem rechten Rand der europäischen Rechten kaum jemand mehr zu ihm bekennt, agiert er unbewusst. Der Somnambule wird die Liste der von ihm im Schlaf begangenen Taten immer als Wahn oder Böswilligkeit anderer empfinden. Der moderne Antisemitismus als „Gerücht über die Juden“ (Adorno) ist ein pathisches Projektionsbedürfnis, das nicht auf reale Juden reagierte, sondern sich die Juden erst finden und erfinden musste.
Am Fall Heller ist nichts interessant, außer dass sich an ihm die verdeckten Funktionsweisen dieses Antisemitismus an einem frischen Beispiel, im Feld, am Tatort sozusagen, verdeutlichen lassen.
Antisemitismus liegt zum Beispiel vor, wenn ein kleiner Kunstbetrug bei einem Menschen jüdischer Herkunft mehr Aufsehen erregt als bei einem Menschen nichtjüdischer Herkunft, und wenn jener dann als menschgewordenes Emblem des bloß materiellen Charakters des Kunstmarktes vorgeführt wird. Das Wort Jude braucht dabei kein einziges Mal zu fallen und dieses sehr vorhersehbare und auffällige Ressentiment wird von den Inkriminierten verlässlich abgestritten. Höchstwahrscheinlich auch mit der Beteuerung, nichts von Hellers jüdischer Herkunft gewusst zu haben. Man muss natürlich nichts von den von den Nazis vertriebenen Zuckerlfabrikanten wissen, die immerhin das Bonbondragee erfanden, aber dieses Vorschieben von Unwissen zur Untermauerung der eigenen Vorurteilslosigkeit, so sehr es im Einzelfall auch stimmen mag, hat alles Zeug zu einem Running Gag: Also ich hab nicht gewusst, dass Ariel Sharon Jude ist. Woody Allen ist Jude? Darf ich jetzt seine Filme etwa nicht mehr nicht mögen? Was weiß ich, ob Freud Jude war, muss ich jetzt an den Penisneid glauben? Wie? Anne Frank auch? Also deshalb ...
Jetzt weiß er, wie sich Israel fühlt ...
Die Heller-Häme schöpft dieser Tage ihre Vorwürfe aus der Heuchelei, dass es einem, der sich immer als spiritistisches Medium des Schönen, Wahren, Guten aufspielte, doch nur um Knete und Markt geht. Und tappt damit erst recht in den Wesenskern des modernen Antisemitismus, der darin besteht, dass die Verwandlung von allem und jedem, inklusive unserer menschlichen Beziehungen, in Ware und ihre Unterwerfung unter die Marktform in exponierte Gruppen wie die Juden outgesourct werden musste.
Noch der subalternste Künstler weiß, dass er nicht aufgrund seiner Qualität berühmt werden könnte, sondern aufgrund eines auch von Zufällen gesteuerten Zusammenspiels günstiger Kontakte, in Umlauf gebrachten Imagefetischs und letztlich des Werts, den der Markt dem Künstler (nicht dem Kunstwerk) beimisst. Das schenkt der großen Überzahl der unbedeutenden und unbedeutend bleibenden Künstler immerhin die selbstgerechte Illusion, ihre Arbeiten seien zu gut, um mit dem Warenzeichen und hohen Dotierungen geadelt zu werden.
Auch der Gegensatz von materiellem und ideellem Wert ist ein Märchen aus dem Goldenen Zeitalter, denn das Marktprinzip hat längst die Sphäre des Ideellen usurpiert. Unsere Fetischisierung von exponierten Persönlichkeiten ist auch nicht dem objektivierbaren Wert ihrer Taten und ihrer Kunst geschuldet (wofür uns zumeist die Kriterien der Bewertung fehlen), sondern dem Marktfetisch nachgebildet.
Basquiat ist am Markt eine große Nummer, Heller im Vergleich eine kleine. Darum hat letzterer (seiner Selbstanzeige zufolge) dem Markt mit seinen idiotischen Usancen ein Kuckucksei gelegt, denselben idiotischen Usancen, denen er selbst und so viele andere ihre öffentliche Aufmerksamkeit und ihr imaginäres Ranking in den Kulturcharts verdanken. Dass er nicht Geldgier, sondern eine gewitzte Intrige als Motiv angibt, bestätigt bloß die pathischen Projektionen des Antisemiten. Vom Vorwurf der Geldgier wird dieser trotzdem nicht abrücken.
Um sich das Märchen von der unschuldigen, reinen Kunst und den ideellen Werten zu bewahren, kommt der geldgierige und listenreichen Millionenerbe wie gerufen, der in der Shoppingmall, die unser aller Lebenswelt ist, nicht so ehrlich wie wir verwurzelt zu sein scheint, sondern eher herumschleicht und -wieselt. Seine Kritiker kritisieren, dass er seinen Fantasiekitsch, den sie eigentlich mögen, nicht ehrlich meint, sondern ohnehin nur aufs Materielle aus sei. Fantasiekitsch ohne materielle Interessen, so sieht ihre Traumlandschaft aus, ein garantiert judenfreier Cirque du Soleil.
Im Grunde ist Hellers Rahmen-Coup noch der amüsanteste seiner Streiche, aber dann doch nicht amüsant genug, dass man ihm so viel bestrafungsgierige Aufmerksamkeit schenkt. André Heller dürfte jedenfalls wieder mal nachfühlen können, wie es Israel die ganze Zeit geht.