Theodor Kramer Gesellschaft

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und eine Wolke vor dem schmalen Mond.
„Ich bin wie ein kaltes Reptil“, Dine Petrik über Hertha Kräftner

Alles ganz einfach sehen.“ Sie hat es sich vorgenommen. Aber nichts bei Kräftner ist einfach.
 
Bereits 1997 hat Dine Petrik zu Hertha Kräftner publiziert („Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich (…)“, Otto Müller). 2011 folgte mit „Die verfehlte Wirklichkeit“ (Edition Art Science) ein zweites Buch zu Hertha Kräftner. Auch nach diesem ließ Hertha Kräftner Dine Petrik nicht los, so ist letzteres nun in überarbeiteter und erweiterter Fassung unter dem Titel „Ich bin wie ein kaltes Reptil. Hertha Kräftner. Spurensuche und Sittenbild“ im Verlag Bibliothek der Provinz nochmals erschienen. Im 2014 geführten und auf Dine Petriks Homepage nachzulesenden Interview mit Beatrice Simonsen erklärt sie ihre Motivation, sich immer weiter mit dem Leben und Werk Hertha Kräftners zu befassen, wie folgt:
Ja, warum … Mir die Kräftner-„Bearbeitungen“ vor Augen haltend, war zunächst eines auffällig: Ein Herunterziehen und zugleich Hochheben. Als „nicht normal, weil depressiv“ wurde sie hingestellt, das Hauptinteresse galt ihren Liebschaften, ihrer „Vielmännerei“, als „Nymphomanin“ wurde sie festgemacht. Und sonst? Die Auslöser für ihre Beschädigungen, Zerrüttungen waren vernachlässigbar gewesen. Ich hatte andere Zugänge und Fragen […]
Das Buch entstand im Zuge einer jahrzehntelangen Recherche und einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk und Leben Hertha Kräftners. Neben eingehender Lektüre der Gedichte, der Geschichten, der NOTIZEN ZU EINEM ROMAN IN ICH-FORM, dem Essay WENN ICH MICH GETÖTET HABEN WERDE und Briefen Hertha Kräftners setzt sich Dine Petrik auch mit Schriften von Zeitgenossen Kräftners über ihre Begegnungen mit Hertha Kräftner auseinander. Ergänzt wird dieses bereits sehr facettenreiche (Seelen-)Bild Hertha Kräftners und ihrer Zeit dann noch durch Gespräche mit Hinterbliebenen und den persönlichen Eindrücken, die diese bei Dine Petrik hinterlassen haben.
„Ich bin wie ein kaltes Reptil“ ist keine gewöhnliche biografische Annäherung, sondern eine literarische, die sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Annäherungsversuchen zusammensetzt, um möglichst umfassend sichtbar werden zu lassen, was sich einer gewöhnlichen Beschreibung entzieht: „Sich orientieren an dem, was sichtbar ist. Und an dem, was nicht sichtbar ist.“ Im Buch artikuliert Dine Petrik selbst, worum es ihr ging, was ihr Buch sein kann und möchte, und wo seine Grenzen sind:
Um das Krankheitsbild einer Biographin der Gefühle, der Schuldgefühle, geht es, um Hintergründe und Auslöser, um die Befindlichkeiten des aus dem „Gleichgewicht gebrachten“ Lebens einer hochbegabten Jugendlichen, das mit dreiundzwanzig beendet wird. Annäherungen also von einigen Seiten, an die Familie, an Förderer, an ihre Liebhaber. Das Werk wissenschaftlich, sprich, literaturwissenschaftlich zu analysieren bleibe höheren Gremien überlassen.
Sehr spannend an dem Buch ist, dass Dine Petrik Einblicke in den Literaturbetrieb der Nachkriegszeit gewährt, der von Misogynie, Sexismus und Machtmissbrauch geprägt war. Auch auf die gesellschaftlichen Zwänge der Zeit, die insbesondere junge Frauen betrafen, geht Dine Petrik ein, ebenso wie die auf vieles angewandte Forderung, allgemeine und persönliche traumatische Kriegserfahrungen zu verdrängen und zu vergessen. Hertha Kräftner war zwar die erste ihrer Generation, aber bei weitem nicht die einzige, die daran zerbrechen und ihrem Leben ein Ende setzten sollte.
(…) schließlich bin ich niemals sicher, ob ich meine Geschichten schreibe oder ob sie sich selber schreiben und einfach mich als Ausdrucksmittel benützen.
Sehr interessant ist auch – und zwar sowohl für Kräftner-Kennende, wie für Kräftner-Neuentdeckende –, dass Dine Petrik eine Kontextualisierung der literarischen Arbeiten Kräftners vornimmt und nachvollziehbar macht, wann, wo und in welcher Gemütsverfassung sie woran gearbeitet hat:
August 1950: Paris bedeutet Eintauchen in eine andere Atmosphäre, in andere Lebensweisen, in eine andere Welt. Kräftner beginnt gedanklich zu fassen, zu formulieren, zu notieren, blickt sie von Trocadéro herab auf Paris. Und über den eigenen Horizont.
Vielleicht liegt die Motivation Dine Petriks für ihren unermüdlichen und fortwährenden Einsatz für Hertha Kräftner zu einem Teil auch in dem Gefühl begründet, dass einerseits zu spät etwas für Hertha Kräftner getan wurde, und andererseits nicht genug, also bei weitem noch nicht so viel, wie es einer derart begabten Dichterin zustünde:
Und gewiss, man hat viel für die Hertha getan, posthum: Lesungen, Symposien, Radiosendungen und – da ist auch ein Film […]
Und die Sekundärliteratur hat diese Dichtung gelobt und zugleich gering geschätzt und dann fast vergessen.

Daher gilt es Dine Petriks Bemühungen entsprechend zu würdigen, da ihr vieles zu verdanken ist und sie im Zuge ihrer Recherchen nicht nur einiges zutage gefördert und in ein neues Licht gerückt hat, sondern unter anderem auch die Auflösung des Grabes Hertha Kräftners verhindern hatte können:
Während meiner Telefonate mit der Friedhofsverwaltung Atzgersdorf ließ sich hören, dass man dabei sei, das Grab aufzulösen. […] Keinesfalls auflösen! Dann zahle halt ich, so meine Antwort. Einige Telefonate. Und nachdem ich über den Wert dieser wichtigen Nachkriegsschriftstellerin aufgeklärt habe, ist dieses Grab zum Ehrengrab geworden.
Astrid Nischkauer

Dine Petrik: Ich bin wie ein kaltes Reptil. Hertha Kräftner. Spurensuche und Sittenbild. Vorwort von Daniela Strigl.Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2022. 186 S. Euro 20,- (=>Link zum Verlag Bibliothek der Provinz)