Konstantin Kaiser
Das Verstummen in der Saunakammer
Antisemitismus und Kultur. - Ein heikles Thema. Der kulturaffine Teil der Bevölkerung legt Wert darauf, mit Antisemitismus nichts zu tun zu haben, nimmt ihn vielleicht bloß am Rande in sich selbst disqualifizierenden Postings, Tatoos und Wandschmuck eher bildungsferner Personen wahr. Aggressives Verhalten Juden gegenüber liegt Menschen von Kultur ja überhaupt fern. Bis vor kurzem war Antisemitisches in Literatur und Kunst abgesehen von gelegentlichen Aufwallungen eines Handke oder Walser gegen Marcel Reich-Ranicki auch nur mit der Lupe zu finden. Allerdings mit dem richtigen Gerät schon. Ungeschminkt tritt Judenfeindliches nicht gerne auf. Wir kennen zwar aus eigener Erfahrung Leute, die die anderen Gäste in der Sauna zu Komplizen ihres Judenwitzes, der kein jüdischer Witz ist, machen. Und man wird, wenn man sich dagegen verwahrt, vielleicht gefragt, ob man am Ende Jude sei, daß einen das störe. Die Antwort, man müsse nicht Jude sein, um diese Witzereißerei zu verachten, führt schon nahe an eine persönliche Konfrontation heran. Folge des Wortwechsels ist ein allgemeines Verstummen in der Saunakammer, das durch eine in heiterem Ton vorgebrachte belanglose Frage einer Frau an die Sitznachbarin gebrochen wird. Die allgemeine Befangenheit belegt das Problem, das man mit den Juden immer noch hat. Vor vielen Jahren bekannte mir eine Arbeitskollegin, mit einem Juden würde sie sich nie etwas anfangen, da gäbe es zu viele Schwierigkeiten.
Zu viele Schwierigkeiten haben Rezensenten in Österreich auch mit dem Besprechen von Publikationen jüdischer AutorInnen. Irgendwie schreibt die Besorgnis, ins Fettnäpfchen zu treten, immer mit, und so baut man zwischen den LeserInnen und dem besprochenen Werk erst einmal ein paar Fakten auf, die den schweren Weg des Autors oder der Autorin in und durch das Exil in ein zu Unrecht Vergessensein beklagen, sodaß die LeserInnen, sofern sie die Sache nicht gleich abgehakt haben, nicht wissen, ob sie nun zu einer Lektüre oder zu einer Wiedergutmachung geladen sind. Meist entfällt diese Peinlichkeit ohnehin, denn die meisten Bücher von ExilautorInnen werden in Österreich ohne jedes schlechte Gewissen gar nicht besprochen. Der Antisemitismus ist in Österreich in dem, was nicht geschieht, am Werk.
Zuletzt erlitt, um ein Beispiel zu geben, Gershon Shakeds Roman "Immigranten" dieses Schicksal, da nützte es nichts, daß Shaked in Wien geboren war, die Nachkriegsverhältnisse am Reinhardt-Seminar in lebhaften und verfänglichen Farben schildert sowie ein berühmter Historiker der neuhebräischen Literatur gewesen ist. Auch das Geleitwort des sehr bekannten Mark Gelber richtete nichts aus. Der geringen Resonnanz war nur wenig Verständnis für Lebensnot und Lebensglück der Einwanderer nach Israel zu entnehmen.
So ganz unverkrampft schreibt man über Juden also nicht. Das Unbehagen entspringt der Verleugnung und Tabuisierung von Judenfeindlichkeit. Was Lisa Emanuely darüber schreibt, scheint mir richtungsweisend für viele noch notwendige kultur- und literaturgeschichtliche Studien, deckt einen wesentlichen Aspekt auf. In der Sphäre der Verleugnung bewegt man sich zwischen Dämonisierung und Bagatellisierung zur Tatenlosigkeit hin.
Daß man das Problem nicht ernst nimmt, zeigt sich in dem Zurückscheuen davor, das Denkmal des von Hitler so bewunderten "großen Bürgermeisters" und antisemitischen Hetzers Karl Lueger einfach abzutragen und den nach ihm benannten Platz umzubenennen, zum Beispiel nach Bertha von Suttner - der hat man nämlich 'ihren' Platz im vierten Bezirk weggenommen und 1957 in Rilke-Platz umgetauft, ohne einen Sturm der Entrüstung zu befürchten, den man jetzt bei einer Demontage Luegers gewärtigt. Man fragt sich, wer eigentlich den Zweiten Weltkrieg verloren hat. In den ehemaligen Ostblockstaaten hat man die Stalin- und Lenin-Monumente von den Sockeln gestürzt. In der ehemaligen "Ostmark hingegen redet man in dem Moment von "Geschichtszerstörung", die es zu vermeiden gilt, in dem man aus der unseligen Geschichte Konsequenzen zu ziehen trachtet.
Regina Hilber sah sich auf der Documenta mit einem Antisemitismus konfrontiert, der sich vehementer artikuliert als der uns geläufige, dagegen geradezu zaghaft wirkende linke Antisemitismus. Israel-Boykott ist für die Documenta-Macher schon einmal das Minimum und die Darstellung des Juden als Schwein eine Kulturtradition. Verworrene Ideen von einem hauswirtschaftlich fantasierten besseren Leben kontrastieren mit einem Antiimperialismus, der sich mit vulgärer Kapitalismus-Analyse auf die Suche nach den Drahtziehern hinter den Kulissen macht. Also wieder einmal "USSA". In diesem Antiimperialismus verbirgt sich ein Manichäismus, der von rassistischen Positionierungen nicht mehr weit weg ist.
Neu ist eine wohlorganisierte Verantwortungslosigkeit. Es ging bei der Documenta zu wie bei den Betrügereien im Bauwesen, wo der Auftragnehmer einen Subunternehmer beschäftigt, der wieder von wo anders die Arbeitskräfte leiht, die er wiederum wo anders einsetzt, bis sich am Ende die Spur der Beiträge zur Sozialversicherung im Bankgeheimnis verliert. Das Bankgeheimnis war in Kassel durch die Heiligsprechung der Kunstfreiheit vertreten. Niemand ist verantwortlich. Es ist eine diffuse Spannung da, Entkolonialisierung, Nord und Süd. Freiheit der Kunst versus Zensur. Sind die Bedenken gegen die Schaustellung der Judenfeindschaft bloß moralischer, von außen herangetragener Natur, die Immanenz des originären Kunstwerkes verfehlend, haben sie etwas zu schaffen mit der ästhetischen Qualität?
Während Brita Steinwendtners Rede zum Gedenken an die Bücherverbrennung zeigt, wie die Trennlinien zwischen dem "gesunden Volkskörper" und dem Jüdischen, Christlichen, Sozialistischen immer tiefer in das soziale Leben und das Denken und Vorstellen jedes Einzelnen hinein vorgetrieben wurden, sodaß am Ende hier Volk und dort Volksfeind und Jude standen, skizziert Richard Schuberth die antisemitischen Untertöne in der Entrüstung über André Hellers freizügig plagiierenden Bilderrahmen. Die Witze-Erzähler aus der Sauna treten dabei in anderer Staffage auf, uns im Vertrauen ihr Wissen um jüdische Geschäfstüchtigkeit und Wendigkeit zuflüsternd. Der Kreis schließt sich. ZW will dazu beitragen, den Ring zu sprengen.
Fragen eines Lesers beantwortet in diesem ZW-Heft die Juristin und Publizistin Oksana Stavrou. Sie legt die inneren politischen Verhältnisse der Ukraine dar und polemisiert gegen einen postkolonialen Blick auf die Ukraine, der im Documenta-Kassel so wenig wahrgenommen wurde wie der reale Terror, der von der neuen Internationale des Staatsdespotismus, Rußland, Türkei, Iran mit Syrien als gemeinsamem Anhängsel und der Gruppe Wagner als SS ausgeht.
"Prominentenbrief" - Eine Fehleinschätzung?
Verantwortungslosigkeit. - David Richard Precht gesteht nun ein, sich mit der Mitunterzeichnung und -abfassung des deutschen Prominentenbriefs vom 29. April 2022 leider geirrt zu haben. Er habe, gibt er zu verstehen, geglaubt, die Ukraine könne dem russischen Angriff nicht lange widerstehen. Er beruft sich also auf Unkenntnis. Doch trägt er indirekt Mitschuld an der verspäteten Unterstützung der Ukraine mit geeigneten Waffen. Und jetzt gibt er ganz lässig zu, der von vorgespiegeltem höchstem Verantwortungsbewußtsein geblähte Prominenten-Brief sei von ihm in Unkenntnis der Tatsachen unterzeichnet worden. Ein Versehen also, man möge entschuldigen. Prechts Ausrede ist schwach und zynisch: Ende April mußte man erkannt haben, daß die Ukraine entschlossen und nicht ohne Erfolg Widerstand leistete. Auch jetzt verraten Prechts Formulierungen, daß er die Ukraine bloß als zu kalkulierendes Objekt ohne anzuerkennendes Selbstbestimmungsrecht, ohne Autonomie betrachtet. Siehe die unten zitierte Formulierung "Die Ukraine in eine Position der Stärke zu bringen..." Unklar ist, was "Position der Stärke" besagen soll: Kann die Ukraine denn jetzt die Bedingungen eines Waffenstillstands diktieren? Statt deutlich Stellung zu nehmen, stochert Precht in der Verhandlungsfrage herum, umgeht die immer noch offene Frage der "schweren Waffen" und findet kein Wort zur Beendigung der asymmetrischen Kriegsführung seitens der Russischen Föderation.
Hier die Meldung der FAZ vom 15.11.2022:
Der Buchautor und „TV-Philosoph“ Richard David Precht hat zugegeben, zu Beginn des Ukrainekrieges Fehleinschätzungen aufgesessen zu sein. „Die Ukraine in eine Position der Stärke zu bringen, ist viel besser geglückt, als nahezu alle Beobachter, auch ich, zu hoffen gewagt haben“, sagte Precht am Montagabend beim Ständeshaustreff der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf.
„Damals haben die Militärexperten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle die gleiche Prognose gestellt und gesagt, dass die Ukraine diesen Krieg binnen Tagen, Wochen oder vielleicht ein, zwei Monaten verlieren wird.“
„Wir wissen jetzt erst, wie unglaublich stark die ukrainische Armee von Anfang an gewesen ist, bevor die Waffenlieferungen kamen“, behauptete Precht. „Insofern bin ich natürlich von einer Fehlannahme ausgegangen, dass es sich nicht lohnt, sich zu verteidigen, wenn der Krieg in ein, zwei Wochen verloren ist.“