Theodor Kramer Gesellschaft

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Alexander Emanuely

... durch die Stadt geirrt

Theodor Kramers „Der letzte Schwarze“ in Le Parthénon

 

Theodor Kramer in Frankreich

Theodor Kramer ist in Frankreich, im Gegensatz zu anderen österreichischen Autoren wie Rilke, Zweig, Handke, nicht wirk­lich bekannt. Doch haben französische Germanist Innen und Autor Innen schon lange vor 2008, als einige seiner von Thibaut Chaix-Bryan übersetzten Gedichte in der von Félix Kreissler ge­gründeten Zeitschrift „Austriaca“ erschienen sind1, versucht sein lyrisches Werk in Frankreich bekannt zu machen. Es gab auf vielen Ebenen enge Beziehungen zwischen den Autor Innen in Österreich und Frankreich, auch im Umfeld Theodor Kramers. So haben z.B. Else Feldmann oder Rudolf Jeremias Kreutz um 1926 eine Wiener Sektion der Clarté-Gruppe – ein Zusammenschluss linker, pazifistischer Intellektueller in Paris rund um Henri Barbusse – gegründet. Doch nicht in der von Walter Benjamin gelobten Zeitschrift „Clarté“ ist das erste Mal in französischer Übersetzung ein Gedicht Theodor Kramers erschienen und nicht in Frankreich, sondern höchstwahrscheinlich 1931 im Brüsseler „Le journal des poètes“, dessen Chefredakteur der bekannte französische Dich­ter und Künstler Pierre-Louis Flouquet war. Neben Lyrik von Hölderlin, Ludwig Strauss, Georg Von der Vring, Paula Ludwig, Oskar Loerke, Gerda von Below war von Theodor Kramer „Auf den gewaltsamen Tod eines alten Trafikanten“2 (zum ersten Mal 1929 in „Die Woche“ in Berlin gedruckt) erschienen. Viele der Gedichte in der belgischen Literaturzeitschrift waren von Yvan Goll übersetzt worden, jenes von Theodor Kramer vom belgischen Dichter Henry Fagne. Das Erscheinen der Brüsseler Zeitschrift ist in Frankreich aufmerksam verfolgt worden. Eine ausführliche Rezension derselben erschien in der auflagenstarken und vom Ver­lagshaus Larousse herausgegebenen Monatsschrift „Les Nouvelles littéraires, artistiques et scientifiques“, in der „Théodore“ Kramer auch erwähnt und mit den Dichtern André Salmon und Francis Carco verglichen wird.3 Die beiden waren in Frankreich zu diesem Zeitpunkt sehr beliebt, so wie in Österreich auch bald Theodor Kramer dank dem regelmäßigen Erscheinen seiner Gedichte u.a. in der „Arbeiter-Zeitung“ Beachtung fand.
Vier Jahre später wird Theodor Kramer gleich noch einmal in einer sehr renommierten, viel gelesenen Pariser Zeitschrift erwähnt und vorgestellt werden, nämlich in der „Revue des cours et confé­rences“ (Revue der Lehrveranstaltungen und Vorlesungen) welche vom bekannten Romanistikprofessor an der Sorbonne Fortunat Strowski herausgegeben wurde. In der Publikation wurden vor allem, wie der Titel schon zum Ausdruck bringt, Beiträge von den Lehrkräften diverser Universitäten und der Grandes Écoles veröffentlicht. Der Germanist und Professor an der Universtät Bordeaux Robert Pitrou publizierte hier vier seiner 1935 gehal­tenen Vorlesungen über „Lyriques autrichiens d’aujourd’hui“ (Zeitgenössische österreichische Lyriker). Die erste Vorlesung fand am 15. Jänner statt und war über Hugo v. Hofmannsthal, die zweite über Anton Wildgans, Richard Schaukal, Stefan Zweig, gehalten am 28. Februar, die dritte über Erika Mitterer, Paula Grogger und Heinrich Suso Waldeck, gehalten am 30. März. Es wurden somit ganz unterschiedliche Dichter Innen vorgestellt, von den Vertreter Innen der Moderne, wie Erika Mitterer, bis hin zu solchen wie Paula Grogger, die bald in Blut und Boden versinken sollte. Die Vorlesung vom 30. April war zwei jungen Dichtern gewidmet, nämlich Theodor Kramer und Guido Zernato [sic] und dem für Robert Pitrou vielleicht erfolgreichsten von allen, Franz Werfel.4 Der Germanist aus Bordeaux war voll des Lobes für Theodor Kramer, den Dichter der armen Leute und Ausgestoßenen, den er wiederum mit dem Pariser Volksdichter, Chansonnier und Anarchisten Jehan Rictus oder mit dem belgi­schen weltbekannten Großstadtdichter Emile Verhaeren verglich. Neben seiner spannenden Analyse der Dichtung des Newcomers Theodor Kramer schrieb er über den Gedichtband „Die Gauner­zinke“, über den Winter im Burgenland, das Lössland und das Marchfeld, welches seiner Meinung nach den Franzosen doch bekannt sein müsse, gewann doch dort Napoleon so viele seiner Schlachten. Eine ebenso interessante Einschätzung Pitrous lautet: Wäre Theodor Kramer Maler geworden, hätte er keinen Pinsel verwendet, sondern ein Malmesser.

Le Parthénon

Dass Theodor Kramer in den eben erwähnten Publikationen rezipiert wurde, ist durchaus nachvollziehbar, handelte es sich doch um solche von Kolleg Innen und Germanist Innen. Eine der seltenen Übersetzungen eines Gedichtes Theodor Kramers ins Französische wurde aber auch in einer alle zwei Monate erschei­nenden, „unabhängigen“ Pariser Literatur- und Kulturzeitschrift, die von einer Baronne herausgegeben wurde, publiziert. Dabei handelt es sich um „Le Parthénon“ und um die Ausgabe vom 20. März 1937. Das Gedicht, das erstmals am 9. April 1932 in Stefan Großmanns Berliner Zeitschrift „Tage-Buch“ erscheint, trägt den Titel „Der letzte Schwarze“. Vier Jahre später wird es erneut im umfangreichen Theodor Kramer-Gedichtband „Mit der Ziehharmonika“, in Ernst Karl Winters Gsur-Verlag erschienen, abgedruckt.5 In „Le Parthénon“ wurde es unter „Le dernier noir“ veröffentlicht, was in Frankreich kaum jemand versteht, weshalb als alternativer Titel noch gewissenhaft „La dernière tasse de café“6 hinzugefügt wurde.
Neben dem Gedicht Theodor Kramers findet man in der Lite­raturzeitschrift weitere Lyriker, die einen Österreich-Bezug hatten, bzw. Österreicher waren. So wurden zwei Gedichte von Alfred Neumann abgedruckt: „Le vieux noyer“ (Der alte Nussbaum) und „Dans la fôret“ (Im Wald). Alfred Neumann war zu diesem Zeitpunkt in Frankreich als Drehbuchautor bekannt, der mit Regisseuren wie Ernst Lubitsch, Marcel L’Herbier, Maurice Tour­neur zusammenarbeitete. In „Le Parthénon“ wird er vor allem als Übersetzer von Baudelaire und Verlaine vorgestellt. Alfred Neumann hatte 1933 Deutschland verlassen müssen und lebte im italienischen Exil. Er war zwar kein Österreicher, doch waren Mitte der 1930er-Jahre einige seiner Gedichtbände, z.B. seine gesamte „Rätsel-Dichtung“, im Wiener Saturn Verlag erschienen, der auch Ernst Waldinger, Heimito von Doderer, Hermynia Zur Mühlen oder Stefan Pollatschek publizierte7.
Des weiteren war in „Le Parthénon“ das übersetzte Gedicht „S.O.S.“ von Konrad Paulis abgedruckt worden. Der Dichter hieß mit bürgerlichem Namen Paul J. Schütz und war von Beruf Direktor der Ersten Österreichischen Spar-Casse.8 Von Rudolf List wurden die zwei übersetzte Gedichte: „Les chômeurs“ und „L’heure des lampes“ abgedruckt. 1937 lief Rudolf List offiziell noch irgendwie als sozial engagierter katholischer Dichter. Doch einige Monate später gehörte er zu den deklarierten Nazis. Wohl bekam er desshalb 1957, wie vielen gleichgesinnten österreichi­schen Autor Innen bis 1971, so auch Paula Grogger, den Peter­Rosegger-Preis des Landes Steiermark einbringen sollte. Ebenfalls wurde „Chanter celle par qui nous sommes des Hommes“ von Alfred Grünewald abgedruckt. Über diesen ehemaligen Architek­ten und Loos-Mitarbeiter ist 2013 ein ausführlicher Aufsatz von Volker Bühn in ZW erschienen.9 Gedichte Alfred Grünewald sind übrigens auch 1934 im Saturn Verlag veröffentlicht worden und zwar in der Lyrik-Anthologie „Österreichische Lyrik der Gegen­wart“, herausgegeben von den beiden Mitgliedern des „Bundes junger Autoren Österreichs“ Robert Barsch und Rosa Schafer. In der Anthologie waren neben 51 weiteren Lyriker Innen auch Theodor Kramer und Rudolf List vertreten.
Alfred Grünewald erhielt nach der Befreiung 1945 keinen Li­teraturpreis. Rudolf Lists und Paula Groggers politische Freunde ließen ihn, nachdem ihn die französische Polizei in Nizza verhaftet hatte, am 9. September 1942 in Auschwitz ermorden. Von Drancy war er am 7. September mit 1.000 weiteren Juden und Jüdinnen, darunter ca. 100 Kindern, deportiert worden. Nur 34 Männer überlebten den Transport Nr. 29 nach Auschwitz.10

La Baronne

Ich hatte zuvor noch nie etwas über die Zeitschrift „Le Parthé­non“ gehört oder gelesen, und wäre in dieser nicht ein Gedicht von Theodor Kramer veröffentlicht worden, hätte ich wohl nie erfahren, dass es diese Zeitschrift gegeben hat. Auf den ersten Blick ist nicht wirklich ersichtlich, wie es Theodor Kramers Ge­dicht in „Le Parthénon“ geschafft hat, einer Zeitschrift, die wohl auch damals kaum jemand in Wien gekannt haben dürfte. Wenn man die kopierten und im Archiv der TKG aufgehobenen Seiten betrachtet, so liest man zuerst einmal die einleitenden Worte von zwei mir ebenfalls Unbekannten: Pierre Hébert und Pierres Georges.11 Dann versucht man einen Zusammenhang herzu­stellen und kommt darauf, dass „Le Parthénon“ mehr wollte, als nur Lyriker Innen vorstellen, dass die Publikation eine durchaus politische Dimension hatte.
Man erfährt in dieser Ausgabe von „Le Parthénon“ wenigstens einiges über die Literaturzeitschrift selbst, die am 20. Oktober 1911 zum ersten Mal erschienen und von einer gewissen Baronne Hélène Brault gegründet worden war. Diese war die Witwe eines 1904 verstorbenen französischen Marineoffiziers und Diplomaten, der zuletzt als Konsul in Mannheim fungierte. Schon das Ehepaar Brault hatte im großen Stil, groß genug, damit in den Zeitungen darüber berichtet wurde, Persönlichkeiten aus der Politik- und Kulturszene, aber auch Admiräle und Kardinäle zu empfangen gewusst. Die Witwe setzte die Tradition dieser Empfänge fort. Zudem organisierte sie über Jahre hinweg literarische Soirees in ihrer Pariser Wohnung in der Av. Mercédès (heute Av. du Colonel-Bonnet) im noblen 16. Arrondissement, zu denen sie neben den Diplomatenkollegen ihres Mannes, Abgeordneten, Minister und berühmten Schauspieler Innen, wie Eugène und Louise Silvain von der Comédie française, auch alle möglichen zeitgenössischen Autor Innen einlud. Darunter waren prominente und unbekannte, junge und alte Schriftsteller Innen. Es kamen in den Salon, wie man „Le Parthénon“ entnehmen kann, der Anarchist, Freimaurer und Antifaschist Han Ryner genauso wie das Mitglied der Académie Française Émile Faguet oder die re­aktionären, bzw. ultrarechten Autoren Alfred de Tarde und René Gillouin. Letzterer gehört um 1916 auch zum Redaktionskomitee der Zeitschrift und zwar neben bald nicht ganz unbekannten Schriftstellern wie Guillaume Apollinaire, Georges Duhamel, Jean Giraudoux, Jules Romains, Valery Larbaud.12 Valery Larbaud wird übrigens auch zum französischen Beirat von „Le journal des poètes“ gehören.
Es heißt, die Baronne sei eines Tages von ihren Gästen überredet worden, eine Literaturzeitschrift zu gründen. Diese sollte wohl ein Tempel für die große Förderin, für die moderne Minerva werden, so lässt sich jedenfalls die Namensgebung erklären. Außerdem finanzierte jeder, jede prominente und wohlhabende PariserIn zur Jahrhundertwende eine Kulturzeitschrift, ganz nach dem Vorbild der bis 1904 existierenden, berühmtesten aller Zeitschriften, der „Revue blanche“, mit Thaddäus Natanson als Mäzen und Her­ausgeber. Zu den „Le Parthénon“-Autor Innen zählten auch schon recht bald nach der Gründung zwei linke französische Politiker, die wohl auch Gäste bei der Baronne gewesen waren und die in Bezug auf Österreich von 1918 bis 1945 eine wichtige Rolle spielen sollten: Joseph Paul-Boncour und Édouard Herriot.13 Letzterer war bei der Gründung der Zeitschrift 1911 neben Pierre Loti, Maurice Barrès, Romain Rolland auch im Ehrenkomitee der Zeitschrift gewesen, übrigens neben dem Germanistikprofessor Charles Andler, bei dem Robert Pitrou an der Sorbonne studiert hat. Redaktionskomitee, Ehrenkomitee mit linken Politiker Innen und Autor Innen und rechten Politiker Innen und Autor Innen – scheinbar wollte man das „revue indépendante“ (unabhängige Zeitschrift) im Untertitel besonders betonen, über allen politischen Lagern stehen, aber auch irgendwie von allen unterstützt werden.
Die Baronne hatte neben ihrer Zeitschrift und ihren Empfängen auch eine Art Volkshochschule gestiftet, und zwar die „Université du Parthénon“, mit vollem Namen „Le Parthénon. Université Mondaine Internationale“. Dort fanden meist montags neben Lesungen und Konzerten Diskussionsveranstaltungen statt. Es trafen sich Feminist Innen und Pazifist Innen, letztere sogar mitten im Ersten Weltkrieg, doch auch Konzerte für Kriegsinvalide wur­den organisiert. Man konnte sogar Yogis und sonstige eigenartige Gestalten Vorträge halten hören. Der Eintritt war immer und für alle frei. Die erste Adresse der Universität war in der 11bis, Av. du Suffren, gleich neben dem Eiffelturm. Nach 1918 sollte die „université“ in das große Gebäude des bald aufgelösten „Théâtre Tristan-Bernard“ in der 64, rue du Rocher im 8. Arrondissement übersiedeln, wo dann schon einmal ein „club franco-américain“ gegründet wurde, dessen Aufgabe es war, Tango-Abende mit viel Champagner zu organisieren. Ab 1933 wurde die „université“ aber auch das Zuhause des Deutschen Klubs, der neben dem Café Mathieu und dem Café Mephisto bald einer der wichtigsten Treffpunkte für deutschsprachige Exilautor Innen in Paris werden sollte. Bertold Brecht, Joseph Roth, Walter Mehring, Klaus Mann trafen sich dort und organisierten Lesungen.14 Auch hatte der im Pariser Exil als Musikkritiker lebende Paul Walter Jacob im Theatersaal des Hauses am 2. November 1933 ein „Konzert der Vertriebenen“ organisiert. Sieben Jahre später wird Jacob in Buenos Aires die „Freie deutsche Bühne“ gründen. Pierre Hébert, der Neffe der Baronne Brault, war jahrelang Sekretär der „Université du Parthénon“. 1937, ein Jahr nach dem Tod der Tante, wurde er auch Herausgeber der Zeitschrift. Ansonsten ist wenig über ihn zu erfahren, nur, dass zwei Gedichtbände von ihm erschie­nen sind, 1935 „Symphonie brève sur un vieux thème“ (Kurze Symphonie über ein altes Thema) und 1955 „La cathédrale“. Er wird die Zeitschrift bis 1939 herausgeben und 1947 noch einen Anlauf wagen, der jedoch schnell scheitert.15 Zu Lebzeiten hatte die Baronne auch Literaturpreise und einen Friedenspreis gestiftet. Wie sich die Baronne Brault all das leisten konnte, konnte ich noch nicht herausfinden. Es muss jedenfalls mehr an Vermögen vorhanden gewesen sein, als eine Witwen-Pension.

L’Action Populaire des Écrivains et Artistes

Doch nicht nur über die Zeitschrift und ihre Gründerin ist wenig zu erfahren. Die Gedichte in „Le Parthénon“ wurden in Ko­operation mit der „Action Populaire des Écrivains et Artistes“ (Volks-Aktion der Schriftsteller und Künstler), kurz A.P.E.A., publiziert. Die A.P.E.A. war eine Vereinigung, die auf den ersten Blick in Frankreich vor allem Dichter Innen und Künstler Innen aus der Provinz gefördert hat. In „Le Parthénon“ steht, dass die in mehreren Ländern Sektionen hatte, darunter eben auch in Wien. Doch über eine solche Organisation hörte ich zum ersten Mal erst in „Le Parthénon“. Ob diese „Action“ mit der „Action Populaire“ zu tun hatte, die von den Jesuiten 1903 als wissenschaftlicher Verein gegründet worden war, der die ka­tholische Kirche mit den modernen Wissenschaften, wie z.B. der Soziologie, und mit der Arbeiterbewegung versöhnen wollte, kann ich auch nicht beantworten. Dass es da eine Verbindung gegeben haben kann, ist nicht auszuschließen und widerspricht auch nicht meiner Vermutung, dass die „Action“ ebenfalls im Umfeld der Paneuropa-Bewegung anzusiedeln ist. Vielleicht war sie als ein Gegengewicht zur 1932 von der KPF gegründeten „Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires“ (A.E.A.R.) gegründet worden. Doch gleich welche Gedanken oder Hintergedanken es gab, berühmte Schriftsteller Innen und Künstler Innen hat die A.P.E.A., im Gegensatz zur A.E.A.R., nicht angezogen. Aber vielleicht kennt ein Leser, eine Leserin der ZW einen Philéas Le­besque (wohl noch am ehesten), einen Pierre Georges, Michel de la Messuzière, eine Louise Bordas oder einen Bernard Roy? Baronne Braults Zeitschrift scheint jedenfalls eines der Sprachrohre dieser gewesen zu sein. Da, wie es in „Le Parthénon“ heißt, der „groupe Franco-Viennois“ die größte ausländische Sektion war, schien es nur logisch, dass deren dortige Mitglieder auch einmal in Frankreich vorgestellt werden mussten. Vielleicht war es so zur Publikation von „Le dernier noir“ gekommen...
Doch war Theodor Kramer Mitglied einer A.P.E.A.? Wohl kaum, zu bürgerlich wäre ihm diese wohl gewesen. Jedoch hatte er ein Jahr zuvor seinen Gedichtband „Mit der Ziehharmonika“ in Ernst Karl Winters Gsur-Verlag herausgebracht, also jenen Band, in dem ebenfalls „Der Letzte Schwarze“ abgedruckt worden war. Dass es vielleicht ein Naheverhältnis des „groupe Franco-Viennois“ der A.P.E.A. und der „Aktion Winter“ gegeben hat, ist nicht auszu­schließen. Doch zur „Aktion Winter“ etwas später.

Le groupe Franco-Viennois

Zuständig für diesen „groupe Franco-Viennois“ waren der we­nig bekannte Pierre Georges und die berühmte Chanteuse und Diseuse Marya Delvard. Über Pierre Georges konnte ich fast nichts herausfinden, außer, dass er viel schrieb. Ich habe nach dem Vergleichen seiner Texte vorläufig einmal die Theorie auf­gestellt, dass es sich bei ihm um den Geographen Pierre George handeln könnte. Das politische Engagement würde jedenfalls Sinn machen. Dieser Geograph wird in den 1950er-Jahren für seine Sachbücher über die Sowjetunion bekannt werden. 1937 war er gerade frisch gebackener Lehrender und Mitglied der linken, überparteilichen und antifaschistischen Organisation „Comité de vigilance des intellectuels antifascistes“ (Wachsamkeitskomitee antifaschistischer Intellektueller), in der auch Alain oder Paul Nizan waren. Pierres Georges (oder George) wird den ganzen Beitrag in „Le Parthénon“ über die österreichischen Dichter redigieren und zu jedem Gedicht eine kurze Einleitung schreiben, so z.B. zu Theodor Kramer:
Le Dernier Noir‘, poème réaliste de THÉODORE KRAMER nous plonge à nouveau dans le géhenne où nous nous débattons. („Der letzte Schwarze“, das Gedicht von Theodor Kramer stößt uns mit seinem Realismus erneut in jenen Abgrund, mit dem wir ringen...)
Pierres Georges schrieb sehr begeistert über Wien und Österreich. Wien wird als internationale, polyglotte Stadt beschrieben, die bald das Zentrum der hoffentlich schnell noch entstehenden „Vereinigten Staaten von Europa“ sein könnte. Österreich befindet sich in einer bedrohlichen Situation, da Stalin, Hitler, Mussolini jeweils danach greifen. Somit gilt es, das Land und seine Bewohner ­Innen im Kampf um ihre Unabhängigkeit zu unterstützen. Dass in „Le Parthénon“ die Gedichte von Kramer, List etc abgedruckt wurden, sollte jedenfalls helfen, das Land in Frankreich bekannter zu machen. Lyrik als Akt der Völkerverständigung. Gleichzeitig wird anhand der Gedichte auch auf die düstere soziale Realität in Österreich hingewiesen. Wir dürfen nicht vergessen, dass ge­rade die dem „Le Parthénon“ nahe stehenden Politiker Joseph Paul-Boncour und Édouard Herriot sich während ihren Regie­rungszeiten um günstige Anleihen für die Alpenrepublik, also für die wirtschaftliche Stabilität Österreichs eingesetzt haben. Österreichwerbung und Unterstützung im Sinne dieser beiden Politiker, dies dürfte meines Erachtens der Grund für den Beitrag „Quelques poètes Viennois contemporains“ (Einige zeitgenössische Dichter aus Wien) in „Le Parthénon“ gewesen sein.
Mit dem Hinweis auf die „Vereinigten Staaten von Europa“ wird auch die Nähe zur oder zumindest die Sympathien des Autors für die Politik der Paneuropa-Union Richard Coudenhove-Kalergis zum Ausdruck gebracht. Und wenn man die seit 1927 existierende französische Sektion der Union betrachtet, so wird man sehen, dass deren wichtigsten Aushängeschilder aus der Politik Joseph Paul-Boncour und Édouard Herriot waren. 1927 betätigte sich der langjährige Finanzminister und linksliberale Politiker Étienne Clémentel als ein weiterer wichtiger Repräsentant der Politik im Vorstand der Union. Dieser wird wegen seiner Reformen der Bürokratie heute noch in Frankreich als „Vater der Technokratie“ bezeichnet. Und weil das scheinbar ganz gut zu passen scheint, wurde er zugleich auch als einer der elegantesten Politiker der Geschichte beschrieben, der noch dazu die Literatur Zeit seines Lebens geliebt hat. Diese Liebe hatte nicht nur eine Freundschaft mit Stéphane Mallarmé ermöglicht, sondern den Minister auch oft in den Salon der Baronne Brault getrieben. Es heißt sogar, die beiden wären für kurze Zeit verheiratet gewesen16.
Pierre Georges leitet seine Ausführungen mit einem kleinen literarischen Denkmal für Marya Delvard ein, der Botschafterin französischer Literatur in Russland, Polen, Mitteleuropa, Rom und Wien. Marya Delvard war seit 1933 Generaldelegierte der „Action Populaire des Écrivains et Artistes de France“ in Öster­reich und Mitteleuropa, also des „groupe Franco-Viennois“.17 Die Chanteuse, Diseuse und auch Zeitungsherausgeberin („La Revue Franco-Allemande“, Berlin um 1900) war 1874 als Ma­rie Biller in Rixingen, Lothringen geboren worden. Als sie von 1930 bis 1939 in Wien lebte, war sie in Österreich schon lange keine Unbekannte mehr. So hatte sie 25 Jahre zuvor mit Ihrem Mann Marc Henry schon einmal in Wien gelebt und damals in der Ballgasse 6 „Das Nachtlicht“, das erste politische Kabarett Wiens betrieben. In den Jahren zuvor hatten sie schon in Mün­chen das Kabarettlokal „Die Elf Scharfrichter“, mit Autoren wie Frank Wedekind und Hugo Bettauer als das erste seiner Art in Bayern eröffnet gehabt. Dass der Pariser Marc Henry ein solcher Kabarettgründer war, hing wohl damit zusammen, dass er als Chansonnier und Autor im „Chat Noir“ in Paris debütiert hat, dem ersten politischen Kabarett der Welt überhaupt.18 In Wien leiteten beide nach anfänglichem Misserfolg schließlich von 1907 bis 1909 das eben eröffnete Kabarett „Die Fledermaus“, Ecke Kärntner Straße – Johannesgasse. Für die „Fledermaus“ schrie­ben damals Autoren wie Erich Mühsam, Peter Altenberg, Alfred Polgar, Egon Friedell. Von all dem erfährt man bei Pierre Georges nur wenig. Dafür führt er aber aus, dass die Bemühungen Marya Delvards um die Lyrik beider Länder ein wichtiger Beitrag zum Erhalt des Weltfriedens seien. So organisierte Marya Delvard in den 1930er-Jahren für den österreichischen Rundfunk durchaus beliebte Lesungen französischer Literatur.19 Auch sollen, Pierre Georges zufolge, alle möglichen Dichter Wiens zu Marya Del­vards Vorträgen „geströmt“ sein. Gut möglich, dass auch Theodor Kramer unter ihnen war. Dass Marya Delvard in den Wiener Künstler Innen-Kreisen als Berühmtheit galt, erfährt man dank der Briefe zwischen den beiden Freunden Soma Morgenstern und Alban Berg. Alban Berg schreibt z.B. am 23.10.1934, dass Marya Delvard viele Jahre lang mit seiner Schwester Smaragda befreundet gewesen sei und mit ihr gemeinsam eine Wohnung in der Linken Wienzeile bewohnt habe. In einer Fußnote Ingo Schultes, des Herausgebers der Briefe, erfährt man weiters, dass Marya Delvard Smaragda früh in die Wiener Künstler Innenszene eingeführt und somit auch Alban Berg den Zugang zu dieser verschafft hat.20

Volksheim

Auf der Titelseite der sich auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Pariser Tageszeitung Comœdia vom 24. Juli 1936 ist ein Bericht von Pierre George (in der Zeitung ohne „s“) über die Tätigkeiten der „Action Populaire des Écrivains et Artistes“ in Mitteleuropa, konkret in Wien, abgedruckt. Man erfährt darin, dass Marya Delvard als Botschafterin der französischen Literatur in der Urania, im Volksheim Ottakring, in einem „Club des professeurs“ (mit Si­cherheit der „Wissenschaftliche Klub“) und im Radio ihre Vorträge halte.21 Auch Theodor Kramer verband einiges mit diesen Orten. Im Volksheim Ottakring hatte er am 20. April 1927, als 30-Jähri­ger, das erste Mal seine Gedichte vor Publikum vorgetragen. Sein erster Auftritt in der Urania erfolgte 1928. In Deutschland sind die Gedichte Theodor Kramers schon ab 1929 im Radio zu hören gewesen, die erste Ausstrahlung in Radio Wien erfolgte dafür erst 1932. Nach dem Februar 1934 gab es für den engagierten Sozialdemokraten Theodor Kramer wesentlich seltener Auftritts­und viel unregelmäßiger Publikationsmöglichkeiten. Die erste Rundfunkausstrahlung einer Lesung fand im November 1934 statt. Seine Frau, die Schauspielerin Inge Halberstam, trug vor. Im Mai 1936 wurde eine Kramer-Lesung im „Wissenschaftlichen Club“ veranstaltet. Inge Halberstam trat übrigens sehr häufig, ähnlich wie ihre Kollegin Marya Delvard, als Vortragende von Gedichten auf, oftmals auch in der Urania. Die Erwähnung des Volksheimes, damals wurde die Volkshochschule Ottakring kurz Volksheim genannt, hilft auch einer Spur weiter zu folgen, die erklären könnte, wieso Theodor Kramer 1937 in „Le Parthénon“ publiziert wurde, nämlich die Spur „Aktion Winter“. Die Volks­hochschule war bis zum Sommer 1936 von Viktor Matejka geleitet worden. Einer der politischen Verbündeten bzw. Förderer Viktor Matejkas war der Dritte Vizebürgermeister von Wien, Verleger, Sozialwissenschaftler und Historiker Ernst Karl Winter.

Aktion Winter

Dieser Vizebürgermeister war zwar ein Konservativer, aber ei­ner, der eher mit den fortschrittlichen Positionen eines Max Ad­lers oder Hans Kelsens sympathisierte als mit jenen z.B. eines Othmar Spanns. Im Ersten Weltkrieg war Ernst Karl Winter noch Monarchist und junger Offiziersanwärter gewesen und an der Front hat er sich mir Engelbert Dollfuß angefreundet. Die beiden verband ein ähnlicher Österreich-Patriotismus, während viele andere Offiziersanwärter aus dem Mittelstand eher deutsch­national waren.22 Diese Freundschaft sollte bis zur Ermordung von Dollfuß andauern, auch wenn sich zu diesem Zeitpunkt die politischen Positionen der beiden schon radikal unterschieden. Doch nützte Winter diese Beziehung zum ehemaligen gewähl­ten Bundeskanzler und gewordenen Diktator aus, um sich z.B. für verhaftete oder zum Tode verurteilte Sozialdemokraten, wie Josef Gerl, einzusetzen. Auch ernannte Dollfuß Winter, trotz oder gerade wegen der massiven politischen Differenzen, zum Dritten Vizebürgermeister von Wien. Ernst Karl Winter hörte nicht auf, sich für die Verständigung zwischen Arbeiterbewegung und Ständestaat zu engagieren und schaffte mit seiner „Aktion Winter“ für Sozialdemokrat Innen und demokratische Christ­lichsoziale ein Sammelbecken abseits der Vaterländischen Front. Er trat auch mit konkreten Forderungen an die Politik heran. So forderte er bereits 1934 den neuen Kanzler Schuschnigg dazu auf, Bürgermeister Karl Seitz sowie alle Sozialdemokraten, die keine Gerichtsverfahren anhängig hatten, zu enthaften. Ebenso verlangte er die Amnestierung aller Verurteilten des Februar 1934 und die Wiedereinstellung aller entlassenen sozialdemokratischen Beamten. Diese Forderungen zeigten tatsächlich Wirkung und wurden ansatzweise bis 1938 erfüllt.23
Winter verfuhr nach dem Motto „rechts stehen und links denken“, was sich in Zeiten einer stabilen Demokratie besorgniserregend anhören würde, jedoch während des Austro­faschismus sicherlich eine mutige Position darstellte. Ernst Karl Winter ging es in erster Linie darum, die Nazis zu bekämpfen, ein Kampf, der zumindest noch anfangs von den Austrofaschis­ten toleriert wurde. Auch in seiner Verlagsarbeit als Inhaber des Gsur-Verlages, der eine Zeit lang übrigens im Vorwärts-Gebäude an der Rechten Wienzeile seinen Sitz hatte, kam seine politische Einstellung voll zum Ausdruck. So publizierte er 1935 gleich mit den ersten beiden Büchern seines Verlags die deutschen Exilautor ­Innen Walter Mehring (Müller. Chronik einer deutschen Sippe. Roman) und Hermynia Zur Mühlen (Unsere Töchter, die Nazi­nen). Drei Bücher später erschien schließlich Theodor Kramers Gedichtband „Mit der Ziehharmonika“.
Einer, der Ernst Karl Winters Aktivitäten sehr gut beschrieben hat, war G.E.R. Gedye in „Als die Bastionen fielen“:
Winter war ein merkwürdiger Charakter, ein religiöser, nichtmar­xistischer Sozialist, monarchistisch und liberal zugleich, ein Mann, der es mit den Arbeitern wirklich gut meinte. Er erreichte natürlich nichts [...] Tatsächlich besaß aber Winter kaum mehr politische Urteilskraft als Schuschnigg. Er war besessen von dem Gedanken, die sozialistischen Arbeiter zur Unterstützung einer Habsburgerrestauration bewegen zu können, und unternahm eine Reihe von Reisen nach London, Paris und anderen Städten, um Liberale und Sozialisten im Ausland für seinen Plan zu gewinnen.24
Ernst Karl Winters Einsatz für ein demokratisches Österreich führte dazu, dass er trotz bester Beziehungen, u.a. zu Diktator Schuschnigg, gleich nach dem Juli-Abkommen 1936 seinen Posten als Vizebürgermeister von Wien verlor. Im März 1938 musste Ernst Karl Winter schließlich so schnell wie möglich das Land verlassen. Er brach, getarnt als Pilger, von Graz aus auf und überquerte die Schweizer Grenze am 18. März. Aus der Schweiz wurde er bald in Richtung Frankreich abgeschoben.25 Behilflich auf der Flucht, die weiter in die USA ging, war ihm Joseph Paul-Boncour, der ausgerechnet am 13. März 1938 französischer Außenminister geworden war, dies leider zu spät, um sich für Österreich noch einsetzen zu können. Er blieb auch nur recht kurz im Amt, da seine Regierung am 10. April 1938 wieder zurücktrat... Joseph Paul-Boncour gehört übrigens zu jenen wenigen sozialistischen Parlamentariern, die sich 1940 von Anfang an gegen die Kollabo­rationsregierung Pétains stellten. Von der Gestapo gejagt, wird er von den Widerstandskämpfer Innen im Lot gerettet werden. 1948 gehörte er in Genf schließlich zu den Autoren der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Auch Édouard Herriot, 1937 Bürgermeister von Lyon und in den Jahrzehnten zuvor mehrfach Regierungschef, wird sich ab März 1938 für die Österreicher Innen im französischen Exil einsetzen: Er wird im Dezember 1938 die Patronanz über die „Liga für das Geistige Österreich“ (Ligue pour l’Autriche Vivante) übernehmen und im Dezember 1945 Präsident der Gesellschaft der Freunde Österreichs (Union des amis de l’Autriche) werden.

Le dernier noir

Was Theodor Kramers „Der letzte Schwarze“ in einer 1937 er­scheinenden französischen Kulturzeitschrift knapp 80 Jahre spä­ter noch alles an Schlüssen und Querverbindungen ermöglicht! Man kann wahrscheinlich noch viel mehr bezüglich Theodor Kramers Überleben als Dichter nach 1934, der internationalen Rezeption seiner Arbeit erfahren, sowie vor allem über die poli­tischen Zusammenschlüsse rund um die Bemühungen, den Fall der „Bastionen“ gegen Hitlers Deutschland, wie G.E.R. Gedye die Schweiz, Österreich und die Tschechoslowakei nannte, auf­zuhalten. Es zeigt sich, dass man sich in Paris nicht nur um die österreichische Literatur bemüht, sondern auch auf der Ebene der Literatur Politik für Österreich betrieben hat, eine Politik, die zumindest bis 1939 auch den vielen tausenden österreichischen Flüchtlingen zugute kommen sollte.
Nach der Befreiung wird einer der engsten politischen Mitar­beiter und Freunde Édouard Herriots seit den 1920er-Jahren, der Germanist, Essayist und Diplomat Marcel Ray, die „graue Eminenz“ der französischen Verwaltung in Wien werden. 1946 wird er offiziell den Posten des Direktors der französischen Di­vision de l’Information antreten und somit zuständig für den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen Österreich und Frankreich und gleichzeitig für die ganze österreichische Medienlandschaft sein. Als ehemaliger Journalist kannte er sich mit der Presse aus. Eng befreundet mit Karl Kraus, dem er Ende Februar 1934 auch helfen wollte, Österreich zu verlassen,26 wusste er, was Zeitungen können müssen. Heutzutage ist Marcel Ray in Frankreich nach wie vor bekannt für den regen Briefaustausch mit seinem Jugendfreund Valery Larbaud, der, wie vorhin erwähnt, sowohl bei „Le journal des poètes“ als auch bei „Le Parthénon“ mitgewirkt hat.
Als ranghoher Vertreter Frankreichs in Wien wird Marcel Ray den ehemaligen „Fackel“-Autor Otto Basil und dessen Zeitschrift „Plan“ unterstützen. In der ersten, im Oktober 1945 erschie­nen Ausgabe des Plan, wird erstmals nach der Befreiung wieder Theodor Kramer in Österreich publiziert und zwar unter dem Titel „Gedichte aus der Diktatur“: „Besuch beim Ziegelbrenner“, „Die Hand am Krampen“, „Die ihr im Schein...“, „Woher soll das Brot für heute kommen...“, „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“.27 Und auch in Österreich kam man inzwischen nicht mehr ohne Vergleich aus, um Theodor Kramers Arbeit zu beschreiben, diesmal wurde der US-amerikanische Dichter Edgar Lee Masters heran gezogen.28

 

LE DERNIER NOIR

ou pour traduction parfaite: La dernière tasse de café de Th. Kramer.

Quand mes souliers seront complètement éculés
et que mon pantalon aura des franges,
Après mon dernier repas, j’entrerai dans un café.
J’y entrerai sans affection,
comme si je n’avais pas erré
longtemps et désœuvré à travers la ville.
Je m’assoierai dans mon coin, selon le rite ancien,
Je m’assoierai naturellement, exactement comme si
je ne percevais pas le sursaut étonné du garçon

Naturellement, sans apparente émotion
j’humecterai mon gosier de la noire liqueur riche et parfumée.
J’humecterai mon gosier, qui depuis longtemps manquait d’une chaude gorgée.
Je prendrai mon journal habituel.
Je le parcourrai, ligne à ligne, page à page, sans voir les regards qui me détailleront de la tête aux pieds, curieux et peut-être réprobatifs...

Longtemps, longtemps je goûterai la chaleur bienfaisante, m’incrustant dans la banquette qui s’appuie au mur et qui sent le vieux varech...
Une fois encore ma main saisira la tasse blanche.

Encore une fois, – moi à qui plus rien ne réussit – je me sentirai quiet jusque en mes derniers replis... exactement comme un homme qui va au café... Et puis, avec ma dernière pièce je paierai et donnerai en plus, un pourboire, comme tout le monde.

Devant la porte du petit café,
le crépuscule colorera de bleu les pavés...
les pavés qui conduisent au fleuve.

Theodor Kramer: Le dernier noir. In: Le Parthénon. Revue indépendante. Jg 25. Nr. 4. 20. März 1937, 94.

 

Anmerkungen

1 In Austriaca Nr. 65-66, 2007-2008 erschienen ab S. 271 „einige Gedichte“in der Übersetzung von Thibaud Chaix-Bryan.
2 Theodor Kramer: Sur la mort violente d’un vieux trafiquant, poème [précédé d’une notice biographique – Traduction de Fagne-Gümbel]. In Le journal des poètes. 2 Jg. Nr.2, November 1931, 3.
3 Pierre Gueguen: Actualité poétiques. In Les Nouvelles littéraires, artistiques et scientifiques vom 12.5.1931, 4.
4 Robert Pitrou: Lyriques autrichiens d’aujourd’hui. Deux jeunes: Theodor Kramer et Guido Zernato; un poète arrivé: Franz Werfel. – Conclusion. In: Revue des cours et conférences. Année scolaire 1934–1935. Paris 1935, 145.
5 Theodor Kramer: Der letzte Schwarze. In: Mit der Ziehharmonika. Wien 1936, 108.
6 Le Parthénon. Revue indépendante. Jg 25. Nr. 4. 20. März 1937, 94.
7 Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918 – 1938. Band II. Belletristische Verlage der Ersten Republik. Wien 1985, 361.
8 Josef Mentschl: Schütz, Paul J.; Ps. Konrad Paulis (1891 – 1955), Sparkas­sendirektor und Schriftsteller. In: Österreichisches Biographisches Lexikon und biographische Dokumentation 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 53). Wien 1998, 303.
9 Volker Bühn: Alfred Grünewald: Exil in Nizza. In: ZW 2/2013, 28-32.
10 Transport 29 from Drancy, Camp, France to Auschwitz Birkenau, Ex­termination Camp, Poland on 07/09/1942. Auf: http://db.yadvashem.org/ deportation/transportDetails.html?language=en& itemId=5092601 (20.3.2016)
11 Nicht zu verwechseln mit dem berühmten französischen kommunisti­schen Widerstandskämpfer.
12 vgl. Antoine Albalat: Trente ans de quartier latin, nouveaux souvenirs de la vie littéraire, société française d’éditions littéraires et techniques, Paris 1930.
13 Autorenliste in Le Parthénon, Tome IX, 1914. 514f.
14 Jean-Michel Palmier: Weimar en exil. Le destin de l’émigration intellectu­elle allemande antinazie en Europe et aux Etats-Unis, Band 1. Paris 1988, 311.
15 Le Parthénon (1911-1939 / 1947-1948). Auf: http://www.revues-lit­teraires.com/articles.php?lng=fr&pg=1512 (22.3.2016)
16 Mémoires de la Société des sciences, arts et Belles-Lettres de Bayeux. Bayeux 1907, 58.
17 Frithjof Trapp, Werner Mittenzwei, Henning Rischbieter, Hansjörg Schnei­der (Hg.): Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945. Band 2: Biographisches Lexikon der Theaterkünstler A-K. München 1999, 169.
18 Alexander Emanuely. Avantgarde I. Von den anarchistischen Anfängen bis Dada oder wider eine begriffliche Beliebigkeit. Stuttgart 2015, 39.
19 Ankündigung in: Le Matin vom 4.3.1936, 5.
20 Soma Morgenstern: Alban Berg und seine Idole. Erinnerungen und Briefe. Lüneburg 1995, 273f.
21 Pierre George: Voix françaises en Europe Centrale. In: Comoedia, 24. Juli 1936, 1f.
22 Gérard Grelle: Ernst Karl Winter: éléments d’une pensée alternative de l’Autriche de l’entre-deux-guerres. (Habilitation). Paris 2013, 10.
23 G.E.R. Gedye: Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Österreich und den Sudeten. Eine Re­portage über die Jahre 1927 bis 1938. Wien 1981, 63.
24 Ebenda, 198.
25 G. Grelle: Ernst Karl Winter, wie Anm. 22, 18f.
26 Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher: Karl Kraus. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach. Marbach 1999, 471.
27 Theodor Kramer: Gedichte Gedichte aus der Diktatur. In: Plan. Jg. 1. Nr. 1, Oktober 1945, 32-36.
28 Kurzbiographien und Kommentare. In: Plan. Jg. 1. Nr. 1, Oktober 1945, 81.