Theodor Kramer Gesellschaft

Menü

Editorial

Wir Österreicher. – Wir glauben zwar nach wie vor, es sei ein Leichtes, ein richtiges Leben im falschen zu führen, doch es herrscht große Verdrossenheit. Übel sei es um das Land bestellt, es drohe Überfremdung, eine Pension werde man in 20 Jahren nicht mehr kriegen. Wer eine Wohnung mieten möchte, sollte sich um einen Nebenerwerb umsehen, sofern er überhaupt eine Beschäftigung hat. Die Freiheitliche Partei (FPÖ) verspricht Abhilfe. Da sie ja für „uns Österreicher“ eintritt, schlägt sie nicht nur vor, die Arbeitslosigkeit durch die Entfernung von Fremden zu mildern, sondern auch den Mietern zu helfen, und zwar durch Lockerung des Mieterschutzes. Dann würden Neumieter nicht mehr so schwer belastet werden, weil die privilegierten Altmieter auch ihren Beitrag leisten müßten. Also:
Lobet den Herrn, daß er den Mietzins uns senke
Und ihn zugleich
Erhöht in dem Reich
Ohne daß er sich verrenke.

Jedenfalls: Auf der einen Seite stehen wir Menschen, die Österreicher. Auf der anderen Seite steht das „rot-schwarze System“. Lassen wir es einen Wiener Germanisten sagen. Er ist „Schriftleiter“ der vom Verein „Muttersprache“ herausgegebenen Zeitschrift „Wiener Sprachblätter“. Er bat im „Lenzmonat“ (deutsch: März) 2012 in seinem „Am Wort“ (Editorial) die „Bezieher“ (Abonnenten) seiner Zeitschrift, für „unser Eintreten für die Kultur der deutschen Muttersprache“ zu spenden, „denn zu den wohlversorgten Nutznießern des ‚Systems‘, das sich in Österreich derzeit im Lichte von Krise und Korruption in aller Dreistigkeit offenbart, gehören gewiß weder unsere Zeitschrift noch unser Anliegen“.
Ob Korruption ein guter Beleuchtungskörper ist, bleibe dahingestellt. Die „Krise“ hingegen hätte uns die Augen öffnen können. Vermögens- und Erbschaftssteuern sind aber der FPÖ zufolge als „ein weiterer Schritt zur Enteignung und Plünderung des fleißigen Mittelstandes“ abzulehnen. Wir brauchen „Strukturreformen“ – auch so ein Wort, das ein anderes verdeckt.
„Systemzeit“ war das NS-Wort für die Weimarer Republik und für den austrofaschistischen Ständestaat 1934-38. Wer da vom „System“ sprach, hatte durchschaut, was gespielt wird, glaubte zu wissen, wer mit im Komplott ist. Das Wort erfreute sich bald größter Beliebtheit, zumal in der Krise; man brauchte sich über Ursachen und Zusammenhänge nicht den Kopf zu zerbrechen. Schuld war das „System“; sich selbst fühlte man nicht zur Verantwortlichkeit berufen. Der Wiener Germanist – er weiß, an wen er sich wendet – setzte das Wort „System“ sinngemäß ein.

Einstiegsdroge. – Im allgemeinen ist man in Kreisen der kritischen Intelligenz der Überzeugung, in Österreich sei eine Reeducation nach 1945 anders als in Deutschland versäumt worden, und dies vor allem darum, weil man sich dank der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 von aller Schuld befreit fühlte. Das Eingeständnis einer Mitschuld sei viel zu spät erfolgt. Daraus erkläre sich die allzu breite Akzeptanz rechtsextremer Politiker in Österreich, von Jörg Haider angefangen bis zum Präsidentschaftskandidaten der FPÖ, Norbert Hofer. Das Problem ist, daß der Aufstieg der „Rechtspopulisten“, wie sie beschönigend genannt werden, 1986 begann, sich also – Korruptionsvorwürfen, Hinweisen auf dunkle Finanzierungskanäle und erwiesener Mißwirtschaft zum Trotz – in den letzten 30 Jahren abspielte. Man möchte vermuten, daß all jene Antisemiten, die ihren Antisemitismus bis dahin als vom Staate gut verwaltet sahen und ihren Vorteil und Einfluß in den etablierten Parteien suchten, wieder zum Vorschein kamen, als die Politik ihrerseits die stille Übereinkunft, die Dinge ruhen zu lassen, aufkündigte. Eine verborgene Kontinuität trat gleich einem unterirdischen Flußlauf wieder zutage.
Bedenklich ist aber, daß die Rechtsextremen den Patriotismus für sich gepachtet zu haben scheinen. Er mutet zwar unter ihren Händen wie eine leere Wursthaut an, die sie mit etwas füllen, von dem sie nichts verstehen: der „deutschen Kultur“. Ansonsten dient ihnen die Heimatliebe, die Menschen auch zur Verantwortung für das Gemeinwesen motivieren könnte, bloß als Einstieg in einen um seine Konsequenzen unbesorgten Chauvinismus.
Leider haben viele der GegnerInnen des Rechtsextremismus in den letzten 30 Jahren dazu geneigt, Heimatliebe und Patriotismus als eine Einstiegsdroge in Nationalismus und Rassismus zu betrachten. Man hat sich bei der Vorbereitung des postnationalen Zeitalters ein wenig abgekapselt. Jetzt heißt es, man müsse „wieder auf die Menschen draußen zugehen“.

Auch andere können irren. – Die Verwertungsgesellschaft WORT, München, hat vor Jahr und Tag erkannt, daß Zwischenwelt keine der Berufsbildung dienende „monothematische Fachzeitschrift“ sei. Die in ihr veröffentlichten wissenschaftlichen Beiträge könnten daher nicht nach einem bevorzugten Tarif abgerechnet werden, sondern müßten gleich wie andere journalistischen Texte behandelt werden.
Das Gebiet der Nebenrechte und ihrer Nutzung ist kompliziert. Davon zeugt folgende, mir sogar zweimal zugegangene Zuschrift der „VG WORT“ an einen Herrn Dr. Konstantin Kaiser in Wien (München, 28. August 2015):
Sie sind Urheber [...] eines Textes, der in einer Sammlung für den Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch genutzt werden soll. Nach § 46 Abs. 3 UrhG sind wir verpflichtet, Sie davon in Kenntnis zu setzen. [...]
Titel des Beitrags: TOLERANZEDIKT DES KAISERS KONSTANTIN [...]
Autor des Beitrags: Kaiser, Konstantin

Folgt der Text einer um Einfachheit des Ausdrucks bemühten Neuübersetzung des sogenannten Toleranzedikts von 313 u.Z., das nicht den Christen allein Freiheit der Religionsausübung in Aussicht stellte, aber dieses Recht der Christen besonders betonte und damit den Weg zur Etablierung des Christentums als Staatsreligion ebnete. – Weiter unten steht:
Der Urheber kann die zulässige Verwertung verbieten, wenn das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht, ihm deshalb die Verwertung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann [...]
Dies bereitete mir nach der Lektüre von Schriften wie „Christentum wird Staatsreligion“ von Leo Katz und „Abermals krähte der Hahn“ von Karlheinz Deschner Gewissensqualen: War es mir nun in die Hand gegeben, der Geschichte einen anderen Lauf zu geben? Leider gestattet die Geschichte keine rückwirkenden Eingriffe. Könnte ein Verbot der weiteren Veröffentlichung nicht wenigstens aufklärend wirken und jenen engagierten ChristInnen helfen, die eine Kirche von unten anstelle der Amtskirche erstrebten?
Wie immer: Seit dem Tod Kaiser Konstantins sind sicher mehr als 70 Jahre verstrichen, mit seinem und meinem Urheberrecht ist es seit 408 u.Z. vorbei. Hätte auffallen können.

Konstantin Kaiser