Zertrümmerte Erinnerung am Semmering
Band 1: Eine österreichisch-jüdische Geschichte
... ein Sittenbild, eine Geschichte der Intrigen und Schikanen, eine etwas andere Semmering-Geschichte.
Teresa Schaur-Wünsch in Die Presse vom 11. Dezember 2024
Viele Jahre lang hat der Autor, Musiker und Kabarettist Richard Weihs am Buch über die Geschichte seiner jüdischen Familie gearbeitet. Diese erstreckt sich über vier Generationen und zeichnet ein bewegtes und bewegendes Bild von mehr als hundert Jahren österreichischer Zeitgeschichte. Besonderes Augenmerk richtete Richard Weihs in seiner "österreichisch-jüdische Geschichte“ auf die Pionierarbeit der Jüdinnen und Juden des Semmerings und auf deren Enteignung, Vertreibung und Ermordung.
Eine wichtige Figur ist die Großtante des Autors, Henriette Weiss, die in Breitenstein am Semmering ein berühmtes Sanatorium betrieb. Als Initiatorin und Leiterin mehrerer anderer Heilstätten und sozialer Einrichtungen war sie eine bekannte Persönlichkeit der I. Republik. Der Autor ist bei seinen Recherchen in verschiedenen Archiven auf viele bisher unerschlossene Quellen gestoßen und hat die bizarren Vorgänge um die Enteignung und lange verhinderte Restitution des Sanatoriums umfassend dokumentiert.
Die Mitglieder der Familie wurden von den Nationalsozialisten vertrieben oder ermordet. Darunter befanden sich Prominente wie Leon Kellner, engster Mitstreiter und Nachlassverwalter von Theodor Herzl. Seine Tochter Dora Sophie Kellner war mit dem Philosophen Walter Benjamin verheiratet, der mit ihr öfters zu Gast im Sanatorium am Semmering war. Dort weilten auch immer wieder bedeutende Protagonisten des Roten Wien: Karl Seitz war über viele Jahre Stammgast, weitere Gäste waren Otto Bauer, Friedrich Adler und Otto Glöckel.
Der Vater des Autors war eines der wenigen Familienmitglieder, die nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft nach Österreich zurückkehrten. Dies musste er bitter büßen: Er ging durch ein Komplott der ehemaligen Ariseure seiner Fabrik verlustig und war jahrelang inhaftiert. Außerdem kassierte der österreichische Staat entschädigungslos seine wertvollen Erdöl-Schürflizenzen.
Im letzten Teil des Buches schildert Richard Weihs den steinigen Weg zur Restaurierung der kleinen Villa beim Breitensteiner Sanatorium, dessen riesige Ruine er auf eigene Kosten abreissen lassen musste. Es gelang ihm aber die Errichtung einer Gedenkstätte durchzusetzen und auch die Umbenennung einer nach einem NS-Verbrecher benannten Straße am Semmering.
Richard Weihs Recherchen und Funde sind so umfangreich, dass sie 2025 in einem zweiten Band „Die kuriose Geschichte eines Kurtortes“ veröffentlicht werden.