Theodor Kramer Gesellschaft

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Mit der Harpune der Sonne - 200. Geburtstag Griechenlands

Gestaltet von Marcus G. Patka und Alexander Emanuely

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Alexander Emanuely

Einleitung

Am 21. April 1967 schwirrten in Athen um 4 Uhr früh 400 Polizisten in Zivil aus. Sie sollten diskret Politiker, Intellektuelle, Gewerkschaftler verhaften. Bald rollten auch die Panzer. Um 6 Uhr früh war es offiziell, dass das Militär putscht. Und schon um 17 Uhr wurde eine neue Regierung vereidigt.
Zu den ersten Verhafteten gehörte Giannis Ritsos. Er wurde drei Tage in einem Gefängnis, anschließend, wie Tausende andere, auf der in ein Gefangenenlager umfunktionierten Pferderennbahn von Athen-Faliro festgehalten, um schließlich auf die „Inseln“ deportiert zu werden.
Knapp 20 Jahre zuvor war Ritsos schon einmal verhaftet und in ein Gefangenenlager gesteckt worden, nämlich, mit 70.000 anderen Griechen, auf jenes der Insel Makronisos. Am 27. Oktober 1948 schrieb er dort folgende Zeilen:

Hier gibt es viele Dornen
braune Dornen, gelbe Dornen,
die ganze Länge des Tages, bis in den Schlaf hinein.

Jannis Ritsos: Tagebuch des Exils. München 1979, 9

Auch als Ritsos 1967 auf die Insel Jaros und später in das Lager Partheni auf Leros deportiert wurde, schrieb er weiter Gedichte. Viele Gedichte wurden aus dem Lager geschmuggelt und weltweit in dutzenden Sprachen publiziert. Viele Gedichte wurden vom im Pariser Exil lebenden Mikis Theodorakis vertont bei hunderten Konzerten in Europa und Südamerika vorgetragen. Lorenz Gyömörey übersetzte Ritsos und Michael Guttenbrunner schrieb über ihn:

Mit dir zusammen an die Wand gestellt,
schloß ich mit dir den Bund.
Und es ist jetzt wie einst,
wenn jäh dein Laut mich trifft.

Michael Guttenbrunner: Griechenland. Eine Landesstreifung. Wien 2001, 120

Die Bewunderung für Ritsos war bei beiden österreichischen Intellektuellen mit einer starken Bewunderung für Griechenland verbunden. Doch zollen wir im vorliegenden ZW-Schwerpunkt, mit Beitrag Marcus G. Patkas über Lorenz Gyömörey, nicht nur einem „Griechen-Maniak“ unsere Aufmerksamkeit. Es soll in erster Linie, auf Anregung Marcus G. Patkas, auf den 200. Geburtstags der Gründung Griechenlands aufmerksam gemacht werden. Am 25. März 1821 hatten in Rumänien, Konstantinopel und auf der Peloponnes Aufstände begonnen, die schließlich zur Staatsgründung führen sollten. Der neue Staat blieb lange Zeit von Kriegen, Krisen, Putschen, Diktaturen, Bürgerkriegen, Revolutionen und Okkupationen geprägt – und von Menschen wie Ritsos, der in seinen in der Lagerhaft entstanden „18 Volksliedern vom bitteren Vaterland“ festhielt:

Das Griechentum beweine nicht, weil es sich krümmt und windet,
das Messer tief, bis ins Gebein, den Strick fest um den Nacken.

Sieh, es springt auf, erhebt sich hoch, wird mutig, stark und mächtig,
und es durchsticht das wilde Tier mit der Harpune der Sonne.

Richard Schuberth berichtet von den ersten Jahren der „Harpune der Sonne“, vom Unabhängigkeitskrieg, der, wie jeder Krieg, vor allem aus Schattenseiten besteht. Die Künstlerin Helene Avramidis ermöglicht mit ihrer Familienerzählung einen sehr persönlichen Einblick in die Alltage des „Griechentums“ und einer dreifachen Flucht.
Der 25. März spiegelt auch in den folgenden Jahrhunderten die Höhen und Tiefen des Landes wieder. Am 25. März 1925 wurde die Erste Republik ausgerufen und am 25. März 1944 wurden in Athen bei Razzien der deutschen Besatzer tausende Juden und Jüdinnen verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Auch symbolträchtige Orte des griechischen Unabhängigkeitskrieges, wie das Kloster Aghia Lavra am Rande der Ortschaft Kalvryta, wurden während der Naziokkupation zerstört. So geschehen am 13. Dezember 1943, als in Kalavryta 677 Männer von den Soldaten der 117. Jägerdivision ermordet wurden. Diese Division bestand zum Großteil aus Österreichern.
Es ist ein zweiter Griechenland-Schwerpunkt geplant, in dem mehr auf die Zeit der Besatzung und der Verfolgungen durch die Nazis und ihre Verbündeten und auf den Widerstand und auf einen weiteren „Griechen-Maniak“, Michael Guttenbrunner, eingegangen werden soll und auch auf das österreichische Exil in Griechenland. Doch gerade zu diesem gibt es nur wenig Information, in erster Linie auch, weil das Land nach 1938 nur für wenige hundert ÖsterreicherInnen seine Tore öffnete. Dafür waren nach 1941 tausende GriechInnen als Gefangene und ZwangsarbeiterInnen nach Österreich verschleppt worden.
Robert Streibels Beitrag im vorliegenden Heft berichtet vom
Massaker des 6. April 1945 in Stein/Krems. Unter den ermordeten
Häftlingen befanden sich viele Griechen.
Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, schließt dieser erste Teil des Griechenland-Schwerpunktes mit einer ausführlichen Chronik, in der, frei nach Melpo Axioti, von Hellas „Tränen und Marmor“ berichtet wird.
Im Gegensatz zu 1938 ist Griechenland im Jahr 2021 sehr wohl ein Land der Flüchtlinge. Thomas Wallerberger führte in diesem Zusammenhang ein Gespräch mit Thomas von der Osten Sacken, der nicht nur seit vielen Jahren auf Lesbos lebt und in Moria Flüchtlingshilfe leistete, sondern auch einen kritischen und ernüchternden Blick auf die Geschehnisse der letzten Jahre wirft.

Folgende Beiträge über GriechInnen und Griechenland erschienen bisher in ZW und MdZ:

Richard Schuberth: Das griechisch-mazedonische Dilemma. In: ZW Nr. 4 4/2018 13f.
Robert Streibel: Ein Straßenschild eröffnet eine neue Welt. Stefan Zweig und Krems. In: ZW Nr. 1-2/2016, 11-14.
Alexander Emanuely: Theon Spanudis – Psychoanalytiker und Dichter in drei Welten. In: ZW Nr. 3-4/2013, 54-60.
Franz Richard Reiter: Iakovos Kambanellis‘ „Die Freiheit kam im Mai“.In ZW Nr. 2/2013, 9.
Daniela Strigl: „Ich möchte etwas Griechisches sagen, und es müßte leuchten“. Zum Tod von Jannis Ritsos. In: MdZ Nr. 4 4/1990, 6f.
Daniela Strigl: „Alle, die wir hier sind, haben wir einen Himmel und das gleiche Lächeln“. Zu Jannis Ritsos 80. Geburtstag. In: MdZ Nr. 3/1989, 1-5.