Schiller Marmorek
Der Verrat der Schriftsteller
Eine Anzahl von mehr oder weniger hervorragenden Schriftstellern hatte vor kurzem die einzigartige Gelegenheit, für Zweck und Sinn ohrer Lebensarbeit zu demonstrieren. In Ragusa versammelten sich die nationalen Sektionen des Penklubs zu einer Tagung. Der Penklub ist eine freie Vereinigung von Schriftstellern, bedeutende Persönlichkeiten der Literatur aller Sprachen gehören ihm an, wenn auch von seinen Mitgliedern viele, die wahrhaft das Schriftum ihres Landes repräsentieren, deren Ziele trotz öfterer Wiederholung recht verschwommen sind. Aber immerhin, in Ragusa waren Männer und Frauen vereinigt, die, wie sie behaupten, dem Geiste dienen, ihn in Worte fassen und in seinem Namen reden und schreiben. Sie kamen in einem Augenblick zusammen, da die Barbarei des heutigen Deutschlands noch keineswegs abgeschlossen, im Gegenteil so weit gediehen ist, daß sie die Formen normaler Organisation annimmt, und da ihre einprägsamsten Taten noch im Bewußtsein aller lebendig sind. Braucht man es noch einmal darzustellen, was sie vollbracht hat? Man konnte eine Bilanz ziehen, ein Urteil über ds neue Regime fällen, wobei es überflüssig gewesen wäre, sich auf das politische Gebiet zu begeben. Wenn die Sache des Penklubs die Behütung geistigen Schaffens, seiner Voraussetzungen und Erfordernisse ist, so war das Urteil nicht zu vermeiden, denn der Geist ist unter der Fuchtel des Hakenkreuzes gepeinigt, verbrannt, geschändet worden. Es waren Vertreter des Dritten Reiches anwesend. Man hatte Gelegenheit, ihm seine Schande ins Gesicht zu rufen. Und das alles hat der Penklubkongress nicht getan. Oder er hat es in zweideutiger Weise getan. Oder er hat es mit allzu gemessenen Worten, ohne die aufstachelnde Leidenschaftlichkeit getan. Dadurch haben die Schriftsteller, die für ihn verantwortlich sind, den Geist verraten.
Über den Verlauf der Diskussionen in Ragusa sind verschiedene, einander widersprechende und immer subjektive Nachrichten in die Welt hinausgelangt. Man hörte von einer scharfen amerikanischen und einer, man weiß nicht, schärferen oder milderen belgisch-französischen Resolution, deren Wortlaut man noch immer nicht erfahren hat. Man las Berichte über persönliche Konflikte von Mitgliedern während der Sitzungen, von palrlamentarischen Schachzügen der einen und der anderen Gruppe, mit Befriedigung wurde gemeldet, daß die drei deutschen Vertreter des literarischen Hakenkreuzes im persönlichen Verkehr gar nicht so wild waren und nicht einmal mit der Nilpferdpeitsche gedroht haben. Die österreichischen Delegierten sollen sich, so wurde erzählt, schändlich benommen haben, und der eine der beiden Deligierten der österreichischen Literatur im Penklub, Herr Felix Salten, erwidert jetzt auf mehrfache Angriffe, daß es nicht so arg war. Alles Nebensache. Es war arg, wie immer auch die persönliche Haltung dieser oder jener Kongreßmitglieder gewesen sein mag. Es ist furchtbar, daß mehrere hundert Schriftsteller, die sonst das Wort handhaben verstehen, in einer Sache, die Idee, Wesen und Kern alles geisitgen Schaffens betraf, Wort und Geste nicht gefunden haben, die, dächte man, sich ihnen von selbst, ohne Konventikel und Aufträge, hätte aufdrängen müssen.
Sie haben in ihrer Resolution, Sire, Gedankenfreiheit verlangt. Lauter Marquis Posa. Wenn man sich diejenigen von ihnen, die man kennt, so recht im Geiste vorstellt, so ist man überzeugt: sonderbare Schwärmer! Sie haben zwei Resolutionen beschlossen, die so eindringlich das sagten, was zu sagen war, so treffend von den idealen wahrer Kultur und Menschlichkeit durchdrungen waren, daß - nun daß auch die drei Abgesandten der deutschen Barbarei für sie stimmen konnten. Ist das nicht heldenhaft? Jeder Mensch, der in seiner Gesinnung nicht die Ehrfurcht vor dem Geist mit der Rücksicht auf die Erhaltung des Penklubs vereinigt, hätte in einem solchen Augenblick einen flammenden Protest, einer lohenden empörung Worte geliehen, die die drei Heuchler aus dem Naziland, die sich die Nebelhaftikgeit der Penklubideale zunutze machen wollten, um Europäertum zu posieren, aus dem Saale hätten jagen müssen. Mit denen hätte es kein Paktieren und Worteführen geben dürfen, kein Suchen nach einer Basis gemeinsamen Einverständnisses und eines möglichen Zusammenarbeitens. Weiß man, ob sie nicht selber mitgewirkt haben, die Säuberungslisten für die Bücherverbrennungen aufzustellen, ob sie nicht selber daran waren, die besten Männer und Frauen des deutschen Schrifttums mundtot zu machen, ob sie nicht selber diese gelästert, gehemmt, in der Wirkung ihrer Lebensarbeit oder gar körperlich zugrunde gerichtet haben? Und waren es nicht die drei Burschen mit Hakenkreuz und Penklubabzeichen - denn man kennt nur wenig den einen, den Martin Elster, und gar nicht die beiden anderen -, so haben das sicherlich ihre Fanghunde getan oder ihre vorgesetzten Kommissare. Und mit solchen gleichgeschaltenen Leuten setzen sich die Kameraden der andern, der verfemten, der gepeinigten Schriftsteller, solche, die nur frei sind, weil sie nicht in Deutschland lebten, zusammen, um das Verbleiben der deutschen Delegierten auf dem Kongreß zu ermöglichen, um es nicht dazu kommen zu lassen, daß ihnen das Brandmal, das sie wohl verdienten, auf die Stirne gedrückt werde! Und man votierte in die Luft hinein akademische Resolutionen, weil, wie Herr Salten es Freitag in seiner verlegenen, stammelnden, notdürftigen Rechtfertigung sagt, man hoffte, daß dadurch "das Los hunderter geistiger Arbeiter in Deutschlanf gemildert werden müßte". Kein Zweifel! Wenn die deutschen Delegierten mit einer Resolution heimkehren, der Herr salten und die zweite österreichische Delegierte, eine Frau Grete Urbanitky, die Erotika in Kreuzstich ausführt, zugestimmt haben, dann werden sich die Hitler und Göring und Göbbels gewiß eines Besseren besinnen und Buße tun. Und dann werden in Deutschland geistige Menschen nicht mehr mit Stahlruten geprügelt und in Konzentrationslagern abgerichtet werden?! Aber selbst wenn Nazideutschland auf die Ermahnung des Penklubkongresses in Ragusa, daß es doch nicht angehe, Bücher zu verbrennen und Schriftsteller wegen ihrer Gesinnung zu peinigen, hörte - was ist es mit jenen tausenden geistigen Menschen, die verelendet, vernichtet, heimatlos sind, bloß weil sie Schriftsteller mit Gesinnung waren? Von denen ist gar nicht mehr die Rede, dieses Verbrechen, ein Verbrechen an dem Geist, den man in Ragusa zu vertreten vorgab, zählt gar nicht mehr und ist schon erledigt, wenn man für die Zukunft Bürgschaften hätte?
Der Grundfehler dieser Schriftsteller, die man sonst als sehr gewitzte Leute kennt, ist, daß sie trotz allem laut vorgebrachten Idealismus sich mit einem Male als so maßvolle Taktierer erwiesen. Der Geist wird mit Füßen getreten, mit Mordinstrumenten und Brandfackeln ausgemerzt, und da machen sich ebenso viele Rücksichten geltend, als Männer und Frauen anwesend waren...
Die Engländer allein hatten anscheinend das richtige Emfinden. Der Vorsitzende, H.G. Wells - ein Utopist! -, und noch ein andrer Delegierter, ein Schotte, wollten zum Kern der Sache vordringen. Man fiel ihnen ins Wort, man überschrie sie, man ließ es nicht zu, daß sie die deutschen Delegierten zu einer Antwort zwangen: Was habt ihr getan, ihr, deutscher Penklub, um den Geist, der bei euch daheim geschändet wurde, zu schützen? Was könnt ihr künftighin tun,um ihn davor zu bewahren? Die Lüge, die da unweigerlich ans Licht hätte kommen müssen, wurde unterdrückt und diesmal wurde mit ihr zugleich eine Wahrheit unterdrückt, eine historisch wichtige , eine für Schriftsteller, die es mit ihrer Arbeit ernst nehmen und sie nicht als einen Brotberuf auffassen, alles andre überragende Wahrheit. Herr Felix Salten gesteht es ja selber, da er rückschauend die österreichische Spezialschande im Rahmen der internationalen Gesamtschande jener Literatenversammlung zu erläutern sucht. Er ist nicht für die Prinzipien der Gleichschaltung und für das, was man unter ihr versteht. Sehr gültig und sehr begreiflich. Er betrachtet die jetzigen Zustände in Deutschland mit Empfindungen. Aber: "Der Vorstand des Wiener Penklubs hat einstimmig den Entschluß gefaßt, sich an einer Debatte gegen Deutschland nicht zu beteiligen... Für die offiziellen österreichischen Delegierten war die Erwägung maßgebend... daß Österreich seit Jahrhunderten in Sprache, Dichtung und geistigem Streben mit Deutschland unauflöslich verbunden ist, und daß diese Verbundenheit über jede wechselnde politische Lage hinweg bestehen bleibt und bestehen bleiben muß." Wie kommt das alles in diesen Zusammenhang? Deutschland und alles, was deutsche Sprache und Dichtung betrifft, steht außerhalb der Debatte. Es galt, den heutigen deutschen Machthabern, die sich durch drei Delegierte ihres Ungeistes nach Europa gewandt hatten, zu sagen, was Europa denkt. Aber bei dieser Aussicht knickte Herr Salten und mit ihm sein Vorstand in die Knie. Mit einer Macht anzubinden, und sei es auch die Macht des Ungeistes, das liegt ihm nicht. Da sucht er, wie er selber sagt, "ruhige Verständigung". Später brachte er freilich sein Bekenntnis vor. Aber warum erst später? Warum nur ein Bekenntnis zum Judentum und nicht zum Geist überhaupt, für den er hätte agieren müssen? Warum dies alles? "Aus Treue für die ziele des penklubs, die gefährdet waren." Was die Ziele des österreichischen Penklubs sind, ist seinen gewöhnlichen Mitgliedern, nd erst recht noch fernerstehenden Menschen, nicht ganz klar. Wenn sie nicht in der Veranstaltung von aristokratischen Tanzabenden bestehen, wenn sie nicht die sind, Theaterkritiker mit Theaterdirektoren gesellschaftlich zusammenzubringen, so kann das Ziel einer Schriftstellervereinigung nur die aktive, glühende, unerschütterliche Verteidigung von Schriftstellern, ihrer Arbeit, ihres Lebenszweckes, ihrer Freiheit sein. Frilich gibt es viele Schriftsteller. deren Tätigkeit sich in der Vertretung von Verlegerinteressen und im niedrigen Handwerk des Tagesbedarfes erschöpft. Aber es gibt noch andre - und gerade um ihretwillen hätte man Kameradschaftlichkeit erwartet -, die in ihrem Beruf eine Mission sehen. Und deren Heiligkeit ist im Dritten Reiche, das seine Verteter in Ragusa hatte, unsäglich mißachtet worden. Für sie, für den geist, der in jedem der auf Scheiterhaufen verlodernden Bücher verbrannt wurde, für ihn, der mit dem letzten ins Konzentrationslager gestecken oder über die deutsche Grenze vertriebenen Tagesschriftsteller gequält wurde, um des Geistes willen, der mit Heinrich Mann aus der Preußischen Dichterakademie weggestoßen wurde, ja, um dieses Geistes willen hätte man nicht Treue und gegen die Ziele des Penklubs, Treue gegen die literarische Verbundenheit der beiden deutschschreibenden Länder, sondern Treue gegen die Mission des Schriftstellers üben müssen. Das ist nicht geschehen. Die Schriftsteller haben wieder einmal den Geist und ihre heiligen Aufgaben verraten.
Arbeiter-Zeitung, 3.6.1933, 1f