Walter Lindenbaum
Kaiser Wilhelm, Kürten und das Lachkabinett.
Unlängst, an einem Vormittag, schlenderte ich durch die Ausstellungsstraße; der Prater hält Winterruhe, alle Buden sind geschlossen, da sehe ich eine Frau in einer Kasse sitzen. Ich lese groß geschrieben: "H. Präuschers Erben. Panoptikum und Menschenmuseum." Die Frau wittert einen Gast und winkt, und mir winkt der Traum meiner Flegeljahre, das Geschlechtsleben der menschen um zwanzig Kreuzer. Ich trete ein und stelle mich vor: "Ich bin von der Zeitung und möchte eine Reportage machen." Erst macht sie ein saures Gesicht, aber dann ladet sie mich ein, neben ihr in der Kasse Platz zu nehmen. Bevor ich noch eine Frage stelle, beginnt sie...
Biographie des Panoptikums.
Hermann Präuscher war ein Deutscher, er stammte aus einer Schaustellerfamilie, studierte in Deutschland Medizin, brannte abre mit siebzehn Jahren nach Paris durch und wurde über Nacht ein weltberühmter Dompteur. Hier konnte ich nicht mehr mit, weil ich den Zusammenhang nicht herausfand. Also das war so. Präuscher wettete mit einem Dompteur, daß er mit Eisbären und Löwen zusammen im Käfig soupieren würde. Mahlzeit! Er gewann die Wette. Von da an trat er täglich auf. 1870 kam er nach Wien und baute an dieser stelle das erste Menschenmuseum, das damals "Mensch, erkenne dich selbst" hieß. Was die Wiener auch erkannten und in Scharen kamen. Später kam noch das Panoptikum dazu; hinten befindet sich ein Atelier, wo einst fünfzehn Bildhauer Beschäftigung fanden. Hier unterbrach ich die liebenswürdige Kassierin und fragte sie, wieso sie so gut informiert sei. Sie sei die Enkelin Präuschers. Da kann sie mir auch Auskunft geben über die Herstellung der Figuren? Das geschieht auf die einfachste Art. Erst wird eine Gipsform gemacht, dann eine aus Lehm, schließlich wird eine aus Wachs gegossen und diese wird koloriert. Sehr einfach. Das Panopitkum ist weltberühmt, und der Gründer machte volksbildnerische Reisen nach Warschau und Paris. So sagt seine Enkelin.
Laudenbach ist zu kostspielig.
Ich erkundige mich nach der Anzahl der Figuren. 700 im Menschenmuseum und 170 im Panoptikum. Neuanschaffungen wurden in der letzten Zeit nicht viel gemacht, die letzte war Peter Kürten, der auch eine Zeitlang ein guter Kassenmagnet war. Überhaupt die Verbrecher. Bis jetzt wurde noch kein einziger Lebender in Wachs gegossen. Gerade einem Massenmörder wäre beinahe diese Ehre zuteil geworden. Laudenbach sollte der "Glückliche" sein. Aber er wurde es nicht, denn er stellte zu hohe finanzielle Ansprüche. Schade! Das Publikum fiebert nach Verbrechern. Beliebt sind auch Monarchen und berühmte Feldherren: Kaiser Wilhelm und Prinz Eugen haben großen Liebhaberwert. Nur darf man die Katalognummer nicht verwechseln, sonst kann es einem kurzsichtigen Besucher passieren, daß er Kaiser Wilhelm mit Peter... ich wage diesen majestätsbeleidigenden Satz nicht zu Ende zu schreiben. Populär war auch seinerzeit bei den Wienern der Gorilla mit dem geraubten Mädchen.
Hiden und Sindelar in Wachs.
Wir machten dann einen kleinen Spaziergang durch das Panoptikum. Mir war etwas unheimlich zumute; der muffige Geruch, die lebensgroßen Wachsfiguren, die wundervoll nachgeformt sind, man glaubt immer, daß sie sich bewegen würden. Ehrlich gesagt, war ich herzlich froh, als wir zur Kasse zurückkehrten. Man muß mit der Zeit gehen, seufzte meine Führerin, die Verbrecher ziehen auch nicht mehr lange. Wenn die Zeiten besser werden, wird eine Sportabteilung ins Leben gerufen, vielmehr in Wachs gegossen. Die von der Jugend vergötterte Wundermannschaft wird in Glaskasten den bewundernden Sportfanatikern gezeigt werden. Dann werden gewiß beim Kaiser wilhelm und Peter Kürten weniger Leute stehen. Auch kein Unglück. Von den Zivilisten gar nicht zu reden. Richard Wagner, Goethe, Schiller, Johann Strauß stehen unbeachtet. Im Krieg wurden sie alle über Nacht berühmt. Denn in der Nacht wurden sie alle ihrer Kleider beraubt, Gehrock, Frack und Smoking. Waren sie doch zu etwas gut. Die schäbigen Zivilisten.
Die Frauen halten mehr aus.
In der "guaten, alten Zeit" kam tagtäglich die Fürstin metternich mit einem Gefolge von Komtessen und jungen Grafen. Sozusagen aristorkratische Kücken. Die Komtessen führte sie ins Panoptikum (Aschenbrödel, Knusperhexe). Die jungen Herren kamen nebenan ins Anatomische. Von wegen der Aufklärung. Hoffentlich hat die alte Fürstin die Gruppe nie verwechselt. Überhaupt das Anatomische. Bevor die Männer hineingehen, lachen sie und machen sich über alles lustig. Und die Frauen sind still. Beim Verlassen sind oft die Männer "kasweiß" und reden kein Wort; es hat sie mehr hergenommen als die Frauen. Da fällt mir gerade ein: ich habe das Anatomische noch immer nicht gesehen. Jetzt bin ich doch nicht mehr schulpflichtig. Aber die Zeit ist zu vorgeschritten, mein Magen knurrt. Ich verabschiede mich; die Frau erzählt mir noch vom schlechten Geschäftsgang. Nun ja, Reklame darf ich keine machen, aber die Adresse schreiben ich auf: Prater 140, H. Präuschers Panoptikum... Die Anatomie hätte ich doch gern gesehen!
Das Kleine Blatt, 23.1.1934, 7
Anmerkungen
Peter Kürten (1883-1931), Serienmörder, auch "Vampir von Düsseldorf" genannt. (Spiegel-Artikel von 2013)
Franz Laudenbach (1890-1943), Eheschwindler und Raubmörder. (Feuilleton von Felix Salten in der Neuen Freiein Presse vom 26.6.1932)
Rudolf Hiden (1909-1973), franko-österreichischer Tormann, Fußballstar.
Matthias Sindelar (1903-1939), österreichischer Fußballstar. Die International Federation of Football History & Statistics (IFFHS) zählt ihn zu den 100 besten Fußballer des 20. Jahrhunderts.