Ruth Beckermann
WOHIN UND ZURÜCK: Anmerkungen zur Filmtrilogie und ihrem Regisseur
Aus: Wohin und zurück. Die Trilogie.
In einem seiner Radioessays "Der Schalldämpfer" erzählt Axel Corti von einer Gesellschaft, die mit ihrem bei solchen Anlässen üblichen Smalltalk die Räume füllt. Man hebt das Glas, man lacht, man äußert seine Meinung und grenzt sich von einer anderen ab. Da taucht ein Mann auf, der nichts sagt und nichts meint und erst mal um sich schaut, dann zu einer Gruppe tritt, um die dahinplaudernde Runde plötzlich mit der Frage zu erstaunen: "Haben auch Sie ein gelbes Zimmer?" Nach einem Moment überraschten Schweigens entspinnt sich ein angeregtes Gespräch unter den Anwesenden. Die Langeweile ist verflogen. Der Fragende hört zu und lächelt. Er höre zu und freue sich über die Erzählungen, er selbst beziehe nicht Stellung, sagt er dem Autor. Er wolle bloß nicht dazugehören, denn Überzeugungen könnten in schlechtere Gesellschaft führen als Laster. Nicht dazu gehören, um besser beobachten und besser erzählen zu können. Dem eigenen Schatten, der auf das Gesicht des anderen fällt, aus dem Weg gehen. Erst wenn der eigene Schatten nicht mehr ins Bild falle, erst wenn die Urteile und Vorurteile ausgeschaltet wären, hätte es Sinn, den anderen anzusehen, schrieb - Heimito von Doderer zitierend - Axel Corti. Im Bewußtsein, daß es unmöglich sei, den anderen anders als durch sich selbst zu sehen, arbeitete er immerfort am eigenen Blick, mit dem Ziel, den anderen nicht allein zu verstehen, sondern der Empathie für ihn fähig zu werden.
Axel Corti war ein politischer Mensch, einer, der sich empören konnte. Doch vereinnahmen ließ er sich nicht. Obwohl er mit prononcierten Linken zusammenarbeitete, gehörte er nicht zu ihnen. Die Protagonisten in Franz Werfels "Blaßblauer Frauenhandschrift" oder der heimatlose jüdische Flüchtling Freddy in der Trilogie "Wohin und Zurück" waren ihm näher als einer eindeutigen Ideologie verhaftete Arbeiter- und Bauernfiguren. Ihm ging es um den Einzelnen. Um den Menschen, den er immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen und Situationen ergründete. Den Tiefen und Untiefen der Seele galt das Interesse dieses Schnitzler-Nachfolgers.
Während sich linke Autoren in den 70er Jahren mit der Geschichte des 20.Jahrhunderts aus der Sicht der Arbeiter und Bauern beschäftigten, was zum Beispiel in der Fernsehserie "Alpensaga", in welcher übrigens auch antisemitische Vorurteile nicht fehlten, seinen Ausdruck fand, war Axel Corti wohl der ideale Regisseur, um das seine persönlichen Erlebnisse reflektierende Drehbuch Georg Stefan Trollers "Wohin und Zurück" für das Fernsehen umzusetzen. So unterschiedlich ihre Biografien, so sind doch beide - Corti wie Troller - vor allem Humanisten und Europäer. Der in Paris geborene, zum Teil in Tirol und der Schweiz sozialisierte großbürgerliche Individualist Axel Corti traf in Georg Stefan Troller sein Pendant. Auch er ein Europäer, ein Jude, der aus Wien hinausgeworfen worden war, wie Corti einen Teil des Krieges in Frankreich verbracht hatte und in die USA emigrieren konnte. Einer, der sich bereits kurz nach Kriegsende enttäuscht von diesem neuen im alten Antisemitismus und im alten Selbstmitleid verkommenen Österreich abwandte, welches Corti, der seit Kriegsende in Österreich lebte und arbeitete, durch alle Parteien und Schichten hindurch witterte und verachtete.
In der Filmtrilogie "Wohin und Zurück" beginnt die Vernichtungsgeschichte der Juden am 10. November 1938 in Wien. Der junge Ferry sieht vom Kellerfenster aus, wie Naziburschen alte Juden im Hof eines Hauses Kniebeugen und Liegestütze üben lassen. Später erfährt er, daß sein Vater unter den Mißhandelten war und an ihnen gestorben ist. Kein Mitleid der Nachbarn mit dem Sohn eines langjährigen Hausgenossen. Sofort tritt die Wiener Raffsucht in Aktion: der Polizist arisiert gleich mal das Radio B für sich selbst natürlich -, die Hausmeisterin bangt um die ausstehende Miete, ein Ariseur übernimmt das elterliche Stoffgeschäft. Ferry bleibt interessant, solange man ihn noch berauben kann. Der Polizist schreibt dem Jungen seine Adresse auf, sagt, er könne ihm vielleicht helfen. Als er den Mann in seiner Behausung aufsucht, trifft er ihn im Unterleiberl seine Suppe löffelnd an, während sich der fette Sohn bereits seiner HJ-Uniform erfreut. Er schaut auf die Suppe, er schaut auf den Mann und gibt ihm doch den Schmuck der Mutter für die vage Aussicht, an der tschechischen Grenze von einem Schlepper abgeholt zu werden. Der andere nimmt ihm auch noch das goldene Zigarettenetui unter dem Vorwand ab, es mit Nickel überziehen zu lassen, damit Ferry es unbeschadet über die Grenze bringen und im Ausland davon leben könne. Natürlich stellt sich später heraus, daß er es gegen ein anderes ausgetauscht hatte und unter dem Nickel nix als Nickel war.
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