Theodor Kramer Gesellschaft

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Alexander Emanuely

Mensch auf der Suche

Zum 90. Geburtstag von Susanne Harpner


Susanne Harpner konnte sehr bestimmt auftreten, aber im Grunde blieb sie stets ein Mensch auf der Suche, ein Mensch voller Neugier, und dennoch konnte sie auch mit großer Beharrlichkeit - auch über jahrelange Unterbrechungen hinweg - an einem Projekt, einer Idee festhalten. So bei ihrem Theaterstück über die resolute Nonne Maria Kafka. In der szenischer Legende "Der liabe Pinguin" über die mutige Franziskanerin und Krankenschwester Maria Kafka - bekannter noch und selig gesprochen unter ihrem Ordensnamen Restituta, die am 29. Oktober 1942 von den Nazis wegen "Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat" hingerichtet wurde - wird eine Frau porträtiert, die sich als Nazi-Gegnerin kein Blatt vor den Mund nimmt, die als Krankenschwester ohne Angst vor Konsequenzen ihre Schützlinge, meist ArbeiterInnen und KommunistInnen, besucht und gerne ins Wirtshaus auf ein Bier geht. Sie ist beliebt und wird besungen, so im "Song Restituta-Resoluta!"

Sie dirigiert den Schwesternchor.
Gesang freut Gott - und Menschenohr.
Ins Wirtshaus geht sie jede Woch'.
Lobt's Bier und Gulasch und den Koch.
Der Orden findet das nicht gut.
Sie aber ist da resolut.
Restituta - Resoluta!

Und weil ihr das Lied gefällt, stimmt sie auch in den "Zitronen-Song" des guten Freundes und kommunistischen Ziegelarbeiters Max mit ein:

Besetzt haben die Nazis vom Reich
Unsere Heimat Österreich!
Mit Putz und Stingl sich einverleibt,
Damit's jetzt ihre Ostmark bleibt.
Und mit der Nazi-Siegesfeier:
Weg war'n unsere Butter und Eier ...

Wollt's untätig zuschau'n, bis sie den Rest
Aus der Ostmark-Zitron' herausgepresst?

Beim Lesen fühlt man sich stark an ein Mittelstück von Jura Soyfer erinnert. Aus unerfindlichen Gründen ist Susanne Harpners Stück nur einmal aufgeführt worden, und zwar als Lesetheater im Sommer 1986 am Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien; unter den Vortragenden waren u.a. Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser und Peter Roessler. Das Stück wurde nicht einmal verlegt, obwohl Vater und Onkel der Autorin zu den bedeutendsten Musik-Verlegern des 20. Jahrhunderts zwischen New York und Wien gehörten. Als zum Beispiel Susanne Harpners Vater Alfred Kalmus 1969 seinen 80. Geburtstag feierte, wurde in der Queen Elizabeth Hall in London für ihn ein Konzert veranstaltet. Elf Komponisten widmeten ihm als Geschenk jeweils ein Werk, darunter Pierre Boulez, Roman Haubenstock-Ramati, Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio, der sein Sextett "Modification and Instrumentation of a Famous Hornpipe as a Merry and Altogether Sincere Homage to Uncle Alfred" nannte.

Susanne Katharina Gisela kam am 1. Oktober 1924 in Wien zur Welt. Ihr Vater und ihr Onkel Edwin F. Kalmus waren gerade mit großen Plänen beschäftigt. So sollte der Onkel bald nach ihrer Geburt nach New York ziehen, um dort die "Edwin F. Kalmus & Co" zu gründen, den bald größten unabhängigen Musikverlag der USA, der noch heute mit dem Spruch "If it's classical, it's Kalmus" wirbt. Alfred Kalmus hatte 1909 als Lehrling in der renommierten und 1901 gegründeten Universal Edition (UE) angefangen, zwei Jahre nach Antritt Emil Hertzkas als Verlagsleiter, bzw. in jenem Jahr, da die ersten zeitgenössischen KomponistInnen, darunter Gustav Mahler und Arnold Schönberg, anfingen, in der UE zu publizieren. Ihnen folgten bald Alban Berg, Ernst Krenek, Hanns Eisler, Kurt Weill, Darius Milhaud, Béla Bartók. Alfred Kalmus plante schon als junger Mann, Musik-Verleger zu werden, und hatte deshalb auch Rechtswissenschaften, genauer genommen Urheberrecht studiert. Der Einstieg in die UE war auch deshalb naheliegend, weil seine Tante, die berühmte Frauenrechtlerin Jella Hertzka, die Ehefrau des Verlagsleiters war.
Susanne wuchs mit ihrer Schwester Margherita in dem von Otto Wagner entworfenen Haus am Naschmarkt auf, berühmte und weniger berühmte KomponistInnen und MusikerInnen gingen hier aus und ein.
Als Emil Hertzka 1932 starb, traten Alfred Kalmus, Hans W. Heinsheimer und Hugo Winter seine Nachfolge als Verlagsleiter an. 1936 zog Alfred Kalmus nach London, um dort eine Dependance der UE zu gründen, es galt, neue KomponistInnen zu finden, neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen, denn inzwischen waren die meisten der KomponistInnen der UE in Deutschland verboten, was fast zum Ruin des Verlags geführt hätte.
Die Wiener UE sollte jedoch bald "arisiert" und erst wieder 1947 an ihre rechtmäßigen BesitzerInnen rückerstattet werden. Inzwischen übernahm das 1760 gegründete Verlagshaus Boosey & Hawkes, der damals weltgrößte Musikverlag, die englische Filiale der UE.
Erst 1939 kamen Susanne und ihre Schwester, die in Wien in einem Heim untergebracht waren, mit einem Kindertransport nach England nach. Von 1939 an lebte die Familie im Londoner Stadtteil Wembley, die Kinder besuchten eine Internatsschule. Die Mutter Marianne konnte schon vorher flüchten.

Während Alfred Kalmus Kammermusikkonzerte mit ausschließlich zeitgenössischem Repertoire und einem Schwerpunkt auf britischen KomponistInnen, die berühmten "Boosey & Hawkes Concerts", organisierte, während er für die neuen Eigentümer der UE die Anglo-Soviet Music Press gründete, wo zum ersten Mal im Westen Sergej Prokofjew und Dmitrij Schostakowitsch verlegt wurden, schloss sich Susanne der "Free Austrian Youth" an, wo sie in dem von Erwin Weiss geleiteten Chor und bei den "Austrian Youth Players" und mitwirkte, u.a. als Amine in Ferdinand Raimunds "Der Diamant des Geisterkönigs" im November 1945. 1940 wurde Alfred Kalmus für kurze Zeit als "enemy alien" in Huyton interniert. Er lernte dort den Wiener Anwalt Otto Harpner kennen, dessen Vater, der bekannte Anwalt Gustav Harpner, eng mit Emil Hertzka befreundet war und vor dem Ersten Weltkrieg fast alle KünstlerInnen der UE rechtlich vertreten hatte. Otto Harpners Sohn Stefan G. wird 1959 nach Wien zurückkehren, die Leitung der UE übernehmen und 1961 Susanne heiraten.

Verheiratet war Susanne Kalmus jedoch schon zuvor einmal, und zwar ab 1947 mit dem Berliner Hans Jacobus (1923 - 2001), der im Dezember 1938 ebenfalls mit einem Kindertransport nach London flüchten hatte können. Hans Jacobus war 1941, nach seiner Rückkehr aus der Deportation als "enemy alien" nach Australien, in London der "Freien Deutschen Jugend" beigetreten, hatte als Schlosser und von 1945 bis 1947 als Lehrer für aus Konzentrationslagern befreite Kinder gearbeitet.
1947 ging das junge Paar nach Ost-Berlin. Hans Jacobus arbeitete als Redakteur bei der "Jungen Welt", dann beim "Deutschen Sportecho". 1950 wurde der Sohn Ernst-Peter geboren. 1953 kam Hans Jacobus als "feindlicher zionistischer Westemigrant" für sieben Monate in Untersuchungshaft, er durfte in der Folge einige Jahre lang nicht als Journalist tätig sein. Auch Susanne wurde als seine mutmaßliche "Mitwisserin" vorübergehend inhaftiert, Mitte der 1950er-Jahre wurde die Ehe geschieden und Susanne zog mit ihrem Sohn nach Berlin-Pankow und begann ein Studium der Ethnologie an der Humboldt-Universität, ehe sie mit Ernst-Peter 1960 nach Wien zurückkehrte und dort im Folgejahr Stefan G. Harpner heiratete.
Susanne Harpner arbeitete in Wien ebenfalls für die UE, und zwar in dem 1959 von den Architekten der "arbeitsgruppe 4", das waren Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Johannes Spalt, gestalteten "Musikhaus ¾" in der Wiener Seilergasse. Auch sollte sie Jahrzehnte später für die UE Lotte Ingrischs "Prinz Chocolat", ein von Gottfried von Einem vertontes Musikmärchen in 5 Episoden, ins Englische übersetzen. Mit beiden wird sie eine lange Freundschaft verbinden. 1963 kam die Tochter Maria zur Welt.

1987 begann ihre Mitarbeit bei der Theodor Kramer Gesellschaft (TKG), ihre Tätigkeit als Exilforscherin. Sie machte Interviews mit "Shanghaiern", wollte Beiträge für "Erzählte Geschichte" und "Österreicher im Exil" schreiben, traf in New York für die TKG den Lyriker Frederick Brainin und nahm auch mit Herbert Berghof Kontakt auf. Sie veröffentlichte 1990 die Erzählungen "Ein dunkles Märchen" im ersten Zwischenwelt-Jahrbuch und 1995 "Ein Nachmittag des Mädchens Mona" in der ZW. Sie arbeitete über Jahre hinweg an ihrem Stück über Helene Kafka, schrieb Hörspiele und Gedichte.

DU

1.
Deine Hände
werden älter -
und das ist gut.
Nun bin ich nicht
mehr alleine -

2.
Ich trage sie
eingebunden
in meinen. Könnt'
blind sie finden
aus Hunderten -

3.
Deine Schultern
sind gebeugter.
Wie meine. Sind
deine, meine
Bürden - unsre?

4.
Schönes Gesicht -
ich streichle dich,
deine Falten -
und zeichne dich
für alle Zeit -

Ab 1989 pendelte sie einige Jahre lang zwischen Wien und München, wo Stefan G. Harpner den "Ricordi-Verlag" leitete, und machte in der Münchner "Schule für Personale Therapie" eine Ausbildung in "Atemtherapie", wobei sie sich, da sie selbst in der Vergangenheit immer wieder Augenprobleme hatte, auf das Thema "Auge und Atem" spezialisierte. Sie entwickelte auch ein Schulprojekt zum Aggressionsabbau durch Atemarbeit. Auch wurde sie immer wieder zu Konferenzen eingeladen, so 2003 nach Italien, wo sie einen Vortrag über "Breath and vision" hielt.
2002 war sie neben Siglinde Bolbecher, inzwischen eine enge Freundin, Mitbegründerin der FrauenAG der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung.

Am 10. Februar 2009 starb Susanne Harpner. Konstantin Kaiser sagte bei der Abschiedsfeier:
"Sie war diskret mit ihren Erinnerungen, ihrer Lebensgeschichte. Unter denen, die 1990 zum ersten Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft beitrugen, ist sie die einzige, die keine Kurzbiographie beisteuerte. Vielleicht, weil sie immer viel jünger aussah, als sie war, das ging so weit, dass wir bezweifelten, ob sie die Dinge, von denen sie erzählte, auch selber miterlebt hatte."