Theodor Kramer Gesellschaft

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Editorial

In den nun über 30 Jahren, in denen Zwischenwelt (bis 2000 Mit der Ziehharmonika) erscheint, begleiteten uns Jahr für Jahr die Beiträge Alfredo Bauers: Gedichte, Erzählungen, Briefe, Szenen, Essays. Öfters schickte er uns auch Stellungnahmen und Briefe, in denen er gegen Unsinniges und Verdrehtes protestierte. Auch seine Buchprojekte begleiteten uns über viele Jahre. In der Buchreihe „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte“ erschien 1996 „Hexenprozeß in Tucumán und andere Chroniken aus der Neuen Welt“. Herausgegeben und eingeleitet von Erich Hackl, ist das Buch schon geraume Zeit nur mehr antiquarisch erhältlich. Erhältlich sind hingegen seine zuletzt im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft erschienenen Bücher: 2012 der monumentale Romanzyklus „Die Vorgänger“, herausgegeben von Monika Tschuggnall, und 2014 die Bibelszenen „Der sanfte Rebell“. Viele weitere Bücher Alfredos, ob in deutscher oder spanischer Sprache, sind bei anderen Verlagen erschienen. Zu einer Präsentation seines „Sanften Rebellen“ konnte er nicht mehr nach Österreich kommen. Er sah nur mehr sehr schlecht. Heuer, am 21. Mai, ist er in Buenos Aires verstorben.
Alfredo Bauer kam oft nach Wien; meist waren diese Besuche mit Lesungen verbunden, oder mit Auszeichnungen wie dem Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil 2002. Wenn Alfredo mit kräftiger Stimme seine Texte vortrug, wurden seine Sätze zur fesselnd fortschreitenden Erzählung. Durch sein Leben in zwei Sprachen und die Gewohnheit, sich selber ins Deutsche zu übersetzen, neigte er dazu, alle die im Spanischen möglichen Gerundien und Infinitivkonstruktionen in ziemlich parataktisch anmutende Daß-Sätze zu transformieren. Das verlieh dem Vortrag etwas Zwingendes; in Alfredos Stimme schwang jedoch die leise Traurigkeit mit, im Fortgang der Geschichte nicht einhalten zu können, auch wenn er den Lauf des Schicksals seiner Protagonistin, seines Protagonisten gerne angehalten, ihr oder ihm eine kleine Insel der Geborgenheit zugestanden hätte.
Auch im Gespräch trug Alfredo Bauer seine Ansichten relativ apodiktisch vor. Skepsis war ihm fremd. Das hatte seine Vorteile: Nur wenn einer etwas behauptet, statt sich in bloßen Andeutungen oder Zweifeln zu ergehen, kann man ihm auch widersprechen.
Natürlich war es dann schwer, mit Alfredo im Gespräch eine gemeinsame, neue Ansicht der Sache zu entwickeln. Verzeihlich war diese Apodiktik deshalb, weil Bauer zum einen nie aus dem „hohlen Bauch“ redete – er hatte die Angelegenheit immer gründlich studiert und sich eben seine Meinung gebildet. Zum anderen verleitete ihn die eigene Überzeugtheit nie dazu, den Andersmeinenden gering zu schätzen. Und drittens war da noch die menschliche Seite, die Freundlichkeit und Herzlichkeit des Umgangs mit ihm.
Man stelle sich nicht vor, Alfredo habe in Buenos Aires in einer Art Abgeschiedenheit gelebt. Das Gegenteil ist der Fall; er war sowohl mit dem Leben und der Kultur Argentiniens als auch mit der Kolonie deutschsprachiger Antifaschisten in Argentinien eng verbunden, da sich ihm als Gynäkologen, Mitarbeiter des „Argentinischen Tageblatts“, Übersetzer und unverbesserlichem Kommunisten viele Zugänge eröffneten. Alfredo war neugierig und reiselustig, wovon seine Reisebücher zeugen. Er kapselte sich auch in seinem Schreiben nie ab; ihm war z.B. die österreichische Exil und Widerstandsliteratur durchaus geläufig, ob es sich nun um Jura Soyfer, Stefan Zweig oder Theodor Kramer handelte. Alfredo Bauer mit seiner universellen Interessiertheit und Vielseitigkeit erinnerte mich stets ein wenig an eine Renaissance-Persönlichkeit, ein freier Mensch, der in einer unfreien Welt nicht an sich verzagte.

Schon am 31. Jänner dieses Jahres ist Walter Wippersberg in Steyr verstorben. Vielen ist er bekannt als der Herr Fliederbusch in seinem dreibändigen Jugendbuch-Epos über den Kater Konstantin und dessen Aventüren. Oder aber durch seinen Film „Das Fest des Huhns“, in welchem afrikanische Ethnologen österreichische Gebräuche wie die ländlichen Feuerwehrfeste studieren und diese Rituale zu deuten versuchen. Oder aber durch die Zeitschrift „99“, die er zusammen mit Freunden viele Jahre in der „Edition Neues Forum Literatur“ herausgab. In dieser Zeitschrift, die man nicht abonnieren konnte, sondern zugeschickt erhielt, wenn die HerausgeberInnen dies für wünschenswert hielten, ist nun im Juni – als Nr. 108 und letztes Heft – eine Sammlung von Erinnerungen, Danksagungen, Nachrufen auf Walter Wippersberg erschienen.
Mit Erich Hackl konzipierte ich nach dem Tod des oberösterreichischen Schriftstellers Franz Kain 1999 ein Franz Kain-Kolloquium über „Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens gegen den Faschismus ‚einst‘ und ‚jetzt‘“. Wippersberg eröffnete seinen Redebeitrag sogleich mit gesunder Skepsis, so u.a. mit der Feststellung: „Mir ist auch vieles, was mit dem Kürzel Antifa beginnt, suspekt.“ Aber nachdem er sich das Aufdringliche der Fragestellung ein wenig vom Leibe gerückt hatte, begann er sehr instruktiv über seine eigenen Intentionen und seine Verantwortung als Schriftsteller zu sprechen. Er hatte damals, 1998, seine ersten im engeren Sinn politischen Romane geschrieben, aufgewühlt durch den spürbaren Rechtsruck in Österreich und durch die Serie der Briefbombenattentate, die der „Einzeltäter“ Franz Fuchs von 1993 bis 1996 im Namen einer frei erfundenen „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ verübt hatte. (Tragischer Höhepunkt war die Ermordung von vier jungen Roma im burgenländischen Oberwart mit einer Sprengfalle.) Ich glaube, Walter Wippersberg hatte gut verstanden, daß gerade ein „Einzeltäter“ kein Einzeltäter ist, sondern, anders vielleicht als ein Angehöriger einer sich in ihrer Radikalisierung verschließenden Gruppe, vielfache Anregung zu seinen Taten aus seiner weiteren und engeren Umgebung gesogen haben muß.
Der Skeptiker Walter Wippersberg verstand es gleich Alfredo Bauer, Zugang zu vielen Menschen zu finden, Enthusiast, der er war, sobald es galt, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Als Essayist war für ihn Ironie ein Mittel der Gestaltung, und nicht, wie Heinrich Heine meint, ein Berliner Trick, eine Dummheit ungeschehen zu machen. Gleich Alfredo Bauer war er äußerst vielseitig – und ein kluger Mann.

Konstantin Kaiser