Theodor Kramer Gesellschaft

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Editorial

Es ging nicht ohne Streit. Viele Jahre schrieben Siglinde Bolbecher und ich die Editorials dieser Zeitschrift gemeinsam. Nicht immer war das Resultat, das dann zum Druck gelangte, von beiden wirklich akzeptiert. Es gab radikale Formulierungen (oder waren es bloß Übertreibungen?), die entweder Siglinde oder ich gestrichen sehen wollten. Ich erinnere mich an ein Editorial, in dem wir vor nunmehr fast fünfzehn Jahren zu den Vorgängen bei der Zuerkennung eines Literaturpreises Stellung nahmen. Da wollte Siglinde meinen polemischen Schwung bremsen, während ich auf meiner „Erkenntnis“ beharrte – nämlich die Identität einer beteiligten Jurorin aus einer einzigen ihr zugeschriebenen Bemerkung erschlossen zu haben, einer Bemerkung, in der sie die Ansprüche der „ästhetischen Qualität“ gegen den politisch-moralischen Anspruch, das Werk eines einst vom Nationalsozialismus Verfolgten zu würdigen, ausspielte.
Die Folgen waren verheerend. Etliche Personen, die der Theodor Kramer Gesellschaft nie als Mitglieder angehört hatten, traten unter Protest aus ihr aus. Und eine Gesellschaft für Germanistik, deren Mitglied jene Jurorin gleich mir war, sprach ihr Anathema über mich aus, ohne erst auf eine Stellungnahme meinerseits zu warten. Ein Rechtsanwalt forderte auftrags seiner Mandantin Genugtuung. Letztlich sahen wir uns gezwungen richtigzustellen, uns sogar zu entschuldigen. Auch aus solchen Erfahrungen entsprang das Engagement, spät aber doch einen Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil zu etablieren.
Doch auch Siglinde konnte mitunter über die Stränge schlagen, hinter welchen sich ja nicht immer die Wahrheit, am Schopfe gepackt zu werden, duckt. An unseren österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Klestil ließ sie ungern ein gutes Haar. Zweiterer gelobte zwar die schwarz-blaue Schandregierung im Jahre 2000 nur widerstrebend mit demonstrativer Abscheu an, stellte aber leichtfertig die „immerwährende Neutralität“ Österreichs (Verfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955) zur Debatte. Wir sahen in den neutralen Staaten innerhalb der Europäischen Union ein Korrektiv gegen die allzu rasche Formierung eines europäischen Blocks, der als globaler Spieler den Weltmarkt der Macht betritt. Empfindlich blieben wir stets auch gegen die allzu glatte Einfügung österreichischer AutorInnen in den Kontext des deutschen Exils, selbst wenn es höflich ein deutschsprachiges genannt wurde.
Wir quälten unsere LeserInnen nicht allein mit den nun von mutigen Kohorten sprachlicher Ordnung angegriffenen Binnen-I, das wir als winzige Manifestation gegen die öde Selbstverständlichkeit patriarchaler Unterwerfung des Weiblichen behaupteten. Oft und allzu oft mußten wir mangelnde Förderung durch öffentliche Stellen, Mißverständliches und Irreführendes im offiziellen und nicht offiziellen Erinnerungsdiskurs beklagen. Wir vermieden Worte wie „Verhangenheitsbewältigung“, „Tätergeneration“, „Geopolitik“, „Herausforderung annehmen“, deren übler Leumund sich erst später herumgesprochen hat.
Manche Bitterkeit erklärt sich daraus, daß unsere Situation nicht einfach war: Wir werkten etliche Jahre auf Zimmer-Küche-Kabinett, alles, Bücher, Archivalien, Arbeitsgeräte auf engstem Raum, wie es Dissidenten gebührt, arbeiteten sehr viel und waren ganz einfach arm.
Doch erschöpften sich die Editorials, ob wir sie nun gemeinsam zeichneten oder nur miteinander diskutierten, nicht in ohnmächtigen Klagen über die Zeitläufte. Manch Feinsinniges und gedanklich Differenziertes ist in ihnen zu lesen – wovon sich überzeugen kann, wer die gesammelten Editorials von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser im Jahrbuch XIV der Theodor Kramer Gesellschaft zur Hand nimmt, wenn es Ende September endlich erschienen sein wird. Doch indem ich dies schreibe, packt mich der Schmerz um das Versäumte, das unter besseren Umständen möglich gewesen wäre, und um das Lächeln Siglindes, wenn wir uns über den Wortlaut eines Editorials versöhnt hatten.

Der aktuelle Schwerpunkt Streiflichter Tschechoslowakei erinnert – etwas verspätet – an den 25. Jahrestag der Besetzung der sogenannten Resttschechoslowakei im März 1939 durch die Truppen Hitlerdeutschlands und all die Verbrechen und das Elend, die dessen Folgen waren. Sehr viele Menschen in der Tschechoslowakei haben sich den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich seit 1933 bzw. 1934 und 1938 gegenüber als hilfsbereit, aufgeschlossen und solidarisch erwiesen. Bemerkenstwert ist auch die spätere Unterstützung dieser Exilierten durch die tschechoslowakische Exilregierung in Großbritannien.

Mit großer Freude weise ich darauf hin, daß Vladimir Vertlib von diesem Heft an Mitherausgeber der Zeitschrift „Zwischenwelt“ ist. Er hat einst in MdZ gewissermaßen debütiert, hat seitdem seinen Weg als vielfach ausgezeichneter Schriftsteller gemacht und ist uns dennoch immer verbunden geblieben. Auch Vladimir und ich sind bei aller Frendschaft oft unterschiedlicher oder entgegengesetzter Ansicht. Schaden wird das nicht.

Konstantin Kaiser