Theodor Kramer Gesellschaft

Menü

Alexander Emanuely

Der Fotograf Hans Oplatka und seine Familie

Eine tschechoslowakisch-österreichische Geschichte


Das vergessene Exil

Der Fotograf Hans Ernest Oplatka, über den Bil Spira vor 21 Jahren ein sehr persönliches und eindrucksvolles Porträt in der MdZ1 geschrieben hat, war seit April 1934 nicht nur Chefredakteur des Sonntag, der illustrierten Wochenendbeilage des Wiener Tags, sondern hatte wahrscheinlich auch dessen Konzept als Fotomagazin entwickelt. Für den Sonntag sollte bald neben dem Zeichner Bil Spira auch sein Freund Jura Soyfer regelmäßig arbeiten. Oft saßen die drei Freunde in einem Café in der Nähe der Redaktionsräume im 9. Bezirk, das letzte Mal am Tag der Flucht Jura Soyfers 1938, wie sich Hans Oplatka erinnert:
Am 12. März, dem Tag der Besetzung unserer Redaktion, die ich mir anschaute, sah ich Jura zum letzten Mal. Zu dritt saßen wir im Café Dankl am Gürtel unter dem Stadtbahnviadukt bei der Volksoper.2

Im März 1938 befand sich Jura Soyfer aber nicht zum ersten Mal in seinem Leben auf der Flucht. Schon als Kind hatte er im Jänner 1919 seine Geburtsstadt Charkow, wo sein Vater den Beton für den Bau des imposanten Hotel Astoria beschafft hatte3, und im Jänner 1921 Georgien fluchtartig verlassen müssen. Als die Soyfers Charkow verließen, flüchteten sie aus einem Land, welches seit der Oktoberrevolution unabhängig war und sich Volksrepublik Ukraine nannte. Vorsitzender des Direktoriums, also der Regierung, war ein gewisser Symon Petljura, ein ehemals sozialdemokratischer Journalist, der ab 1918 mit Unterstützung des Zentralrats, des von Menschewiki dominierten revolutionären Parlaments in Kiew, versuchte, das Land zu regieren. Die Besetzung des Landes durch die Mittelmächte und ein ständiger Bürgerkrieg prägten die kurze Zeit der Eigenstaatlichkeit. Diese Zeit wird jedoch vor allem wegen der unzähligen Pogrome gegen Juden und Jüdinnen in die Geschichte eingehen. Die Freie Tribüne, die österreichische Zeitung der Poale Zion, schrieb 1919 dazu:
Gestern noch als das ukrainische Direktorium den bewaffneten Aufstand gegen die deutschen Okkupanten geführt hat, waren die Juden hoch in Ehren. Heute da die Petljura-Regierung sich zu alleinigen Aufgabe die Bekämpfung des Bolschewismus gemacht hat, gehen sie daran vor allem Juden zu bekämpfen.4
50.000 bis 100.000 Menschen wurden bei den Pogromen ermordet, die von Einheiten der Armee der Volksrepublik und von ihrem Kriegsgegner, der Weißen Armee der Generäle Denikin und Wrangel begangen wurden.

Hans Oplatkas Vater Emil arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Kriegsberichterstatter in Galizien, u.a. für die Neue Freie Presse, das Welt-Blatt, das Deutsche Volksblatt, die Salzburger Chronik und den Pester Lloyd. Gegen Ende des Krieges wurde er Mitherausgeber der Neue Lemberger Zeitung, welche gleichzeitig die Feldzeitung für die 2. k.u.k. Armee war. Nachdem es keine k.u.k. Armee mehr gab, unterstützte die Zeitung die Unabhängigkeit der Ukraine, und als es diese nicht mehr gab, jene der Westukraine. Nachdem Lemberg von der polnischen Armee erobert worden war, gab es dann auch keine Westukraine mehr, und Emil Oplatka wurde Redakteur des Ukrainischen "Preßbüro" in Wien. Dieses gehörte zu einem dichten Netz ukrainischer Exilorganisationen und Reststaatlichkeit, das sich um 1920 zwischen Wien und Prag etablierte und über dessen Existenz heute kaum noch gesprochen wird.
In Wien versammelten sich die Abgeordneten des Zentralrats, konstituierte sich also ein Schrumpfparlament im Exil. Die ExilpolitikerInnen waren alle in diversen Wiener Hotels und Pensionen untergebracht, so im Hotel Meisl und Schaden, im Hotel Residenz, Bristol und im Imperial. Die VertreterInnen der Hotel-Republik standen alle unter Beobachtung der Polizei, so auch die Mitarbeiter des "Preßbüros". Die ebenfalls vorhandene Botschaft der Ukraine genoss seitens der österreichischen Behörden bis 1921 diplomatischen Status. In Prag wiederum warteten die letzten Einheiten der ukrainischen Volksarmee auf ihren Einsatz im Kampf gegen den Bolschewismus.5

1921, in dem Jahr, da die Soyfers nach einer ewigen Odyssee in Österreich ankamen, hörte das ukrainische Exilwesen in Wien und Prag auf zu existieren und Emil Oplatka kehrte in seine Geburtsstadt Prag zurück, wo er für die eben gegründete größte deutschsprachige Zeitung des Landes, die Prager Presse arbeiten sollte. Diese war im direkten Auftrag von Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk ins Leben gerufen worden und sollte das liberale, halboffizielle Organ der Regierung für die deutschsprachige Bevölkerung werden. Federführend bei der Gründung war Emil Oplatkas Schwager, der Journalist, Dichter und Übersetzer Camill Hoffmann.


Eine komplizierte Geschichte

Die familiäre Bindung zwischen Emil Oplatka und Camill Hoffmann war jedoch etwas komplizierter und gleichzeitig auch skandalöser, denn Emils Mutter Johanna, auch Jenny genannt, war zugleich die Schwester von Camill Hoffmann. Zum familiären Skandal war es 1904 in Wien gekommen, als Camill Hoffmann seine Nichte Irma, Emils Schwester, die Bibliothekarin war, heiratete. Die Familie war natürlich gegen diese Verbindung, auch enge Freunde von Camill Hoffmann, wie Stefan Zweig, rieten ihm dringendst davon ab, die um fünf Jahre jüngere Nichte zu heiraten. Die Tochter von Irma und Camill Hoffmann, die bekannte englische Kunsthistorikerin Edith Yapou-Hoffmann hat sich die Liaison ihrer Eltern folgendermaßen erklärt:
Später habe ich mir zurechtgelegt, warum er [der Vater] viel bei der ältesten Schwester [Tante Jenny] lebte. Ich glaube, die alte Frau [die Großmutter] war schon erschöpft von den vielen Kindern [es waren 11] und da hat sie irgendwie nicht mehr gekonnt. Sie hat es ihrer Tochter überlassen. Die älteste Tochter hat dann irgendwann in Böhmen geheiratet und gelebt. Aber sie sind dann bald nach Wien übersiedelt. Und mein Vater hat dort ein Zimmer gehabt. Dadurch ist es dann gekommen, dass er die Tochter von seiner Schwester geheiratet hat. Das ist eine Sache, die bei den Juden nicht erlaubt ist. Und wie das möglich war, weiß ich nicht. Das konnte kein Rabbiner machen, er ist aber bei einem Rabbiner getraut worden.6
Edith Hoffmann war somit nicht nur Hans Oplatkas Cousine, sondern auch seine Tante. Sie hatte 1934 mit 27 in München dissertiert und war im gleichen Jahr nach England emigriert, wo sie in London lebte und einige Jahre im British Museum arbeitete. 1939 wechselte sie zur renommierten Kunstzeitschrift Burlington Magazine, wo sie 1944 für ein Jahr zur ersten weiblichen Chefredakteurin avancierte. Bis 1995 wird sie, vor allem als Spezialistin für den Expressionismus, an die 150 Artikel, darunter über Lyonel Feininger, Marc Chagall, Käthe Kollwitz, Max Beckmann, für die Zeitschrift schreiben und 1947 nebenbei die erste englischsprachige Monographie über Oskar Kokoschka verfassen.7 Ab 1951 wird sie mit ihrem Mann, einem israelischen Diplomaten, zumeist in Israel leben, aber auch in New York, Südafrika und Brüssel.8


Kein Traum zieht seinen Zauberkreis...

Camill Hoffmann kam 1900 im Alter von 22 Jahren nach Wien und schrieb für das Feuilleton der Tageszeitung Die Zeit. 1902 erschien sein erster Gedichtband Adagio stiller Abende, 1910 die Gedichtsammlung Die Vase. Weiters übersetzte er Baudelaire und Balzac und tschechische Lyriker ins Deutsche. 1911 brachte er die Anthologie Deutsche Lyrik aus Österreich seit Grillparzer mit Gedichten von Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund, Betty Paoli, Marie von Ebner-Eschenbach, Ludwig Anzengruber, Peter Rosegger, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal heraus. Im selben Jahr zog er nach Dresden, wo er als Redakteur im Feuilleton der Dresdner Neuen Nachrichten wirkte. Als er ab 1919 die Wahl hatte, für die deutsche oder die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zu optieren, kehrte er nach Prag zurück, wo er die Prager Presse aufbaute, für deren Feuilleton dann Otto Pick, Franz Blei, Max Brod und Franz Kafka schrieben. Verlegt wurde die Zeitung vom tschechoslowakischen Regierungsverlag Orbis.
Bevor die Prager Presse jedoch erschien, erhielt Camill Hoffmann einen weiteren Auftrag, er wurde zum Presse- und Kulturattaché an der tschechoslowakischen Botschaft in Berlin ernannt. Diese Funktion sollte er bis 1938 innehaben, sie somit 18 Jahre lang ausüben, was für einen Posten im diplomatischen Dienst äußerst ungewöhnlich ist. Um ihn bildete sich in Berlin so etwas wie ein künstlerisch-literarischer Kreis mit George Grosz, Berthold Viertel, Ernst Toller, Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Oskar Kokoschka, Karel Čapek. In diesen Jahren übersetzte er Tomáš Garrigue Masaryks Weltrevolution, Edvard Beneš' Aufstand der Nationen und Karel Čapeks Gespräche mit Masaryk ins Deutsche.9
Eine Verständigung zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei war das Hauptanliegen des Kulturattachés, ein Unterfangen, das ab 1933 zum Scheitern verurteilt war. In den Jahren zwischen 1932 und 1939 schrieb er ein politisches Tagebuch, welches dank der Hilfe seiner Tochter in London aus der Tschechoslowakei geschmuggelt werden konnte und eines der wichtigsten Zeugnisse über das Berlin der Nazis ist.10 In dieser Zeit half er dank seiner Funktion auch vielen, wie z.B. Arnold Schönberg, aus Deutschland zu flüchten. 1938 wurde Camill Hoffmann pensioniert und kehrte nach Prag zurück, wo er begann an einer Geschichte der Tschechoslowakei, eines Landes, das es bald nicht mehr geben sollte, zu schreiben. Während der Nazi-Zeit wurde er immer wieder von der Gestapo verhört, schließlich 1942 mit seiner Frau ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er Vorträge über Literatur hielt und ein Tagebuch, welches verschollen ist, sowie Gedichte schrieb.

Schlaflos

Die Nacht ist einsam. Das Grab
Wird nicht mehr einsamer sein.
Ich taste mich schlaflos ab,
Der Stein da ist mein Herz.

Ich weiß, auch du, ich weiß,
Auch du liegst nun allein.
Kein Traum zieht seinen Zauberkreis
Um Deine Stirn von Erz.

Und morgen oder nächstes Jahr,
Wie kann es anders sein?
Die Nacht währt immerdar
Und dieser Stein ist nichts als Schmerz.
11

Am 28.10.1944, am tschechoslowakischen Nationalfeiertag, stand Irma Hoffmanns Name auf der Liste für den nächsten Transport nach Auschwitz. Da Camill Hoffmann zu alt für den Transport war, befand sich sein Name nicht auf der Liste. Er wollte jedoch seine Frau nicht alleine in den Tod gehen lassen und bestand darauf, sie zu begleiten. Es war der letzte Transport aus Theresienstadt nach Auschwitz. Beide wurden sofort nach ihrer Ankunft ermordet. Neben dem Schwager Camill und der Schwester Irma verlor Emil Oplatka auch all seine anderen Geschwister: Hugo wird mit seiner Frau Malvine, Adolf mit seiner Frau Gertrude ermordet. Ich konnte nicht herausfinden, wann und wo sie umkamen, Adolf und Gertruds 1931 geborener Sohn František wurde 1942 nach Lublin deportiert und ermordet.


Das Verlagshaus

Hans Oplatka hatte 1938 seinen beiden Freunden Bil Spira und Jura Soyfer einen Rat gegeben, nämlich den, als Österreicher nicht über die Tschechoslowakei oder die Schweiz zu flüchten, sondern über Jugoslawien, Italien oder gar Deutschland.12 Doch bevor die drei Freunde über Fluchtpläne sprachen und Emil Oplatka, seine Frau Antonie und Sohn Hans von Prag aus, wohin sie 1938 zurückgekehrt waren, ihre Flucht über Jugoslawien und Italien nach Paris antraten, hatten Vater und Sohn noch österreichische Mediengeschichte geschrieben. Konkret ging es um die Druckerei Vernay AG, mit ihrem Sitz in der Canisiusgasse 8-10 im 9. Wiener Gemeindebezirk. Das Haus ist heute ein einfaches Wohnhaus, doch befanden sich darin in den 1920er- und 1930er-Jahren die Redaktionen von: Der Wiener Tag (Auflage 50.000 im Jahre 1937), Der Sonntag, Rätselzeitung, Die Sphinx, Mein Film und Illustrierte Film- und Kinorundschau, Österreichische Abendzeitung, Die Bühne, Die Stunde. Auch waren der Morgen Verlag, der Kronos Verlag und der Compass-Verlag in der Canisiusgasse untergebracht. In den Untergeschossen befand sich, mit alleine 600 MitarbeiterInnen, eine der größten Druckereien der Stadt.
Seit 1925 hatte sich der schon erwähnte tschechoslowakische Regierungsverlag Orbis um eine Mehrheit der Aktien der Vernay AG bemüht und deren Hauptaktionär Sigmund Bosel langsam verdrängt. Direktor des Orbis war seit 1925 Emil Oplatka, der eben noch den Prager Sender Radio Central geleitet hatte. Emil Oplatka wird 1927 in den Verwaltungsrat der Vernay AG kooptiert werden, dem er bald vorsitzen wird, und das bis 1938. Damit die Übernahme eines österreichischen Verlagshauses durch den tschechoslowakischen Staat nicht zu offenkundig wurde, gründete der Orbis-Verlag 1930 in Genf die Holdinggesellschaft Particité. Repräsentant der Particité SA in Wien war Emil Oplatka. Sukzessive übernahm die Particité die Vernay AG, bis sie 1936 schließlich mit 91,7% an ihr beteiligt war.13 Die Publikationen der Vernay AG standen somit unter direktem Einfluss der Tschechoslowakei, die seit 1934 die letzte demokratische Republik Mitteleuropas war, und wurden dadurch während der Diktatur des Ständestaates zur vielleicht letzten Insel der Pressefreiheit in Österreich.
Dass die österreichischen Zensurbehörden die Publikationen der Vernay AG mehr oder minder nicht behelligten, ist erstaunlich und führt zur Frage: Wieso war dem so? Ich habe zumindest zwei Erklärungen dafür:
Erstens konnten linksliberale ausländische Zeitschriften in Wien durchaus legal bezogen werden, und wahrscheinlich setzten die Behörden die Publikationen aus der Canisiusgasse diesen gleich. Der Unterschied war, dass ein ausländisches Unternehmen, gar eine Regierung, hunderten ÖsterreicherInnen einen sicheren Arbeitsplatz bot, was in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sicherlich von Bedeutung war. Man muss hier hinzufügen, dass die Particité SA zu einem Zeitpunkt die Mehrheit der Vernay AG übernahm, als jene fast in den Konkurs geschlittert war.
Zweitens wurde in den Zeitschriften die österreichische Regierung nur sehr vorsichtig kritisiert, dafür umso heftiger jene Nazi-Deutschlands, man hatte somit auch einen gemeinsamen politischen Feind. Die Insel der Pressefreiheit wurde somit aus ökonomischem und politischem Kalkül belassen.


Sonntag

Die Sonntagsbeilage des Wiener Tag, im Kupfertiefdruckverfahren hergestellt, bestand zum größten Teil aus Photos mit dazugehörigem Text, und einigen Zeichnungen. Sie war, im Gegensatz zu den meisten anderen journalistischen Erzeugnissen fortschrittlich [...]14
Der Chefredakteur des Sonntag Hans Oplatka, der sich später Jan nennen wird, wurde 1911 in Wien geboren, gehörte also der gleichen Generation wie Bill Spira oder Jura Soyfer an. Er hatte an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt bei Rudolf Koppitz Fotografie studiert und von 1930 bis 1931 in Frankreich gelebt; als Fotograf gestaltete er mit dem jungen Reporter George Simenon für das 1928 gegründete illustrierte Magazin VU eine Fotoreportage über die Kanäle Frankreichs, auf denen sie gemeinsam wochenlang herumgefahren waren.15 Das Konzept von VU hat die Medienlandschaft revolutioniert, das Magazin gilt z.B. als Vorbild für die US-amerikanische Zeitschrift LIFE. Der Sonntag sollte etwas Ähnliches werden, wobei erwähnt werden muss, dass es bis 1934 eine andere Illustrierte in Wien gegeben hatte, die ähnlich konzipiert war, nämlich den sozialdemokratischen Kuckuck, zu dessen MitarbeiterInnen ebenfalls Bil Spira und Jura Soyfer gezählt hatten.
"Der Sonntag" war mehr als eine Illustrierte. Er war, mitten in der Diktatur, auch ein kultureller Treffpunkt für liberale und linke Intellektuelle, für Andersdenkende und Oppositionelle, die in anderen Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr veröffentlichen konnten bzw. wollten. Autoren und Schriftsteller, die um Abstand zum Regime bemüht waren, etwa Jura Soyfer oder Theodor Kramer, fanden im "Sonntag" eine, wenn auch prekäre, öffentliche Existenz. Zahlreiche weitere bekannte Journalisten und Autoren veröffentlichten im "Sonntag", etwa Arnold Höllriegel, Eugenie Schwarzwald, Veza Canetti, Vicki Baum, Johannes Urzidil, Franz Werfel oder Hilde Spiel.16
Dass Hans Oplatka Sohn des Direktors war, war sicher hilfreich für den Job, dass er bei VU gearbeitet hatte, sicher noch hilfreicher.


... machen S' keine Umständ

1939 haben es die Oplatkas nach Paris geschafft und auch Bil Spira sollte die Flucht dorthin gelingen. Jura Soyfer sollte es nicht schaffen. Für den mittellosen Bil Spira gestaltet sich anfangs das Leben im Exil schwer. Überleben konnte man oft nur dank der Solidarität. Von solch einem solidarischen Akt seitens der Oplatkas berichtet Bil Spira in seinen Erinnerungen:
Einmal war er [Hans] mit seinem Vater zum Rendez-vous gekommen, der über mich bestens informiert war.
"Ich habe Ihnen Ihren letzten Monatsgehalt mitgebracht", sagte er und reichte mir einen Briefumschlag.
"Das muß ein Irrtum sein!" erwiderte ich errötend, "ich bin in Wien ausbezahlt worden."
"Davon weiß ich nichts", sagte er, "und will auch nichts davon wissen. Nehmen S' das Couvert und machen S' keine Umständ!"
Es gibt Umstände, unter denen man dem Willen eines Direktors nicht widersprechen kann.17
Als der Krieg ausbricht, meldet sich Hans Oplatka bei der Tschechoslowakischen Exilarmee, und Bil Spira, nachdem er aus der Internierung als potentiell feindlicher Ausländer entlassen worden war, wird prestataire, also Hilfssoldat, bei der 307e Compagnie des travailleurs étrangers.18 Nach der Niederlage Frankreichs schafften es die Oplatkas, nach London zu flüchten, wo schon Edith Hoffmann seit ein paar Jahren lebte. Bil Spira hatte weniger Glück, es ereilte ihn das Schicksal vieler Flüchtlinge, denn nachdem er für Varian Fry als Passfälscher gearbeitet hatte, wurde er 1942 wieder interniert, kam nach Drancy und wurde deportiert. Er überlebte mehrere KZ, so Laurahütte, Blechhammer, Groß-Rosen, Buchenwald, Theresienstadt, wo er von der Roten Armee befreit wurde. Nach der Befreiung sollte er nach Paris zurückkehren und sich als Zeichner niederlassen.
In London hatte Hans Oplatka inzwischen Margery Angus, die Lehrerin in Liverpool war, geheiratet. Als Mitglied der Exilarmee kam er 1943 zur eben gegründeten Tschechoslowakischen selbständigen gepanzerten Brigade, in der 6.000 Tschechoslowaken und auch einige Österreicher in englischen Uniformen kämpften. Die Brigade beteiligte sich an der Invasion in der Normandie und belagerte anschließend vom 5. Oktober 1944 bis zum 9. Mai 1945 die "Festung" Dünkirchen. Mitte Mai zog die Einheit nach Prag, wo sie im Spätsommer 1945 aufgelöst wurde. Hans Oplatka wird 1946 für seinen Einsatz von Präsident Edvard Beneš mit einer Tapferkeitsmedaille geehrt. Was Emil Oplatka im Exil gemacht hat, ist mir nicht bekannt, wahrscheinlich hat er als enger Vertrauter und Freund des Präsidenten für die Exilregierung und -presse gearbeitet. Er kehrte jedenfalls bald in sein befreites Land zurück, wo er 1946 Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung wurde. Er sollte 1955 in Prag sterben.
Hans Oplatka, der schon seit Mai 1945 in Prag war, zog jedoch nach einem Jahr wieder nach Liverpool. Er versuchte in Großbritannien als Fotoreporter zu arbeiten, gründete dafür auch eine eigene Agentur. Nachdem er viele Jahre für namhafte britische Zeitschriften wie Picture Post, Lilliput und The Strand Magazine gearbeitet hatte, betätigte er sich vorwiegend als Reiseführer und Reisejournalist. Er lebte in Liverpool, wo ihn 1978 Horst Jarka im Zuge seiner Recherchen für die Jura Soyfer-Biografie kontaktiert. In der Tschechischen Republik zählt inzwischen der 199219 verstorbene Hans Ernest Oplatka neben František Drtikol, Jaromír Funke, Josef Sudek, Jaroslav Rössler, Drahomír Josef Růžička, Marie Stachová zu den bedeutenden PionierInnen der heimischen Fotografie. Hans Oplatka hat mit dem Sonntag jedoch auch eines der innovativsten österreichischen Magazine der 1930er-Jahre herausgebracht, und sein Vater, bzw. tschechoslowakische Steuergelder haben vielen österreichischen AutorInnen, in einer Zeit, da es sonst keine linke und kritische Presse mehr im Lande gab, das Arbeiten und oft auch das Überleben ermöglicht.


Anmerkungen


1 Willy [Bil] Spira: Hans Oplatka. In MdZ. 10. Jg. Nr.1, Mai 1993,  31.
2 Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit. Wien 1987, 463.
3 Vgl. Alexander Emanuely: Ausnahmezustand. Jura Soyfers Transit. Weitra 2013.
4 Freie Tribüne, Nr. 21 vom 7. Juni 1919, 1.
5 Caroline Milow: Die ukrainische Frage 1917 – 1923 im Spannungsfeld der europäischen Diplomatie. Dissertation. Wiesbaden 2002, 182f.
6 Pavel Polák: Camill Hoffmann. Eine Biographie. Diplomová práce. Prag 2006, 79. https://is.cuni.cz/webapps/zzp/download/120090114 [5.7.2014]
7 Edith Hoffmann: Oskar Kokoschka: Life and Work, London 1947.
8 Lucy Watling: Émigré to Editor: Edith Hoffmann and the Burlington Magazine 1938–1951 http://www.tate.org.uk/about/projects/art-writers-britain/hodin-hoffman/emigre-editor [5.7.2014] und Barbara Pezzini: Edith Hoffmann, the first unofficial woman Editor of The Burlington Magazine? Posted on January 8, 2014 http://burlingtonindex.wordpress.com/2014/01/08/edith-hoffmann-the-first-unofficial-woman-editor-of-the-burlington-magazine/ [5.7.2014]
9 Tomáš Garrigue Masaryk: Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen. 1914-1918. Berlin 1925; Edvard Beneš: Aufstand der Nationen. Berlin 1928. Karel Capek: Gespräche mit Masaryk. Berlin 1935.
10 Camill Hoffmann: Politisches Tagebuch 1932-1939. http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1988_1_5_bruegel.pdf [5.7.2014]
11 Dieter Sudhoff: Einleitende Bemerkungen zu Camill Hoffmann: Die tschechische Dichtung. Ein Vortrag in Theresienstadt. MNEMOSYNE 30/2005. 273. http://www.wallas-mnemosyne.at/Mnemo%2030.pdf [5.7.2014]
12 Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit. Wien 1987. 463
13 Ulrike Felber et al: Ökonomie der Arisierung, Teil 2. Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. Wien 2004. 574 und Susanne Falk: Die “Arisierung” Wiener Zeitungsverlage. Das Verlagshaus Canisiusgasse 8-10. Berlin 2011. 183
14 Bil Spira: Die Legende vom Zeichner. Wien – Vernet – Groß-Rosen – Paris. Wien 1997. 30f
15 Georges Simenon und Hans Oplatka: Une France inconnue ou l'aventure entre deux berges, erschienen in: VU, 1. Juli 1931.
16 Anton Holzer: Zeitkritik mit der Kamera. In Wiener Zeitung vom 16.8.2013. http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/vermessun
gen/568550_Zeitkritik-mit-der-Kamera.html [5.7.2014]
17 Bil Spira: Die Legende vom Zeichner. Wien – Vernet – Groß-Rosen – Paris. Wien 1997, 73.
18 Ebda. 95.
19 Hans Ernest OPLATKA. FOTOGRAFIE. http://www.oplatka.com/ (die Seite existiert leider nicht mehr)