Theodor Kramer Gesellschaft

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Konstantin Kaiser

Editorial

Von Panzern in Schrebergärten

 

Gar mancher informelle Wehrsportverein hortet ein Waffenlager im Bastel- oder Partykeller, von dem die Waffenbesitzkarte sich nichts träumen läßt. Brauchbar sind diese, die besiegte Wehrmacht in Rost und Fahrradöl beweinenden Reliquien mangels passender Munition im ‚Ernstfall‘ möglicherweise nicht. Wenn aber, Gott behüte, der ‚Ernstfall‘ eintritt, könnte sich doch die eine oder andere „Reliquie“, deren Funktionsuntüchtigkeit jetzt als strafmildernd angesehen wird, wieder als brauchbar erweisen. Den Sammlern soll man die Freude nicht nehmen, und nicht jeder hat in seinem Kleingarten in einer Versenkung gleich einen Panzer stehen. Keinen sowjetischen natürlich. Und vielleicht ist die mit jedem neuen Swimmingpool einhergehende zusätzliche ökologische Belastung auch etwas Bedrohliches in Konjunktion mit dem Siedlerhaus. Es beunruhigt aber doch, daß Neofaschisten Waffen horten. Wird so ein Waffenlager einmal von Polizei und Verfassungsschutz ausgehoben, folgt unweigerlich die Meldung, der Waffennarr sei in der Nachbarschaft immer unauffällig und wohlgelitten gewesen.

 

Über den später als mehrfachen Mörder verurteilten Udo Proksch kam mir das Gerücht von dem Panzer im Schrebergarten zu Ohren. Der Panzer im Schrebergarten ist für mein Empfinden eine brauchbare Metapher für den geistigen Zustand einer Zeitgenossenschaft, die sich im Überdruß des Normalen vom Bösen fasziniert zeigt, sei es in Gestalt von verbrecherischen Persönlichkeiten wie Jack Unterweger oder Udo Proksch, sei es von Denkern, die durch ihr Eintreten für die Ziele des Nationalsozialismus kompromittiert sind. Ob der Einfluß dieser Oswald Spengler, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Ernst Jünger für ihre heutigen Adepten und Leserinnen noch eine wirkliche Gefahr geistiger Desorientierung ist, bleibe dahingestellt. Der stramme Antihumanismus, der ihnen gemein ist, kann aber sehr wohl in einer Situation sich ausbreitender intellektueller Verstörung zu einer Gefahr werden. Wenn da einer z.B. andächtig Carl Schmitts „Begriff des Politischen“ zitiert und die Unterscheidung von Freund und Feind als Grundlage der Staatlichkeit postuliert, ist mir nicht wohl bei dem Gedanken, daß solche Lehren kritiklos angenommen und zum schlimmen Ende auch praktiziert werden.

 

Verstörung attestierte vor beinahe schon hundert Jahren der 1901 geborene Dramatiker Ödön von Horváth 1926 seiner eigenen Generation, zu der auch der 1897 geborene Theodor Kramer zu zählen ist. Dieser Generation widerfuhr im Pubertätsalter mit dem Ersten Weltkrieg und den verheerenden Folgejahren samt Spanischer Grippe eine tiefe Erschütterung ihres Weltbildes. Zuflucht suchte sie in einem forcierten Jugendkult und einer Verweigerung der glanzlosen Vernünftigkeit der Republik, in einem Selbst- und Querdenken, das Horváth in dem Schauspiel „Sladek, der schwarze Reichswehrmann“ in seinen drastischen Folgen seziert. Wenzel Sladek bekennt von sich:

 

Man muß nur selbständig denken. Ich denk viel. Ich denk den ganzen Tag. [...] Ich red nur mit Leuten, die selbständig denken können. [...] Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede, diese ganze Ungerechtigkeit. Man muß dahinter kommen, es ist da ein ganz bestimmtes Gesetz. Ein ganz bestimmter Plan, das ist klar, sonst wär ja alles sinnlos.

 

Man muß nur selbständig denken. Ich denk viel. Ich denk den ganzen Tag. [...] Ich red nur mit Leuten, die selbständig denken können. [...]  Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede,  diese ganze Ungerechtigkeit. Man muß dahinter kommen, es ist da ein  ganz bestimmtes Gesetz. Ein ganz bestimmter Plan, das ist klar, sonst  wär ja alles sinnlos.

 

Die in solcher Selbstdenkerei durch Realitätsverweigerung errungene trügerische Selbstbestimmung schlägt jäh um in unkontrollierte Fremdbestimmung, die Sladek sogar zum Komplizen eines Fememordes an seiner eigenen früheren Geliebten werden läßt. Zieht man die Linien weiter, glaubt man in Sladek ein erstes Porträt eines damals noch zukünftigen SA- und SS-Mannes zu erkennen. Sein Gegenspieler, der Publizist Schminke, ist Carl von Ossietzky, dem Herausgeber der „Weltbühne“, nachgebildet. Die Streitgespräche des zynischen Pessimisten Sladek mit dem zum Frieden mahnenden Schminke lesen sich als ein makabres Ballett von Niedertracht und Tugend.
In mancher Hinsicht scheint gegenwärtig eine Neuinszenierung des Stückes aus dem Jahre 1926 in aller Öffentlichkeit auf den Straßen in Arbeit. Der Protest gegen notwendige Freiheitsbeschränkungen aufgrund der „Corona“-Pandemie trägt den Keim der Unfreiheit ebenso in sich wie die Selbstdenkerei des Sladek. Und auch die Protestierenden rekrutieren sich zu einem guten Teil aus einer Generation, die in ihrer Adoleszenz die Erfahrung einer großen Verunsicherung durch die Finanzkrise 2008-2011 gemacht hat, eine Krise, deren Bewältigung seinerzeit keineswegs so sicher schien, wie es heute im nachhinein oft dargestellt wird. Erlebt wurde ein Verlust von Gegenwart. Und auch die Covid19-Krise verursacht einen schmerzhaften Verlust von Gegenwart. Ich  erinnere an meinen Aufsatz über die „Raserei der Sorge“ in ZW Nr. 3-4/2009. – Ohne Diagnose wird es keine Therapie geben.

Ein kaum zu übersehender Schwerpunkt in vorliegendem ZW-Heft sind die Beiträge zum Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil 2021. Die Preisträgerin und der Preisträger haben selbst fleißig dazu beigetragen. Richard Schuberth setzt sich mit dem Begriff der Widerständigkeit auseinander, und ich nehme an, es wird dies auch weiterhin ein Thema für uns bleiben, nicht nur im Zusammenhang mit den Kriterien für den Kramer-Preis. Eva Geber hat an ihre Freundschaft mit der vor über einem Jahr verstorbenen Ruth Klüger erinnert. Auch daran hoffen wir anknüpfen zu können. Einer Anregung Mark Gelbers folgend wollen wir für den Mai 2022 ein Kolloquium zum Thema Feminismus und Judentum bei Ruth Klüger initiieren.
Es gibt zwar einige Preise und Stipendien in Österreich, die nach AutorInnen des Exils benannt sind, doch ein Preis, der vorzüglich für Schreiben im Widerstand und im Exil vergeben wird, wurde erst 2001 mit dem Kramer-Preis geschaffen. Anläßlich des 20jährigen Bestehens des Preises nahmen wir uns vor, einmal jener zu gedenken, die des Preises unbedingt würdig gewesen wären, aber verstorben sind, ehe der Preis erstmals vergeben werden konnte. Wir dachten dabei an Erich Fried, Hilde Spiel, Fritz Brainin und Franz Kain. Über Fritz Brainin berichtet Andrea Capovilla auf der Grundlage von bisher unbeachtet gebliebenem Quellmaterial. Franz Kain wird von Richard Wall und Peter Hodina vorgestellt. Ihre Beiträge zeigen, wie einzigartig dieser Holzfäller und Schriftsteller in der österreichischen Nachkriegsliteratur ist. Leider sind die Beiträge über Erich Fried und Hilde Spiel nicht zustande gekommen. Bei Fried haben wir zu spät den spezifischen Zugang gefunden, den wir in einem der nächsten Hefte ausarbeiten wollen. Die Würdigung Hilde Spiels bleibt ein Desiderat. Wir kümmern uns darum.