Vorbemerkungen zum Inhalt
Ausgaben der Zwischenwelt beinhalten immer wieder Schwerpunkte zur Literatur und Verfolgung von Minderheiten. Minderheiten – nationale, religiöse u. a. – erlebten in der Vergangenheit und leider auch in der Gegenwart oft Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung bis hin zur Ermordung. Dies erlitt auch die armenische Bevölkerung des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg. Und so gibt es in dieser Ausgabe einen Schwerpunkt zu Armenien. Der dortige Ort des Erinnerns an die Massaker, die von den Jungtürken organisiert wurden, ist der Berg Musa Dagh, ein Ort des militärischen Widerstandes. (Heute befindet er sich auf türkischem Staatsgebiet.) Er erhielt durch Franz Werfels Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh ein literarisches Denkmal. Doch die bei diesem Genozid am Beginn des 20. Jahrhunderts verübten Verbrechen wurden nie geahndet, geschweige denn hat die Türkei jemals diesen Völkermord eingestanden. (Das österreichische Parlament hat die Gewalt und den Mord an den Armenier:innen und deren Vertreibung durch das Osmanische Reich als Genozid auch erst 2015 anerkannt und verurteilt.)
Doch wie sieht es mit Österreichs Minderheiten aus? So ist zum Beispiel heute nur wenigen – in Deutschland sowie in Österreich – bewusst, dass es den einzigen organisierten militärischen Widerstand gegen das NS-Terrorregime auf deutschem Reichsgebiet – getragen von slowenischen Partisan:innen – im Süden Kärntens/Koroška gab. Der zentrale Gedenk- und Erinnerungsort der slowenischen Volksgruppe dafür ist der Peršmanhof in der Nähe von Bad Eisenkappel/Železna Kapla. Dort durchsuchten auf der Jagd nach Partisan:innen und deren Unterstützer:innen am 25. April 1945 Männer des SS- und Polizeiregiments 13 den Hof und ermordeten seine elf wehrlosen Bewohner:innen. Darunter waren sieben Kinder, das jüngste – Gottfried – gerade einmal acht Monate alt. Diese Morde wurden im Nachkriegsösterreich gerichtlich nie aufgearbeitet.
Sollten diesen Ermordungen sowie auch dem militärischen Widerstand der Kärntner slowenischen Partisan:innen nicht größte Beachtung geschenkt werden? Welche Verantwortung übernimmt Österreich überhaupt gegenüber seinen Minderheiten?
Im Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages werden die Rechte der slowenischen Minderheit in Kärnten und der Steiermark sowie jene der kroatischen Minderheit im Burgenland genau festgeschrieben. Slowenisch und Kroatisch als Amtssprachen sind Kern dieses Artikels.
Doch was geschah am 27. Juli 2025?
An diesem Tag stürmten österreichische Polizeibeamte das Gelände der Gedenkstätte am Peršmanhof, um anonymen Anzeigen (wegen angeblichem Wildcampens und Verstößen gegen das Kärntner Naturschutzgesetz) nachzugehen. Am Gelände der Gedenkstätte befand sich zu dem Zeitpunkt das alljährlich stattfindende antifaschistische Bildungscamp, organisiert vom Klub Slowenischer Student:innen in Wien (KSŠŠD). Wie die österreichischen Medien berichteten, verlief dieser ungefähr vier Stunden (!) dauernde Einsatz der Polizei außergewöhnlich und überbordend. Sogar ein Polizeihubschrauber wurde dabei eingesetzt. Die Polizist:innen empfanden es scheinbar als Provokation, dass von den Teilnehmer:innen des Camps auf Slowenisch als Amtshandlungssprache bestanden wurde. Folglich kam es zu zwei Widerständen gegen die Staatsgewalt, 32 Identitätsfeststellungen und zwei Personendurchsuchungen. Doch wie rechtfertigt nun die Polizei diesen irritierenden Großeinsatz gegen die friedlichen Teilnehmer:innen des Camps (Waffen wurden wohl zur Enttäuschung der Polizist:innen keine gefunden)? Der stellvertretende Kärntner Polizeidirektor Plazer erklärte, dass aufgrund von Erfahrungen bekannt sei, „dass bei linken Bewegungen oft auch extremistische Personen sind“. Offensichtlich sind für ihn Antifaschist:innen ausschließlich linke Personen, die zum Extremismus neigen. Es muss wohl nicht betont werden, dass die Zwischenwelt sich immer zum Antifaschismus bekennt, also in den Augen des stellvertretenden Kärntner Polizeidirektors möglicher- oder auch wahrscheinlicherweise die Schreibenden unserer Zeitschrift „extremistische Personen“ sind.
Neben dem Schwerpunkt zu Armenien gibt es in dieser Ausgabe der Zwischenwelt wieder Texte von ukrainischen Autor:innen wie von Victoria Amelina, die am 1. Juli 2023 an ihren Verletzungen nach einem russischen Raketenangriff auf Kramatorsk verstarb. Sie arbeitete zu diesem Zeitpunkt an einem Buch, das den Blick auf Frauen in der Ukraine richtet, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs Kriegsverbrechen dokumentieren und nach Gerechtigkeit suchen. Weiters finden Sie einen Interviewausschnitt von Olha Volynska mit Iryna Zhyhulina zum Thema „Kunst in Zeiten des Krieges“, in dem es um die versuchte Auslöschung der ukrainischen Kunst und Kultur durch Russland geht.
Hellmut Butterweck, einer der heurigen Theodor-Kramer- Preisträger:innen, ist mit zwei Texten vertreten, in denen er sich mit der Nachkriegsjustiz beschäftigt. Zusätzlich finden Sie eine Rezension von Robert Streibel über Hellmut Butterwecks Untersuchung der österreichischen Nachkriegszeitungen, in denen die Gräueltaten gegen Juden und Jüdinnen nicht benannt wurden. Das Buch heißt treffend: Der Ungeist der Stunde Null. Wie Österreich säte, was es heute hat. Alexia Weiss, die zweite Theodor-Kramer- Preisträgerin des heurigen Jahres, setzt sich in ihrem Beitrag kritisch, engagiert und pointiert mit dem heutigen Antisemitismus auseinander.
Daneben gibt es eine Fülle weiterer Texte, die das breite Spektrum der Zwischenwelt abbilden.
Und wir warten alle gespannt auf die Ergebnisse der vom Innenministerium eingesetzten Kommission, die zur Aufklärung des Polizeieinsatzes am Peršmanhof installiert wurde. Noch bis Ende September soll dies der Fall sein …
Martin Krist