Theodor Kramer Gesellschaft

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Der 19. Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil wird 2019 zu gleichen Teilen an Claudia Erdheim und Martin Pollack verliehen

Preisbegründung

Kurzbiographien der Preisträgerin und des Preisträgers

Programm der Veranstaltungen

Die 1984 gegründete Theodor Kramer Gesellschaft vergibt seit 2001 alljährlich den mit Euro 8.000,- dotierten Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil.
Es werden sowohl die literarische Qualität, als auch die Haltung und das Schicksal der Preisträgerin oder des Preisträgers gewürdigt. Der Preis ist nicht alleine ÖsterreicherInnen und Menschen, die aus Österreich vertrieben wurden, vorbehalten. Auch das Schreiben in deutscher Sprache ist keine Bedingung.
Mit diesem Preis wird in Österreich Literatur gewürdigt, die im Widerstand und im Exil entstanden ist und entsteht. Die Theodor Kramer Gesellschaft will damit zugleich ein Zeichen setzen, dass in Österreich nicht alles in eine Richtung verläuft, dass dies ein Land mit seinem Widerspruch ist und im Widerspruch und Ringen mit sich selbst auch weiterschreitet. In all den Jahren der Zweiten Republik wurden aus Österreich vertriebene Autorinnen und Autoren höchst selten und nur dann mit Preisen bedacht, wenn sie entweder international schon vielfach preisgekrönt waren oder aber ihren Wohnsitz wieder in Österreich auf­geschlagen hatten.

      

Preisbegründung

Mit der Verleihung des Theodor Kramer Preises 2019 für Schreiben im Widerstand und Exil an Claudia Erdheim und Martin Pollack werden heuer zwei AutorInnen ausgezeichnet, die in ihren Texten den Blick auf lange Zeit aus der österreichischen Literaturgeschichte ausgeklammerte Regionen und aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängte Geschichten richten.

Claudia Erdheim wurde 1945 in Wien geboren, studierte Philosophie und Logik und ist seit 1984 als Schriftstellerin tätig. Zu ihren zahlreichen Publikationen zählen Romane, Kurzgeschichten, Erzählungen und Reportagen – ihr Schreiben bewegt sich im Grenzbereich zwischen Dokumentation, Rekonstruktion und Imagination dessen, was nicht in Geschichtsbüchern und Archiven zu finden ist. Mit ihrer detailgenau recherchierten Familiengeschichte Längst nicht mehr koscher legte sie 2006 einen wichtigen Beitrag zur Literatur über das jüdische Galizien vor, der nicht nur in Österreich bzw. im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Polen und der Ukraine rezipiert wurde. Der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil würdigt jenen Aspekt ihres Werkes, der vergessene jüdisch-österreichische Geschichte(n) wieder in den Blickpunkt rückt, so z.B. auch in der Erzählung In der Judenstadt (2015), in der die Autorin nicht nur die versunkene Geschichte der Wiener jüdischen Gemeinde im 17. Jahrhundert hervorholt, sondern über den Lebensentwurf Lena Gerstls die Stimme einer starken jüdischen Frau hörbar macht. Mit ihrem direkten und oft auch schonungslosen Stil, ihrer klaren Erzählweise und ihrem archivalischen Spürsinn legen Claudia Erdheims Texte Mechanismen des Ein- und Ausschlusses in der österreichischen Gedächtnislandschaft und im Literaturbetrieb selbst offen.

Der bereits vielfach für sein journalistisches, schriftstellerisches und kulturvermittelndes Engagement gewürdigte Autor Martin Pollack wurde 1944 in Bad Hall geboren, studierte in Wien und Warschau Slawistik und Osteuropäische Geschichte und war lange Zeit als Auslandskorrespondent für das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel und als Übersetzer tätig. Heute lebt und arbeitet er in Wien und dem Burgenland. Mit der Verleihung des Theodor Kramer Preises wird der sein gesamtes Schreiben bestimmende Aspekt, die Nachwirkungen der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zu vermitteln, in den Mittelpunkt gerückt. Die ProtagonistInnen seiner Texte bewegen sich in jenen „kontaminierten Landschaften“ in den Grenzländern Zentral- und Osteuropas, die durch Kriege, Massaker und neue Grenzziehungen mehrfach überschrieben wurden. Martin Pollack spürt jenen kleinen Geschichten nach, die auf den ersten Blick keine Spuren hinterlassen haben und stellt mit seinen Entdeckungen jene Gewissheiten infrage, die die Erinnerungspolitik in Zentral- und Osteuropa prägen. Nicht zuletzt macht er in den literarischen Auseinandersetzungen mit seiner eigenen Familie (Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater, 2004 und Die Frau ohne Grab. Bericht über meine Tante, 2019) deutlich, dass österreichische Literatur auch die Geschichte von TäterInnen erzählen muss – schließlich sind es diese von Mythen umrankten, oft verschwiegenen und tabuisierten Gedächtnisinhalte, die nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch im    Kollektiven nachwirken.

 

Kurzbiographien der Preisträgerin und des Preisträgers

Claudia Erdheim. Foto: Hannes Reisinger

 

Claudia Erdheim wurde 1945 in Wien geboren. Studium der Philosophie und Logik in Wien, München und Kiel. Von 1996 bis 1998 Russlandaufenthalt. Von 1984 bis 2005 Lehrbeauftragte für Logik an der Universität Wien. Seit 1984, dem Erscheinen des ersten, von Alice Miller zur Publikation empfohlenen Buches Bist du wahnsinnig geworden? freie Schriftstellerin. Es folgten Romane und Erzählungen aus dem Lebensumfeld der Autorin, aber auch Fotobände über Russland, Lemberg und das galizische Stetl. Seit 2000 anhaltende Beschäftigung mit historischen Themen, u.a. monatelange Recherchen zu Längst nicht mehr koscher, der Geschichte der Familie Erdheim, in der Westukraine. Zahlreiche Preise und Stipendien.
Werke (Auswahl): Bist du wahnsinnig geworden? (1984, Neuauflage Wien: Czernin 2018); Längst nicht mehr koscher. Die Geschichte einer Familie. Roman (Wien: Czernin 2006); Das Stetl. Galizien und Bukowina 1890 – 1918. Bildband (Wien: Album Verlag 2008); Zwölf Frauen und ein Mann. Reisegeschichten (Wien: Löcker 2010); Betty, Ida und die Gräfin. Die Geschichte einer Freundschaft (Wien: Czernin 2013); In der Judenstadt (Wien: Czernin 2015); Vilma Steindling. Eine jüdische Kommunistin im Widerstand. Gemeinsam mit Ruth Steindling (Wien: Amalthea 2017).

Martin Pollack. Foto: Ingrid Schemel

 

Martin Pollack wurde 1944 in Bad Hall geboren. Autor und Übersetzer polnischer Literatur. Studium der Slawistik und osteuropäischen Geschichte in Wien und Warschau. Verfasste zahlreiche Beiträge für die legendäre Monatszeitschrift „Wiener Tagebuch“. Bis 1998 Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL. Von 2012 bis 2014 Kurator des Programmschwerpunkts der Leipziger Buchmesse: tranzyt. Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus. Pollack wurde mit zahlreichen Preisen, u.a. dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln (2007), dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2011) dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis (beide 2018) sowie dem neuen Kulturehrenzeichen des Landes Oberösterreich in Gold  (2019) ausgezeichnet . 
Werke (Auswahl): Galizien. Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina (1984, Neuauflage Frankfurt/Main: Insel 2001); Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (Wien: Zsolnay 2002); Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater (Wien: Zsolnay 2004); Warum wurden die Stanislaws erschossen? Reportagen (Wien: Zsolnay 2008); Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (Wien: Zsolnay 2010). Zuletzt erschienen: Kontaminierte Landschaften (St. Pölten, Wien: Residenz 2014); Topografie der Erinnerung (Salzburg, Wien: Residenz 2016). Im August 2019 erschien bei Zsolnay Die Frau ohne Grab.

 

Programm der Veranstaltungen

Mitwirkende: die PreisträgerInnen, Konstantin Kaiser, Béla Rásky, Marianne Windsperger, Alois Woldan. Musik: NoMaden im Speck (Hans Tschiritsch, Thessa Rauba und Band)

Freitag, 4. Oktober, 19 Uhr
Pfarrsaal Niederhollabrunn, Kirchenplatz 1, 2004 Niederhollabrunn
Feierliche Preisverleihung
Begrüßung: Bürgermeister Jürgen Duffek und Univ. Prof. Dr. Peter Roessler
Laudatio: Univ. Prof. Dr. Alois Woldan und Dr. Béla Rásky
Lesung und Gespräche mit den PreisträgerInnen.
Musik: NoMaden im Speck : Heidelinde Gratzl (Akkordeon), Victoria Kirilova (Kontrabass), Eldis La Rosa (Saxophon), Chi Rich (Diverse Instrumente, Komposition), Aisha Eisa (Tanz)
Alois Woldan ist Professor für Slawische Literaturen an der Universität Wien, wo er vor allem im Bereich der polnischen, ukrainischen und russischen Literatur lehrt. Seine Forschungsinteressen liegen auf dem Gebiet der innerslawischen Komparatistik (polnisch-ukrainische, polnische-russische Beziehungen und Analogien) sowie der Galizienliteratur (Wechselbeziehungen zwischen polnischen, ukrainischen, deutschen und jüdischen Autoren bzw. Texten).
Publikationen: Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur  (1996); Europa Erlesen: Lemberg (2008); Pogłosy. Aspekty twórczości Ewy Lipskiej (2011); Beiträge zu einer Galizienliteratur (2015).
Dr. Béla Rásky, Historiker. Seit Jänner 2010 Geschäftsführer des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI). Studium der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Mitarbeit an zahlreichen zeithistorischen Projekten und Ausstellungen, u. a. an der Ordnung der Nachlässe von Felix Hurdes, Emmerich Czermak, Vinzenz Schumy und Christian Broda, an der Aufarbeitung der Haltung der österreichischen Nationalräte zum Nationalsozialismus, zahlreiche Übersetzungen historischer Werke aus dem Ungarischen, u. a. István Bibós Zur Judenfrage und Jenö Szücs‘ Die drei historischen Regionen Europas; Mitgestalter der Ausstellungen Die Kälte des Februar, 3 Tage im Mai, Flucht nach Wien, Wien um 1930; langjähriger Mitarbeiter der Österreichischen Kulturdokumentation. Internationales Archiv für Kulturanalysen, bis 2003 Leiter des Austrian Science and Research Liaison Office Budapest; danach freiberuflich und im Wien Museum tätig.
Ein Bus, für alle, die nicht mit dem Privat-PKW nach Niederhollabrunn anreisen wollen/können fährt am 4. Oktober - wie jedes Jahr - um 17.00 Uhr ab: Praterstern Ecke Lasallestraße. Anmeldung bitte unter office[a]theodorkramer.at —>10€/Person. Rückfahrt ist ca. um 22.00 Uhr

Dienstag, 8. Oktober, 19 Uhr 30
Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg
Laudatio: Marianne Windsperger
Einführung: Karl Müller
Lesung und Gespräche mit den PreisträgerInnen.
Mag.a phil. Marianne Windsperger, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Romanistik (Spanisch und Französisch) an der Universität Wien. Seit März 2018 am Wiener Wiesenthal Institut als Forschungsassistentin tätig. Von 2014 bis 2017 am Institut für Germanistik der Universität Wien als prae-doc-Assistentin, zuletzt wissenschaftliche Mitarbeit bei der Theodor Kramer Gesellschaft, seit 2018 im Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft. Absolventin des Uriel Weinreich Program for Eastern European Jewish History and Culture am YIVO Institute in New York. Forschungsinteressen: literarische Repräsentationen des Holocaust, jiddische Literatur, Erinnerungstheorien.
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Montag, 14. Oktober, 19 Uhr 30
StifterHaus Linz, Adalbert-Stifter-Platz 1, 4020 Linz
Laudationes und Einführung: Konstantin Kaiser
Lesung und Gespräche mit den PreisträgerInnen.
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Donnerstag, 17. Oktober, 19 Uhr 30
Psychosoziales Zentrum ESRA, Tempelgasse 5, 1020 Wien
Begrüßung: Peter Schwarz
Laudationes: Marianne Windsperger und Béla Rásky
Lesung und Gespräche mit den PreisträgerInnen.
Musik: NoMaden im Speck (Hans Tschiritsch, Thessa Rauba und Band)
Wir bitten um Anmeldung unter info@esra.at oder Tel (01) 21490-14.
Amtlichen Lichtbildausweis mitbringen!

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