Elisabeth Frischauf
Zweisprachige Lyrik-Lesung (Englisch / Deutsch)
Zweisprachige Lyrik-Lesung (Englisch / Deutsch) bislang unveröffentlichter Gedichte der aus New York angereisten Exil-Autorin mit österreichischen Wurzeln.
Eine Veranstaltung der Evolutionsbibliothek in Kooperation mit der Theodor Kramer Gesellschaft.
Eintritt frei.
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Morgen vielleicht
Morgen vielleicht werde ich in einem mandarinfarbenen See im Abendrot schwimmen.
Ich werde nicht an den Artikel der New York Times denken, dass wir dem Atomkrieg näher sind denn je—oder,
einem „herkömmlichen“ Dritten Weltkrieg. Die aufflammende Glut in der Ukraine, der Mittlere Osten im Vollbrand.
Ich frage: waren, werden, sind?
Simone Weil verstand unbarmherzige Gewalt, als sie die Ilias studierte:
Mensch zu sein bedeutet, Gewalt auszuüben, Gewalt ausgesetzt zu sein.
Gewalttätigkeit, die uns zu Dingen macht.
uns abstumpft, tot und verstorben zu leben.
Morgen vielleicht werde ich gedankenlos schwimmen.
Einfach schwimmen; das Wasser zwischen Armen und Beinen hören
Licht unter der Oberfläche glitzern sehen, wenn der Kopf untertaucht
Sie analysiert, unnachgiebig in ihrem Streben,
Gewalt zu ergründen. Abwartende Gewalt, die nicht tötet, aber belauert.
Droht—vielleicht—unser Ufer zu erreichen?
Morgen vielleicht wird mein Geist zur Ruhe kommen
und sich weigern, das verrückte Flussrauschen zu filtern
was hier und dort und überall geschieht.
Und alles zugleich.
Auf den Nebenlinien werde ich zu einer Unheil scrollenden Geisel der Nachrichten, —
Mitteilungssucher/sender: Bist du ok? Dieser Gedankenbereich ist belegt.
Selbst wenn du die Tür schließt, nicht zuhörst, vielleicht bist du
mit Verwandten und Freunden in der direkten Schusslinie;
und immer die Frauen und Kinder. Im Weg. Auf jeder Seite.
Morgen vielleicht werde ich ein Vogel sein. Ein Bussard, der
auf dem milden Aufwind des Morgens schwebt, Kreise dreht
über dem silbernen sonnengestreiften See,
oder eine kranke Krähe, die ein schimmelndes Kuchenstück
voll Genuss verspeist. Knusprige take-away-Nudeln, wie fad.
Menschen dingen. Denken: Die,—
die noch leben,—Terrorist, Wilder, Pfand,
menschliches Schild, Kollateralschaden: Ich Gut. Die Böse.
Morgen vielleicht wird meine halbe gläserne Duschwand
eingebaut werden, nachdem ich fast zwei Jahre darauf wartete;
die kühle Kräftigung des Sees dampfend luxuriös warm,
der gefilterte und auf die Lebensbaum-Badematte überschwappende Tag.
Haben wir Angst vor Frieden—
vor seiner sturmgesäumten Klarheit?
Ist uns der Nebel des Krieges lieber, frage ich—
aus Angst vor dem Guten, seiner kompromisslosen
Aufrechterhaltung; seiner Nahrung—
der sturen, langweiligen Stille?
Morgen vielleicht wird einfach morgen sein, und der nächste Tag und der nächste
ein magischer Tag, wenn das Licht das Dunkel flutet,
wenn wir uns vom Weinen losringen, ergießen wir uns gemeinsam über den großen Bogen—
Von Träne zu Träne Lächeln zu Lächeln Seele zu Seele Sind wir Eins
So möge es sein.
(Aus dem Englischen übersetzt von Astrid Nischkauer)