Herbert Exenberger (1943 - 2009)
von Konstantin Kaiser
Am 8. Oktober 2009 ist Herbert Exenberger in Wien seinem schweren Krebsleiden erlegen.
1943 in Wien geboren, erlernte er den Beruf eines Elektromechanikers und wurde Facharbeiter bei den Wiener E-Werken. Von Rosa Jochmann ermutigt, wandte er sich der antifaschistischen Aufklärungsarbeit in ihren vielfältigen Formen zu. Im zweiten Bildungsweg legte er die Matura ab, bestand die Prüfung für Volksbibliothekare und wurde Leiter einer Zweigstelle der Wiener Städtischen Bibliotheken. Von 1970 bis 2003 war er Bibliothekar des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), wo er sich auch als Betriebsrat engagierte. Daneben war er über vier Jahrzehnte als Mitarbeiter im Bezirksmuseum Simmering tätig, gestaltete Sonderausstellungen, so über Widerstand und Verfolgung in Simmering 1934-45 und über Rosa Jochmann. Diese Tätigkeit gipfelte 2009 in der Veröffentlichung des großen Werkes über die Simmeringer Juden (vgl. die Rezension Heimo Grubers in diesem Heft). 1983 wurde er mit dem Victor-Adler-Preis, 1991 mit dem erstmals vergebenen Willy und Helga Verkauf-Verlon Preis des DÖW ausgezeichnet.
Wer je in Wien auf dem Gebiet der Literatur der Verfolgten und Vertriebenen sich kundig machen wollte, musste auf Herbert Exenberger selbst und seine vielen wichtigen Studien und Dokumentationen stoßen. Er hat unsere Arbeit über viele Jahre begleitet, mit seiner Freundlichkeit und Heiterkeit, mit ungezählten Hinweisen und Anregungen, Auskünften und Korrekturen. In einer Stadt, in der sich Menschen oft bei sich selber rühmen, einander schon jahrzehntelang nicht zu kennen, betätigte er sich als einer, der Menschen zusammenbrachte, die gleiche Bestrebungen verfolgten, ein Menschenverbinder, kein Menschentrenner. Und "Exi", wie ihn alle liebevoll nannten, hat auch demonstriert, dass man die konsequente Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus und deren Folgen sehr wohl mit einer prallen Lebensfreude verbinden kann. Gearbeitet hat er allerdings viel, sehr viel.
Herbert Exenberger erging sich nie in unverbindlichen Redewendungen über "Gedenkkultur" und die Greuel des Nationalsozialismus im allgemeinen, sondern rief stets konkrete Schicksale, Werke Verschollener ebenso in Erinnerung wie die belegbaren Untaten der Verfolger. Eines seiner besonderen Interessen galt der kurzlebigen "Vereinigung sozialistischer Schriftsteller", die 1933 gegründet und nach den Februarereignissen des Jahres 1934 vom "Ständestaat" behördlich aufgelöst wurde. Ihr gehörte auch Theodor Kramer an, der sich ins Exil nach England retten konnte. Viele der Mitglieder jedoch wurden von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet, so Walter Lindenbaum, Thekla Merwin, Else Feldmann, Heinrich Steinitz, Benedikt Fantner, Adolf Unger. Oft blieben von ihnen nur die verstreut in Zeitschriften gedruckten Gedichte, Aufsätze, Erzählungen. Ihnen hat er in der Anthologie ermorderter sozialistischer Schriftsteller "Als stünd' die Welt in Flammen", die 2000 in Wien als Band 19 der Buchreihe "Antifaschistische Literatur und Exilliteratur - Studien und Texte" erschien, ein Denkmal gesetzt. In Zusammenarbeit mit der Theodor Kramer Gesellschaft hatte er schon zuvor, 1997, die Anbringung einer Gedenktafel für den 1942 in Auschwitz ermordeten Adolf Unger an dessen Geburtshaus, 1020 Wien, Springergasse 4, erreicht. Auf der Tafel finden sich die Zeilen Ungers:
Ich bin der Schrei jener,
denen man das Tor nicht öffnet.
Weiter zurück noch geht Herbert Exenbergers intensive Beschäftigung mit der Arbeiterliteratur, mit den Werken etwa eines Alfons Petzold, mit den frühen Arbeiterautobiographien und Berichten aus der Arbeitswelt. Exenberger nahm die Zerstörung der Arbeiterkultur durch Faschismus und Nationalsozialismus nicht hin. Er sammelte ihre Zeugnisse und Dokumente, verfolgte ihre Entwicklung weiter und baute Brücken zur Gegenwart, zu einer die Opfer und Niederlagen nicht verleugnenden neuen Arbeiterkultur.
Herbert Exenberger verstand es wie wenige, sich in seiner Arbeit mit anderen zu verbinden, verfaßte auch etliche seiner Aufsätze und Bücher mit gleichstrebenden Freunden wie Friedrich G. Kürbisch, Johann Koß und Brigitte Ungar-Klein. Er verstand es auch, andere zu neuen Studien anzuregen, und unterstützte sie dabei - Sabine Lichtenbergers Aufsatz über Richard Wagner in diesem Heft ist ein Beispiel dafür, oder auch Konstantin Kaisers Aufsatz über den Feuilletonredakteur Otto Koenig, der heuer im Katalog einer Ausstellung über die sozialistische "Arbeiter-Zeitung" erschien. Beide waren Mitglieder der "Vereinigung sozialistischer Schriftsteller".
Der Theodor Kramer Gesellschaft und der Zeitschrift "Zwischenwelt" (bis 2000: "Mit der Ziehharmonika") war Exenberger als Mitglied und Verfasser wichtiger Beiträge verbunden. So schrieb er für uns über den P.E.N. Kongreß in Dubrovnik 1933, über die sozialistischen Schriftsteller Adolf Unger und Alfred Apsler und über die Delogierung jüdischer Mieter aus den Gemeindebauten rund um den Mexikoplatz.
Für das Symposium zum 25jährigen Bestehen der Theodor Kramer Gesellschaft, "Subjekt des Erinnerns?", hat Herbert Exenberger ein Referat mit dem Titel "Jüdisches Leben in Simmering. Persönliche Notizen zur Erinnerungsarbeit in einem Wiener Bezirk" vorbereitet. In seinem Exposé schrieb er:
Erinnerungsarbeit besteht für mich aus einem Geflecht von großen und kleinen Initiativen, Anstößen 'von oben' genauso wie 'von unten', zähen Zwistigkeiten und überraschenden Durchbrüchen. Die wissenschaftliche Forschung gehört dazu, aber auch das Buffet, zu dem die Muslimische Arbeiterunion bei einem interkonfessionellen Gedenken an das Novemberpogrom 2008 in die Evangelische Kirche Simmerings lud.
Herbert konnte sein Referat beim Symposium am 25. September nicht mehr selber halten, hat es aber noch fertig ausgearbeitet - es wird im Jahrbuch Zwischenwelt XII im Frühjahr 2010 erscheinen.
Die Trauerfeier für Herbert Exenberger fand am 27. Oktober am Wiener Zentralfriedhof statt. Es sprachen Vertreter der Sozialdemokratischen Partei (Harald Troch), des DÖW (Brigitte Bailer), der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer (Ernst Nedwed) und der "Franziskanerinnen von der christlichen Liebe" (Edith Beinhauer). Den Franziskanerinnen hatte Exenberger bei der Gestaltung eines Gedenkraums für die wegen "Hochverrats" 1943 hingerichtete Helene Kafka, die 1998 selig gesprochene Schwester Restituta, geholfen. Die Schwestern haben seine Ungläubigkeit respektiert, und er ihre Gläubigkeit.
Allein das zeigt, wie umfassend und vielfältig die Tätigkeit und die Interessen Herbert Exenbergers waren.
Es ist, ach, ein großer Verlust und ein Jammer.
Erschienen in: ZW Nr. 3-4/2009, 51-52.