Theodor Kramer Gesellschaft

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Kleine Chronik österreichischer Exilaktivitäten in Palästina/Israel

Erschienen in "Exil in der Heimat - Palästina/Israel". In: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und Widerstands. 19. Jg. Nr.1. Mai 2002, 26-27

In Jerusalem gründete Julius Weiser, wenige Tag nach seiner Ankunft, das Kaffeehaus Beth Haiton: "Dieses Café war die Geburtsstätte der freiösterreichischen Organisation in Jerusalem."

1940 eröffnete Stella Kadmon in Tel Aviv das Cabaret Pavillon (in hebräischer Sprache), nach dessen Scheitern sie mit deutschsprachigen Vortragsabenden in Stella Kadmons Dachgarten begann; hier wurden auch szenische Lesungen von Theaterstücken geboten, so von Bertolt Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reiches" und Franz Werfels "Jakobovsky und der Oberst". (Nach Kriegsende trat Kadmon auch vor österreichischen Kriegsgefangenen in Ägypten auf.)

Orient. Unabhängige Wochenschrift für Zeitfragen, Kultur, Wirtschaft erchien in Haifa und Jerusalem wöchentlich vom 10. April 1942 bis 7. April 1943, hg. von Wolfgang Yourgrau. Österreichische MitarbeiterInnen): Max Brod, Ernst Fischer, Walter Fischer, Rudolf Fuchs, Karl Kraus, Theodor Friedrich Meysels, Alfred Polgar, Heinz Politzer, Willy Verkauf, Manfred Vogel, Robert Weil u.a.
Als Nr. 6 erschien am 8. Mai 1942 eine Wien-Nummer "Das jüngst vergangene Wien und die großen Toten" mit Nachrufen auf Stefan Zweig, Joseph Roth und Sigmund Freud.

Herbst 1942 Gründung des Free Austrian Movement in Palestine (FAM-P). Gründungsmitglieder: Kurt Blaukopf, Josef Friedmann, Ludwig Biro, Herbert Stein, Ernst Klein. Landessekretär (mit Sitz in Jerusalem): W. Verkauf. Präsident: Dr. Georg Fuchs.
Aufgabenstellung: a) Herausarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes zur nationalen Frage Österreichs; b) Information der Presse und amtlicher Stellen über Österreich und seine Probleme; c) Unterstützung der Wiedererrichtung eines freien und unabhängigen Österreich; d) Pflege des österreichischen Kulturerbes; e) Erfassung und Unterstützung der heimkehrwilligen österreichischen Emigranten; f) Kontakt und Meinungsaustauch mit anderen österreichischen Exilorganisationen in aller Welt.
Das FAM-P verstand sich als Sektion der Freien Österreichischen Weltbewegung (Free Austrian Movement - FAM), London. Ortsgruppen in Jerusalem, Haifa, Tel Aviv, Petach Tikwa, Rehovoth, Jugendgruppe in Tel Aviv.
Verbindung zu den Priestern und Mönchen des Klosters in Nazareth, die das "Austrian Hospice Nazareth" betrieben. Im September 1944 veröffentlichten sie einen Appell für die Befreiung Österreichs an die österreichischen Katholiken im Ausland. Kontaktmann: Ludwig Strobl.
Zusammenarbeit mit der FAM in Egypt, F.E. Goldscheider, Kairo. - Das FAM-Koordinationskomitee Mittlerer Osten (Middle East) gab "Funktionär[s]blätter" (September 1944) und ein internes Mitteilungsblatt (November 1944; Februar, Mai 1945) heraus. Das Mitteilungsblatt erschien nach eigenen Angaben seit November 1942 mit Beiträgen u.a. von: Arnold Zweig, Louis Fürnberg, L. Strobl, E.F. Goldscheider, Jaromir Basch, K. Blaukopf, H. Wagner, J.R. Becher, W. Verkauf, F.C. West, Eva Kolmer, Fritz Baar, F.Th. Csokor.
Eng verbunden mit dem FAM-P waren die Friends of Austria (FA), als deren Aufgaben genannt wurden: 1. Freundschaft zwischen den alliierten Völkern und dem österreichischen Volk zu stiften. 2. Unterstützung der alliierten Propaganda mit Informationen über den Freiheitskampf des österreichischen Volkes. 3. Kulturelle Veranstaltungen. 4. Unterstützung des Free Austrian World Movement (FAWM).

Am 21.10. 1942 wurde die Gründung der Austrian Society in Palestine (AS-P) öffentlich bekanntgegeben: eine nicht-politische Organisation, die für die Befreiung Österreichs in den Grenzen von 1918 eintrat. Als Ziele wurden angegeben:
- die Vereinigung aller in Palästina lebenden Österreicher ohne Einschränkung der Rasse, des Glaubens und der politischen Auffassung;
- die in Palästina lebenden Österreicher zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen der Alliierten zu ermuntern, entweder durch Eintritt in die britische Armee, oder durch Einschreibung in zivile Selbstschutzorganisationen oder durch Arbeit in der Kriegsrüstung;
- in ökonomischer Hinsicht das allgemeine Wohl der in Palästina lebenden Österreicher zu fördern, ohne daß die Society daraus Gewinn zieht.

23.11. 1942: Mario Kranz (vormals Deutsches Volkstheater, Wien) las Texte von Fritz Brügel, F.Th. Csokor, F. Grillparzer, H. v. Hofmannsthal, K. Kraus, Johann Nestroy, A. Polgar, Arthur Schnitzler, St. Zweig, Berthold Viertel, Anton Wildgans, W. Verkauf u.a. im Saal des Centre de Culture Française, Jerusalem. Eine Veranstaltung der FA und der AS-P.

10.3. 43 Versammlung der FA und der AS-P aus Anlaß des 5. Jahrestages der deutschen Okkupation Österreichs in den Räumen der Y.M.C.A. (Young Men's Christian Association; Jascha Heifetz Saal) in Jerusalem.

Von April 1943 - Oktober 1944 erschien, hg. vom Kreis der Bücherfreunde, die Zeitschrift Heute und Morgen in unregelmäßiger Folge in insgesamt 12 nicht numerierten Heften in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Österreichische MitarbeiterInnen: Ferdinand Bruckner, E. Fischer, Manfred Vogl, W. Verkauf, Eva Priester u.a.

Am 2.11. 1943 gratulierte Willy Verkauf in seiner Eigenschaft als ehrenamtlicher Sekretär der Österreicher in Jerusalem Churchill zum Moskauer Memorandum.

Am 11.11. 1943 fand in den Räumen der Y.M.C.A. in Jerusalem eine Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag der Republik Österreich mit Präsident Alfred Klein, Ernst Ceiss, Dr. Arnold Czempin, Egon Keppich, W. Verkauf statt. Musik: Ida Rosen am Flügel.

3./4.12. 1943 Landeskonferenz der AS-P mit Dr. Josef Friedmann, A. Klein, Dr. Oskar Back, K. Blaukopf (Vortrag: "Nationale Probleme der österreichischen Geschichte"), Dr. L. Biro, W. Verkauf, H. Klein, E. Ceiss statt. Mitgliederstand 478, zu 85% Juden. Zum Punkt "Allgemeine Stellung der Organisation" wurde festgehalten:
Besondere Probleme entstehen durch die Tatsache, daß Palästina ein Mandatsland ist mit einer starken jüdischen Bevölkerung, deren zionistische Organe auf die Verwirklichung eines jüdischen Nationalheims in Palästina hinarbeiten. Daraus ergibt sich, daß die zionistischen Organisationen gegen die Mitgliedschaft österreichischer Juden im FAM Stellung nehmen. Im Bewußtsein der Notwendigkeit[,] freundschaftliches Einvernehmen mit allen Teilen der Bevölkerung des Landes herzustellen und aufrechtzuerhalten, mußte sich die Organisation in der äußeren Propaganda gewisse Selbstbeschränkungen auferlegen.
Die Organisation erfreut sich der Unterstützung der czechoslowakischen Behörden und Organisationen, der jugoslawischen Behörden, des Verbandes polnischer Patrioten im Mittleren Osten und des allslawischen Verbandes im Mittleren Osten.

Vermutlich 1944 veranstalteten die AF im "Haus Schieber" in Jerusalem auch Vorträge, so am 3. Mai einen von Erich Gottgetreu über Arnold Höllriegel (Richard A. Bermann).

11./12.8. 1944 Arbeitskonferenz des FAM-Koordinationskomitee Mittlerer Osten in Jerusalem. Es existierten zwei Landesgruppen, elf Ortsgruppen, 400 Einzelmitglieder in den Allied Forces. Referate: W. Verkauf (Organisation), K. Blaukopf (Kultur und Propaganda), Th.F. Meysels (über Pressearbeit), Dr. J. Friedmann, Prof. E. Ceiss, F.E. Goldscheider.

Am 11.11. 1944 fand in der Kirche Notre Dame de France in Jerusalem eine Gedenkmesse für die von den deutschen Unterdrückern ermordeten österreichischen Freiheitskämpfer statt.

Am 18.1. 1945 wurde in den Räumen der Y.M.C.A. in Jerusalem ein Galakonzert der FA gegeben (Dirigent: Walter Pfeffer). Im Februar folgten eine Gedenkfeier für den 12. Februar 1934, am 26. ein Vortrag von Th.F. Meysels über "Österreichische Kunst im Vormärz".

19.3. 1945 im "Haus Schieber: "Gedenkkundgebung 7 Jahre besetztes Österreich".

In einem Rundschreiben vom Juni 1945 wurden die nach der Befreiung Österreichs veränderten Aufgaben definiert:
Die Funktion der FÖW [FAWM] wird mehr als früher die sein, die große Einheitsorganisation der Auslandsösterreicher zur Unterstützung und Entwicklung Österreichs zu bilden.
Man wolle daher für Österreich in Palästina werben, den "Aufbau einer bleibenden Auslandsorganisation" durchführen, "wirtschaftliche Beziehungen zwischen Österreich und Palästina" vorbereiten, die österreichische Kultur propagieren, österreichischen Kriegsgefangenen beistehen, den Österreichern aus Mauritius helfen.
Anschließend wurde von 15.7.-31.8. 1945 mit einer "Registrierung der Österreicher" begonnen, die "100 mils pro Person" kostete.

24.9. 1945: Feier der FA: "Liberation of Vienna".

Am 10.10. 1945 rief die FAM-P zur "Schaffung eines palästinensischen Hilfskomitees zur Hilfeleistung für aus den Konzentrationslagern befreite und aus der Deportation zurückgekehrte Opfer des Nazismus in Österreich" auf.

In einem mit W.G. gezeichneten Artikel "Rückwanderung aus Palästina - 'verboten'?" in der Austro American Tribune (New York) vom Jänner 1946 wird ausgeführt: "In Palästina befinden sich viele Österreicher, die illegal eingewandert sind und nicht palästinensische Staatsbürger wurden. Mehrere Hunderte davon wollen nach Österreich zurückkehren." Sie wurden nun nach Verhandlungen von der UNRRA als DPs anerkannt, als "... Flüchtlinge ..., die aus rassischen oder politischen Gründen fliehen mußten und nicht ausgewandert sind." Bisher 600 Anmeldungen; 40 wurden verständigt, bald reisen zu können. Nun sei von der UNRRA-Zentrale in Washington ein Veto eingelegt worden, vermutlich auf Betreiben zionistischer Kreise.
Schon zuvor war in der Zeitschrift Congress Weekly vom 19.10. 1945 zu lesen: "Natürlich sieht [es] die jüdische Gemeinde sehr ungern, daß irgendein Jude - ob Flüchtling oder Immigrant - das Heimatland verläßt." Das spiele den Gegnern der zionistischen Staatsgründungspläne in die Hände, indem es den Eindruck erwecke, die Juden wollten sich gar nicht in Palästina ansiedeln, sie seien ja nur Flüchtlinge. "Alle, die den Wunsch zurückzufahren laut werden lassen, sind einer sehr weitreichenden Diskriminierung ausgesetzt." Heimkehrer würden als "Volksverräter" angesehen.

Quellen: DÖW Akt 2740. - W. Verkauf-Verlon: Die politische und kulturelle Tätigkeit. In: Österreicher im Exil 1934-1945. Protokoll des internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945. Wien­ 1977, 224-228. - Ders.: Heimkehrprobleme in Palästina und Israel. Stationen der Emigration, Immigration und Rückkehr. In: Mit scharfer Optik. Wien 1989, 31-35. - Orient. Haifa 1942-1943. Bibliographie einer Zeitschrift. Bearbeitet von Volker Riedel. Mit einem Vorwort von Rudolf Hirsch. Berlin, Weimar 1973. - Siglinde Bolbecher: Vom "Lieben Augustin" zum "Theater der Courage". Erinnerung an Stella Kadmon. In: Herbert Arlt u.a. (Hg.): Die Welt des Jura Soyfer. Wien 1991, 110f. (= Zwischenwelt. Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft. 2).

 

Grundlagen der österreichischen Exilliteratur. Begleitende Studien zu einem „Handbuch der Österreichischen Exilliteratur in zwei Bänden“

Ein Projekt des Vereins zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur und der Theodor Kramer Gesellschaft

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