Theodor Kramer Gesellschaft

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Alexander Emanuely
Eine kurze Chronik zur Freimaurerei

Erschienen in "Freimaurer im Exil und Widerstand". In: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und Widerstands. 34. Jg. Nr.3 Oktober 2017, 27-29

1717 Gründung einer ersten Großloge in London, bestehend aus vier einzelnen Logen. Diese erste Großloge wird das Vorbild für alle zukünftigen Logenzusammenschlüsse sein.
Wieso London? England hatte sich nach einem Jahrhundert Bürger- und Religionskriege, Pestepidemien und dem großen Brand von London 1666 neu erfinden müssen. Es folgte 1688 die „Glorious Revolution“, die das Parlament zur bestimmenden politischen Instanz im Land machte. Aus Untertanen wurden Bürger, es entstand eine Zivilgesellschaft und diese brauchte Organisationen. Eine dieser Organisation wurde die Freimaurerei.
Von Anfang an wird in den Logen in drei Erkenntnisgraden gearbeitet, welche den Handwerksgilden nachempfunden sind: Lehrling, Geselle, Meister. Mehrere gewählte Meister bilden den Vorstand einer Loge, ein Meister wird zum Vorsitzenden, auch Meister vom Stuhl genannt, gewählt. Bei den Treffen der Freimaurer kommen altmodische Rituale der Steinmetzgilden und moderne Formen der gleichberechtigten Mitbestimmung zusammen. Man arbeitet an sich (dem Rauhen Stein). Diese Arbeit stellt für die Freimaurer ein wichtiges Symbol für die Selbstvervollkommnung, die Entwicklung zu einem mündigen und freien Individuum dar. Man sammelt Spenden für die Bedürftigen, bzw. für die Witwen von Freimaurern, pflegt Kontakte zu anderen Logen, feiert und/oder diskutiert.
Alle Mitglieder sind Brüder, gleich welcher Klasse, welcher Konfession sie angehören. Die Treffen finden in der Loge statt (Lodge auf Englisch bedeutet Hütte). Zu den ersten Mitgliedern zählten neben einigen Steinmetzern, vor allem Handwerker, Geschäftsleute, Aristokraten, Militärs auch viele Gelehrte, meist aus der Royal Society kommend. John Theophilus Desaguliers, Mitglied der Royal Society, bekannter Physiker und Astronom, war eine treibende Kraft in der jungen Freimaurerei, nicht nur in England, sondern in halb Europa.
1723 Der Pastor James Anderson verfasste, neben einer fantasiereichen Vorgeschichte der Freimaurerei, die „Constitutions of the Free-Masons“. Er schuf damit ein Regelwerk, welches als eines der Vorbilder für das moderne Verfassungsrecht gesehen werden kann. Diese Constitution, also Verfassung, schaffte jedoch auch erste Ausgrenzungen: So wurde Atheisten und Frauen die Mitgliedschaft verwehrt.
Um 1730 wird Charles Montesquieu Freimaurer, er beteiligt sich an ersten Logengründungen in Frankreich. Da die bedeutenden philosophischen Salons von Paris immer strenger vom Staat kontrolliert wurden, verlegten sich die dort geführten Diskussionen in die neumodischen, jedoch besser geschützten, da nur für Mitglieder zugänglichen, Logen. Während in England die Freimaurerei Teil der neuen politischen Realität ist, wird sie in den absolutistischen Monarchien Europas bald als Brutstätte für Aufrührer betrachtet.
1731 wird in Haag unter der Leitung von Desaguliers Franz Stephan von Lothringen Freimaurer. Ein britischer Hugenotte und bedeutender Wissenschaftler und ein zukünftiger katholischer Kaiser sind plötzlich Brüder.
1738 Erste päpstliche Bulle gegen die Freimaurerei. Katholiken wird bei Mitgliedschaft mit Exkommunikation, Verfolgung und Hinrichtung gedroht.
Ab 1740 entstehen in ganz Europa verschiedenste Freimaurersysteme. In manchen Logen werden die oft verbotenen Ideen der Aufklärung diskutiert, in anderen neue und oft verbotene Erkenntnis der Wissenschaften. In vielen Logen wird auch einfach nur das Beisammensein gefeiert oder Alchemie betrieben. Die sogenannten Hochgradsysteme entstehen in verschiedenster Ausformung, in ihnen sollen sich die Meister weiter perfektionieren können. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Logen für Frauen, Adoptionslogen genannt, weil sie unter der Aufsicht einer Männerloge stehen müssen.
1742 Gründung einer kurzlebigen, ersten Loge in Wien
1763 bis 1776 Amerikanische Revolution. Unter den Freiheitskämpfern befanden sich viele Freimaurer, unter den Briten jedoch auch.
1773 Gründung des Grand Orient de France, der ersten Großloge Frankreichs
1776 Gründung der bekanntesten Pariser Loge, die im Zeichen der Aufklärung stand: „Les Neuf Soeurs“ (Die neun Schwestern). Zu ihren Mitgliedern zählten Helvetius, seine Frau Anne-Catherine, Voltaire, Benjamin Franklin, La Fayette, Pascal Paoli, Lalande, Montgolfier, Camille Desmoulins, Condorcet, d'Alembert, André Chénier, Johann Georg Forster.
In den 1780er-Jahren erscheinen die ersten antimaurerischen Schriften und Verschwörungstheorien. Die öffentliche Meinung wird stark durch jene des Abbé Augustin Barruel geprägt.
1781 Gründung der Loge "Zur wahren Eintracht", welche die Wiener Version der "Les Neuf Soeurs" ist. Mitglieder waren Angelo Soliman, Ignaz von Born, Joseph Haydn, Aloys Blumauer, Johann Baptist von Alxinger, Joseph Franz Ratschky, Johann Pezzl, Karl Leonhard Reinhold, Franz Anton von Zauner, Joseph von Sonnenfels, Johann Georg Forster.
1786 Das Freimaurerpatent von Joseph II. sollte die Zahl der Logen im Habsburgerreich regeln und diese einer neu gegründeten, österreichischen Großloge unterstellen. Großmeister war Fürst von Dietrichstein. Seine rechte Hand war Ignaz von Born, eines der Vorbilder für Mozarts Sarastro. Das Patent sollte ebenfalls den Einfluss ausländischer Großlogen und esoterischer Kreise zurück drängen.
1789 Französische Revolution. Frankreich wird zur konstitutionellen Monarchie. Ratifizierung der amerikanischen Verfassung.
Ab 1794 Verfolgung der Wiener und ungarischen Demokraten, welche zum Großteil auch Freimaurer waren. Unter den über 60 als „Jakobiner“ verhafteten waren viele bekannte Persönlichkeiten, so Andreas Riedel, Franz Hebenstreit, Siegfried von Taufferer, Martin Joseph Prandstätter, Ignaz Joseph Martinovics. (siehe Beitrag von Fritz Brügel). Verbot der Freimaurerei in Frankreich durch die Jakobiner, erst im Direktorium und dann unter Napoleon kam es wieder zu einer Blüte der Freimaurerei.
1796 Endgültiges Verbot der Freimaurerei im Habsburgerreich.
1801 Im Habsburgerreich mussten bis 1918 alle Beamten und Militärs ein Revers unterschreiben, bestätigend keiner Geheimorganisation anzugehören. Der Alte Angenommene Schottische Ritus (A.A.S.R.) wird in Charleston, West Virginia (USA), gegründet. Diese besondere Form der Freimaurerei, mit einem Hochgradsystem, findet im 19. Jh. u.a. in Frankreich unter Republikanern große Verbreitung, da der Hauptsitz in den USA, somit in der damals einzigen, funktionierenden und stabilen Republik lag. Der Schauspieler und Theaterdirektor Ludwig Schröder begründet in Hamburg die sogenannte Schröder-Lehrart der Freimaurerei. Diese lehnt das Esoterische und die Hochgrade strikt ab. Sie wird die österreichische Freimaurerei des späten 19. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert prägen.
1848 Die französische Republik übernimmt die Devise des Grand Orient de France „Liberté, Egalité, Fraternité“ (Gleicheit, Freiheit, Brüderlichkeit). In Wien existiert während der Revolution für einen Tag eine Loge.
1868 Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich, Gründung einer ersten ungarischen Loge mit englischem Patent.
1871 Während der Pariser Kommune schließen sich mehrere tausend, also fast alle Pariser Freimaurer den KommunardInnen an. Gründung der Symbolischen Großloge von Ungarn.
1872 Gründung einer ersten Wiener Loge namens Humanitas unter dem Schutz der Symbolischen Großloge von Ungarn. Treffen finden in Ödenburg oder Neudörfel statt. In Wien bilden die Logenmitglieder nichtpolitische Vereine, meist literarische Zirkel oder karitative Organisationen. Es gehört seit 1723 zum Ritual der Freimaurer, sich auf den Großen Baumeister aller Welten, also auf Gott, zu beziehen und ein heiliges Buch, meist die Bibel, während der Treffen aufzulegen. Der Großorient von Belgien verzichtet auf religiöse Referenzen, statt der Bibel wird ein „weißes“, also unbeschriebenes, Buch aufgelegt.
1877 Der Grand Orient de France übernimmt die belgische Praxis. Viele Freimaurer setzen sich für eine radikale Demokratisierung der III. Republik ein.
1881 Aufnahme der Feministin und Schriftstellerin Maria Deraismes in eine Loge der Symbolischen Schottischen Großloge von Frankreich (A.A.S.R.)
1884 Papst Leo XIII.: „Humanum genus“: Freimaurerei ist eine Sekte, eine verbrecherische Vereinigung im „Reich des Satans“
1893 Gründung des Freimaurerordens für Männer und Frauen „Le Droit Humain“ in Frankreich nach einer Abspaltung von der Symbolischen Schottischen Großloge.
1903 erscheinen die Protokolle der Weisen von Zion auf Russisch. Mit dieser vom russischen Geheimdienst beauftragten antisemitischen und antimasonischen Schrift sollte der Beweis einer jüdischen und freimaurerischen Weltverschwörung erbracht werden.
1905 In Frankreich wird eine alte Forderung vieler Freimaurerorganisationen gesetzliche Realität: die Trennung von Kirche und Staat.
1911 Alfred Hermann Fried, seit 1908 Freimaurer, erhält den Friedensnobelpreis.
1919 Gründung der Großloge von Wien. In Ungarn wird die Freimaurerei durch die Räterepublik, dann durch die rechte Gegendiktatur verboten.
1921 Gründung der Association Maçonnique International (AMI)
Ab 1923 verbieten und verfolgen in Italien die Faschisten die Freimaurer. Ähnliche Entwicklung ab 1929 in Polen.
1929 Die „General Regulations“ der Großloge von England verbieten weltweit jeden Kontakt der von ihr anerkannten Logen mit jenen, die keine religiösen Bezüge mehr fordern. Betroffen sind vor allem die Logen des Großorients von Frankreich und von Belgien.
1933 Leo Müffelmann, Mitglied des A.A.S.R. in Österreich und Deutschland und strikter Gegner der Nazis, wird wegen Zugehörigkeit zur Freimaurerei für drei Monate im KZ Sonnenburg festgehalten, wo auch Carl von Ossietzky, seit 1919 Freimaurer, Gefangener ist. Müffelmann stirbt an den Folgen der Haft am 24. August 1934. Ossietzky wird nach dem Erhalt des Friedensnobelpreises aus der KZ Haft entlassen und stirbt an den Folgen der Haft am 4. Mai 1938.
1934 ist Adolf Eichmann in der Abteilung II 111 des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (Gegnererforschung) für die Zusammenstellung einer sogenannten Freimaurerkartei zuständig.
Bis 1935 Auflösung aller Logen in Deutschland.
1936 Verfolgung der FreimaurerInnen in Spanien nach dem Putsch
1938 Auflösung der Großloge von Wien, Verfolgung fast aller 800 noch eingeschriebenen Mitglieder.
1940 Freimaurer gründen die ersten Gruppen der Résistance in Frankreich. Gründung österreichischer Exillogen in Paris, London, NY und Buenos Aires.
1945 Wiederbelebung der Freimaurerei in Österreich. Ein erstes Zusammentreffen von noch 48 in Wien lebenden Freimaurern findet am 8. September statt. In der Zweiten Republik sind ua. folgende Intellektuelle Freimaurer: Milo Dor und Michael Guttenbrunner, Otto Basil, Hans Sidonius Becker, Paul Blaha, Wolfgang Bauer, Bert Breit, Axel Corti, Gottfried von Einem, Reinhard Federmann, Paul Frischauer, Adolf Frohner, Alexander Giese, Rudolf Hausner, Edgar Jené, Michael Kehlmann, Georg Kreisler, Jörg Mauthe, Friedrich Torberg, Michael Weinzierl, Hugo Wiener, Edwin Zellweker...

 

Grundlagen der österreichischen Exilliteratur. Begleitende Studien zu einem „Handbuch der Österreichischen Exilliteratur in zwei Bänden“

Ein Projekt des Vereins zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur und der Theodor Kramer Gesellschaft

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