Internationale Tagung
Die Zerstörung der Arbeiterkultur durch Faschismus und Nationalsozialismus
(in memoriam Herbert Exenberger)
ReferentInnen & Vorträge
Dr.in Helene Belndorfer, geb. 1957 in Neukirchen a. d. Vöckla, Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft, des DÖW und des Mauthausen Komitees, Ökonomin (Dr.in der Handelswissenschaften der WU Wien) und Historikerin (derzeit schließe ich meinen Master der Zeitgeschichte an der Universität Wien ab; die Masterarbeit beschäftigt sich mit Konsum und Werbung während der Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit und nimmt dabei auch Arbeiter-Konsum und Medien-/Kultur in den Blick), zeitgeschichtliche Regionalforschung (Fokus Oral History), Beiträge zur Zwischenwelt (u.a. Nachruf auf Josef Burg und Paul Flora, Rezensionen), Mitherausgeberin des Zwischenwelt-Jahrbuches der Theodor Kramer Gesellschaft „Subjekt des Erinnerns?“ (Klagenfurt 2011), im Februar 2014 anläßlich 80 Jahre Februar 1934 – Ö1-Tonspuren-Feature (gemeinsam mit Alfred Koch) über den Publizisten Kurt Neumann, dessen Rolle im Februar 1934 und dessen Roman „Gefangen zwischen zwei Kriegen“, Koordination und Moderation der Ausstellungseröffnung „Von Judenburg nach Hollywood“ Kurt Neumann (1902-1984), mit Heimo Halbrainer, Heinz Trenczak und Konstantin Kaiser im Aktionsradius Wien.
Späte Erinnerungen von Zeitgenoss/inn/en an die österreichische Arbeiterkultur & Chronik eines gescheiterten Versuchs, einen vorrangigen Erinnerungsort dieser Arbeiterkultur unter institutionellen Schutz stellen zu lassen.
Eine Collage von O-Tönen, Fotos und Briefverkehr
Eine Tagung über die Arbeiterkultur ist kaum denkbar, ohne die Protagonist/inn/en und/oder Konsument/inn/en selbst zu Wort kommen zu lassen. Wie erinnern sich Zeitgenoss/inn/en an Blüte und Brüche der Arbeiterkultur, welche Instititutionen, Medien, Topoi, Orte, Motive, Spannungsfelder etc. nennen sie oder deuten sie in ihren Erinnerungen an, welche lassen sie weg? Wie verändert sich die Erinnerung, die „stets eine Form der Verarbeitung ist und daher durch die politische, soziale und vor allem ideologische Entwicklung mitgeprägt wird“, mit zunehmendem zeitlichen Abstand? Mit Auszügen aus Interviews von Zeitgenoss/inn/en sollen individuelle, lebendige Schlaglichter auf die von den Veranstaltern angeführten Tagungsschwerpunkte geworfen und strukturelle Muster analysiert werden.
Univ.-Prof. Dr. Ulf Birbaumer, geb. 1939 in Waidhofen/Ybbs, em. Univ. Prof. für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Gastprofessuren an der Université Paris III und an der Universität Florenz. Theaterkritiker, Radio- und Fernsehjournalist. 1979 Mitbegründer des Fo-Theaters in den Arbeiterbezirken, Wien (Gemeindehoftheater), gemeinsam mit Didi Macher und Otto Tausig: bis 1995 Aufführungen in Gemeindehöfen, Betrieben etc., zum Teil in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen; dezentrale Theaterarbeit mit Stücken u.a. von Dario Fo, Jura Soyfer, Peter Turrini, Heinz R. Unger. Veröffentlichungen u.a. zu: Volkstheater, europäisches Theater des 20. Jahrhunderts, Theater- und Medientheorie, Film- und Fernsehanalyse. 1995 Gründung der internationalen Gruppe für Theaterforschung „spectacle vivant et science de l‘homme“ an der Pariser MSH (Maison des Sciences de l‘Homme). 1996 bis 2011 Vorsitzender der Jura Soyfer-Gesellschaft.
Mag.a Barbara Blaha, ehem. ÖH-Vorsitzende, lebt und arbeitet als Publizistin und Lektorin in Wien. Seit 2007 leitet sie darüber hinaus den Politkongress „Momentum“.
Univ.-Prof. Dr. Jürgen Doll, emer. Professor für deutsche Literatur-und Kulturwissenschaft, Université Paris Est Créteil (UPEC). Publikationen: Theater im Roten Wien. Vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers, Wien-Köln-Weimar 1997; (Hrsg.) Judentum und österreichische Literatur vom Vormärz bis zur Gegenwart, Poitiers 2000; (Hrsg.) Erich Fried, Rouen, Austriaca, Juni 2001; (Hrsg.) Jean Améry. De l‘expérience des camps à l‘écriture engagée, Paris 2006; Exil antinazi, témoignages concentrationnaires, Paris 2008. Aufsätze zum Austromarxismus, zum politischen Theater, zur Exilliteratur, zur österreichischen und deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.
Proletarische Gegenkultur? Zu Josef Luitpold Sterns Versuch, das Konzept einer proletarischen Klassenkultur auf sozialdemokratischer Basis zu begründen
In der Sowjetunion und den verschiedenen kommunistischen Parteien, besonders der KPD, gab es zahlreiche, inzwischen gut dokumentierte und untersuchte Versuche, eine proletarische Klassenkultur auf marxistisch-leninistischer Basis zu begründen. Die Bemühungen Luitpold Sterns (und einiger seiner Mitarbeiter in der Bildungszentrale), eine solche auf der Grundlage des austromarxistischen Menschenbilds zu entwickeln, scheinen, so weit aus der einschlägigen Literatur ersichtlich, der einzige derartige Versuch aus sozialdemokratischer Perspektive zu sein. Dieser richtete sich, zwar implizit, aber deutlich, gegen die der liberalen Tradition verpflichtete Position Bachs, der von der klassenübergreifenden Sendung der (insbesondere deutschen) Kultur überzeugt war und diese den Arbeitern zugänglich machen wollte. Er unterscheidet sich aber auch klar von Ernst Fischers Avantgardismus und dessen explizit politisch-operativer Position Anfang der 1930er Jahre. Im vorliegenden Beitrag soll die Frage nach der theoretischen Stringenz der von Luitpold Stern vertretenen Auffassung gestellt und deren Auswirkung auf die praktische Kulturarbeit untersucht werden.
Dr.in Traude Bollauf, geb. Moik, geboren am 8.12. 1941 in Wien. Journalistin und Zeithistorikerin, 1959 bis 1966 Beamtin im Bereich des Bundesministeriums für soziale Verwaltung. 1966 bis 1975 Redakteurin der Wochenzeitschrift ”Die Frau”. 1975 bis 1996 Redakteurin und Sendungsverantwortliche im ORF, Leiterin Familienprogramme Fernsehen. Nach Übertritt in die Pension Studium der Geschichte (mit Judaistik und Germanistik) an der Universität Wien 1997 – 2003. Diplomarbeit über Kinderemigration 1938.
Anschließend Doktoratsstudium aus Geschichte. Titel der Dissertation: Dienstboten-Emigration. Wie jüdische Frauen aus Österreich und Deutschland nach England flüchten konnten. Betreuer Prof. Gerhard Botz. Promotion zu Dr.in phil. 26. Jänner 2010. Buchpublikation: Dienstmädchen-Emigration, Wien 2010. Kreisky-Preis für das politische Buch 2010. Forschungsschwerpunkte: Vertreibung und Exil von Frauen durch das NS-Regime. Dr. Stella Klein-Löw, die Traude Bollauf als junges Mädchen noch persönlich kennengelernt hat, ist eine der Protagonistinnen des Buches über die Dienstmädchen-Emigration.
Stella Klein-Löw und die schwarze Nacht
Stella Klein-Löw, 1904 in die österreichische, jüdische Beamtenfamilie Herzig hineingeboren, fand bereits als junge Philologiestudentin den Weg zum „Roten Wien“. Dabei faszinierten sie sowohl die politische Basisarbeit als auch die bahnbrechenden Ideen dieser Zeit. Sie besuchte Vorlesungen von Karl und Charlotte Bühler, arbeitete mit den Psychoanalytikern Wilhelm und Annie Reich zusammen. Nach dem Selbstmord ihres Ehemannes, des Arztes Dr. Hans Klein, entschloss sie sich dennoch beim Beruf der Lehrerin am Wiener Chajes Gymnasium zu bleiben. Nach dem Februar 1934 musste sie das gewaltsame Ende der österreichischen Sozialdemokratie und schließlich auch die schwierigen und gefährlichen Versuche sich in der Illegalität als „Revolutionäre Sozialisten“ neu zu organisieren, miterleben. Anfang 1939 flüchtete sie – wie tausende jüdische Frauen – vor den Nazis nach England, um als Hausgehilfin zu arbeiten. Erst nach Kriegsbeginn gelang es ihr dort einen ihrer Ausbildung besser entsprechenden Wirkungskreis zu finden: eine Stelle als Lehrerin und Betreuerin in einem Internat für schwererziehbare Buben, der „ Grange“. Viele Erfahrungen aus dieser Zeit sind nach ihrer Rückkehr nach Österreich im Jahre 1946 in ihre Bemühungen eingeflossen, an die Ideen des „Roten Wien“ anzuknüpfen: sowohl als Lehrerin als auch später als Nationalratsabgeordnete und Bildungssprecherin der SPÖ.
Mag. Paul Dvořák, Historiker. Derzeit Projekt zur namentlichen Erfassung der Opfer von Repressionsmaßnahmen des Austrofaschismus. Arbeitet an einer Dissertation über die Britische Labour Party und die österreichische Sozialdemokratie im Vergleich. Publikation: Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 1930-1938. Ein Forschungsüberblick. In: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.) (2013): Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933-1938, Wien, 17-40.
Ungleiche Schwestern – Die Beziehungen zwischen der britischen und der österreichischen Arbeiterbewegung in der Zwischenkriegszeit
Die österreichische und die britische Arbeiterbewegung, obwohl scheinbar sehr gegensätzlich ausgerichtet, hat sich seit dem späten 19. Jahrhundert gegenseitig beeinflusst. Von Andreas Scheu über Otto Bauer bis zu den sozialdemokratischen und kommunistischen Emigranten im Großbritannien der 1930er und 1940er Jahre hat die österreichische Arbeiterbewegung immer wieder Impulse durch ihre britischen Genossen erfahren. Umgekehrt galt das „Rote Wien“ für die Labour Party als Vorbild und wurde das Schicksal der österreichischen Linken nach 1934 als Menetekel gesehen, das Generationen von sozialistischen und Labour Politikern beeinflusste und sowohl als Warnung vor den Gefahren des aufkommenden Faschismus als auch vor einer zu „revolutionären“ Politik verstanden wurde.
Mag. Alexander Emanuely, geboren 1973, studierte Politik und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Doktorat an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theodor Kramer Gesellschaft. 2006-2009wissenschaftlicher Mitarbeiter von ESRA – psychosoziale Ambulanz für Überlebende der NS-Verfolgung. 2001 Gründer der österreichischen Sektion der österreichischen Sektion der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA). Zuletzt erschienen: „Ausnahmezustand. Jura Soyfers Transit“ (2013).
Mag.a Dr.in Margit Franz, Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin bei CLIO-Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit Graz & Institut für Geschichte der Universität Graz, Fachbereich Zeitgeschichte. Aktuelle Literatur: Fritz Kolb, Leben in der Retorte. Als österreichischer Alpinist in indischen Internierungslagern. Hrsg. von Margit Franz und Karl Wimmler. Graz 2014. (November 2014) Margit Franz, Heimo Halbrainer (Hg.), Going East – Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika. Graz 2014.
Ansätze der sozialistischen Reformpädagogik und ihrer Suche nach dem „Neuen Menschen“ 1918 bis 1934 – anhand der Biografie von Fritz Kolb
„Wir dachten damals, daß mit der Erziehungsreform und mit der Sozialreform auch der soziale Friede kommen werde; und daß insbesondere die Verbrechen verschwinden würden. Wir formulierten es wohl nicht so – aber wir dachten, die Menschen würden besser werden. Ich glaube noch heute, daß wir recht hatten: Die Menschen waren auf einem guten Weg. Es war die Vernichtung der Demokratie (1934) und der Einmarsch Hitlers (1938), die diesen Weg verschütteten“, schrieb Karl Popper 1981 im Vorwort zu Fritz Kolbs Biografie „Es kam ganz anders.“ Fritz Kolb war Reform- und Individualpädagoge, Psychologe, Lehrer, Erzieher der Kinderfreunde, der Naturfreunde und Roten Falken sowie bildungspolitischer Theoretiker. Einige seiner pädagogischen Stationen sollen Markierungen durch die weite reformpädagogische Landschaft des Roten Wien sein: Schönbrunner Kinderfreundeschule, die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Erzieher und die Individualpsychologische Versuchsschule.
Der „Neue Mensch“ stellte das Hauptziel aller sozialistischen Erziehungsbemühungen der Ersten Republik dar, welches nicht revolutionär über den Weg des Klassenkampfes, sondern evolutionär erreicht werden sollte.
Prof. Vera Freud wurde 1928 in Deutschland geboren. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie in Spanien und Frankreich. Ihr Vater war Jude und Überlebender der nationalsozialistischen Vernichtungslager. Ihre Mutter schloss sich dem spanisch-französischen Widerstand in Frankreich an und überlebte ebenfalls den Krieg. Vera Freud verbrachte den Zweiten Weltkrieg größtenteils in einer Reihe von Kinderheimen für Opfer der Naziverfolgung. Nach dem D-Day schloss sie sich noch für einige Monate der Résistance an.
Nach dem Krieg lebte und studierte sie in Paris, wo sie Walter Freud kennenlernte. Die beiden heirateten und zogen nach Südafrika, wo ihre beiden Söhne zur Welt kamen. Das inakzepable Apartheidsregime Südafrikas bewog sie, nach Kanada zu übersiedeln, wo Vera Freud ihre Studien wiederaufnahm und schließlich am PSBGM (Protestant School Board of Greater Montreal) zu unterrichten begann. Nach dem tragischen Ableben ihres Ehemannes ging sie frühzeitig in Pension, widmete sich von nun an der Durchsetzung der Menschenrechte und speziell der Kinderrechte. Sie war von 1987 bis 1992 ständige Vertreterin der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) bei der UNESCO. Neben u.a. der Schriftstellerin Margaret Atwood ist sie im kanadischen Unterstützungskomitee von Child Haven International aktiv.
Dorli Loebl – Eine Erinnerung, eine Erzählung, ein Bericht
Dorli, das Wiener Mädl, geboren 1928, war Mitglied der Roten Falken und vermochte ihre sozialistische „Kultur“, vor ihrer Deportation aus Frankreich und ihrem tragischen Tod in Auschwitz im Alter von vierzehn Jahren, mit mir und vielen anderen zu teilen. Es soll nicht nur an Dorli Loebl erinnert, es soll auch ihre Welt für einige Minuten wieder lebendig gemacht werden.
Wolfgang Fritz, geboren 1947 in Innsbruck, lebt und arbeitet als Schriftsteller in Wien. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen „Der Kopf des Asiaten Breitner“ (2000) und (gemeinsam mit Gertraude Mikl-Horke) „Rudolf Goldscheid – Finanzsoziologie und ethische Sozialwissenschaft“(2004). Letzte Buchveröffentlichung „Fortschritt und Barbarei. Österreichs Finanzverwaltung im Dritten Reich“ (2010).
Zwei Prägende und Vergessene – Rudolf Goldscheid und Hugo Breitner.
Rudolf Goldscheid (1870-1931), Schriftsteller und Privatgelehrter, 1926 Initiator der Österreichischen Liga für Menschenrechte, somit auch einer der ersten Vertreter der österreichischen Zivilgesellschaft, entwickelte während des Ersten Weltkrieges eine Lehre der Finanzsoziologie, die weltweite Verbreitung fand und auch in den USA Wurzeln schlug. Der von ihm beeinflusste Hugo Breitner (1873-1946) hatte sich in der Länderbank vom Subalternbeamten zum Direktor emporgearbeitet. 1919 übernahm er das Finanzressort in der Wiener Stadtregierung. Sein System der solidarischen, auch die Reichen nicht über Gebühr schonenden „Breitner-Steuern“ ermöglichte es ihm, die Sozial- und Schulreformen, den Wohnbau und das Kulturprogramm des Roten Wien zu finanzieren. Auch sein Wirken fand internationale Anerkennung. Beide Männer haben somit einen Beitrag zur Modernisierung der österreichischen Gesellschaft geleistet, der noch heute seine Gültigkeit hat. Trotzdem wird kaum jemand mehr, die/der sich heute in Wien für Menschenrechte einsetzt, Rudolf Goldscheid kennen, genauso wenig, wie jemand, die/der eine Gemeindewohnung der Stadt bezieht, etwas mit dem Namen Hugo Breitner anfangen wird. Ist das Vergessen der Pioniere des modernen Österreich das Resultat der kollektiven Hirnwäsche durch Faschismus und Nationalsozialismus? Hat dieses Vergessen vielleicht noch andere Gründe?
Eva Geber, Autorin, Kulturpublizistin (u. a. Neuedition von Werken Rosa Mayreders); 35 Jahre AUF-Redaktion; Wiener Frauenpreis 2009. Bruno-Kreisky 2013 für ihr Buch „Der Typus der kämpfenden Frau – Frauen schreiben über Frauen in der Arbeiter-Zeitung von 1900 bis 1933“.
Mit heißem Herzen für unsere Sache
Ende des 19. Jahrhunderts: Am geistigen und sozialen Aufbruch forderten Frauen ihre Beteiligung ein. Politische Vereine waren ihnen verboten. Die Sozialdemokratinnen gründeten den Arbeiterinnen-Bildungsverein, die radikalfeministischen Bürgerlichen den Allgemeinen Österreichischen Frauenverein, die Gemäßigten den Bund österreichischer Frauenvereine. Es gab Schulungen, Debattierclubs, Streiks und Rechtsberatung, Zeitschriften, Versammlungen und internationale Vernetzung. Sie forderten Bildung, gerechte Entlohnung, Achtstundentag, Rechte in der Familie, Straffreiheit bei Abtreibung, Mutterschaftsversicherung Mutterschaftsversicherung und Frauenwahlrecht. 1934 verbot der Austrofaschismus die sozialistischen Institutionen. Die bürgerlichen Frauenvereine durften bis 1938 existieren. Der Nationalsozialismus bedeutete die radikale Zerstörung der geistigen, gesellschaftlichen und sozialen Errungenschaften. Die Vertreibung und Vernichtung von deren Protagonistinnen ließ 1945 keinen neuen Aufbruch entstehen.
Dr. Konstantin Kaiser, geboren 1947 in Innsbruck; Studium der Philosophie in Wien; seit 1983 freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler; Mitbegründer der Theodor Kramer Gesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Essays, Gedichte und Prosa, zuletzt u.a.: In welcher Sprache träumen Sie? Österreichische Lyrik des Exils (Mithg., 2007); Ausgewählte Gedichte (2007); Ohnmacht und Empörung (Schriften, 2008), Für und wider in dieser Zeit. Die Editorials der Zeitschrift „Zwischenwelt“ (gem. mit S. Bolbecher, 2014).
Der „Kleine Mann“ und die Arbeiterkultur
Dargestellt werden soll die ständig drohende Dissoziation des Menschenbildes in der Arbeiterkultur zwischen dem idealisierten „Neuen Menschen“, dem die Zukunft gehört, und dem „Kleinen Mann“, dessen Bedürfnisse naturalistisch zu kalkulieren sind. Dies überlagert sich mit dem von der Wandervogel-Bewegung übernommenen Kult der Jugend und ihrer vielfältigen Möglichkeiten, mit der Delegation der Lösung von gegenwärtig erfahrenen Widersprüchen an künftige Generationen. Arbeiterbildung erscheint als das Medium, in dem die Kluft zwischen dem kleinen Mann und dem Ideal des klassenbewußten Arbeiters gekittet werden kann. Zu zeigen ist, wie der Nationalsozialismus, der scheinbar Elemente der Arbeiterkultur übernimmt, diese Kluft für seine Zwecke ausnützt und den kleinen Mann gegen die Linke mobilisiert, um ihm seinerseits den heroisch-nüchternen Realisten arischer Rasse überzustülpen – ein Vorgang, der ohne die gewaltsame Zerschlagung der originären Einrichtungen der Arbeiterkultur und ohne die Ausschaltung ihrer Protagonisten nicht möglich gewesen wäre.
Dr. Heinz Kienzl, Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank a.D., geboren 1922, Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung des ÖGB 1950-1969, Vorsitzender der zentralen Kontrollkommission des ÖGB 1970-1990, Mitglied des Wirtschaftsbeirats der Paritätischen Kommission 1963-1969, Mitglied des Generalrats der Oesterreichischen Nationalbank 1963-1969, Generaldirektor-Stv. der Oesterreichischen Nationalbank 1969-1972, Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank 1973-1989, Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank 1990-1991. Nebenberufliche Tätigkeiten: Obmann der SWS seit 1960, Geschäftsführender Obmann der PLG seit 1995, Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik 1991-2004, Mitglied des Vorstands und Vorsitzender des Beirats der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik seit 2004, Liga der Freunde des Judentums 1985-1989, Lehrbeauftragter – Lektor an der Wirtschaftsuniversität (WU) 1970-1990 bei Prof. Schöpf, Senator der WU.
Univ.-Prof. Dr. Primus-Heinz Kucher lehrt neuere Deutsche Literatur an der Universität Klagenfurt mit Akzenten u.a. auf Emigration-Exil-Immigration, Widerstand, Beziehungen zwischen Literatur/Kunst/Medien, Literaturbeziehungen in Zentraleuropa. TKG-Mitglied seit 1984. 2008 Visiting Prof. an der UIC/Chicago, 2013 Fulbright Visiting Prof. an der UVM/Burlington sowie mehrere Gastdozenturen. 2008-12 Leiter des FWFProjekts Literatur und Kultur der 1920er Jahre in Österreich. Neuere Buchpublikationen: First Letters/Erste Briefe aus dem Exil 1945-50 (2011), „akustisches Drama“ Radioästhetik, Kultur und Radiopolitik in Österreich 1924-34 (2013), 1928. Ein Jahr wird besichtigt (2014).
Fritz Rosenfeld/Friedrich Feld (1902, Wien-1987, Bexhillon-Sea, GB) – Ein Fallbeispiel von Literatur- und Filmkritik, Kulturarbeit und schriftstellerischer Praxis im Roten Wien.
Will man eine sozialistisch-proletarische Literatur-, Film- und Medienkultur des Roten Wien und somit einen nicht unwesentlichen Bestandteil einer exemplarischen ‚Arbeiterkultur‘- Bewegung in Erinnerung rufen und auf Projekte wie Leistungen hin befragen und würdigen, so ist an Fritz Rosenfeld nicht vorbei zu kommen. Seit 1922 zeichnete er für die Mehrzahl der literaturkritischen Beiträge in der Zs. Bildungsarbeit, dem Organ der Sozialistischen Bildungszentrale/Kunststelle, verantwortlich, trat bald auch in der AZ als Referent für Literatur und Theater sowie, ab 1923 maßgeblich für den Film als Kunst wie als kulturell-politisches Medium, in Erscheinung, alsbald auch in den Zs. Kunst und Volk sowie Kampf. Er nahm somit an exponiert-prominenten Stellen an zahlreichen Debatten teil und eröffnete seinem Lesepublikum in konsequenter Fortführung der austromarxistischen Lesekultur-Politik maßgebliche internationale Tendenzen (amerikanische Moderne, russische und skandinavische Literatur). Seit 1925 auch schriftstellerisch tätig, zuerst durch revolutionäres Sprechchor-Theater (analog zu Ernst Fischer), dann mit kritischer Kinderliteratur und einem medienkritischen Roman versuchte Fritz Rosenfeld seine theoretischen Vorstellungen auch ästhetisch-politisch zu realisieren, dies u.a. auch im Austausch mit ebenfalls (links)sozialistischen Intellektuellen und Kritikern wie Béla Balázs, Ernst Fischer oder Leo Lania, bis er 1934 über Prag den Gang ins englische Exil anzutreten sich gezwungen sah.
Mag.a Sabine Lichtenberger, geboren 1965 in Eisenstadt. Studium der Geschichte und Volkskunde an der Universität Wien. Diplomarbeit über Geschichte und Kultur des burgenländischen Judentums unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1921-1938. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte und AK/BAK-Archiv in der AK Wien. Interessenspolitische Bildungsarbeit, Projektbetreuung und AutorInnentätigkeit. Forschung mit speziellem Schwerpunkt Nationalsozialismus, Widerstand und Verfolgung, insbes. Gewerkschafts- und AK-Geschichte. 2002 Förderpreis der Stadt Wien auf dem Gebiet der Volksbildung.
Der Kampf um die Herzen und Hirne der Menschen: Josef Luitpold Stern (Arbeiterhochschule), Richard Wagner (Gewerkschaftsschule) und Franz Rauscher (Parteischule) vor und nach der Machtübernahme durch Faschismus und Nationalsozialismus.
Die FunktionärInnenschulung hatte in der Bildungsarbeit der Sozialdemokratischen Partei besonderen Stellenwert. Mitte der 1920er Jahre wurde die Arbeiterhochschule unter Josef Luitpold Stern gegründet. Etwa zeitgleich nahm die Gewerkschaftsschule unter Richard Wagner ihre Tätigkeit auf. Franz Rauscher, Absolvent des 1. Jahrganges der Arbeiterhochschule leitete die Parteischule. Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre gerieten diese Einrichtungen zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten und mussten ihre Tätigkeit wieder einstellen. Die Veränderungen des Faschismus und des Nationalsozialismus brachten für die „Bildungsfunktionäre“ weitere einschneidende Veränderungen: Flucht und Verlust der „Heimat“ für Josef Luitpold Stern (1934) und Richard Wagner (1938), Anklage im Sozialistenprozess (1936), Internierung im Anhaltelager Wöllersdorf (1936/37) und in NS-Konzentrationslagern für Franz Rauscher (ab 1939). Stern kehrte 1948 aus den USA nach Österreich zurück und übernahm die Leitung des Bildungsheimes der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter auf Schloss Weinberg in Kefernmarkt/OÖ (bis 1953). Rauscher war 1945 Unterstaatssekretär im Staatsamt für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 1946/47 Staatssekretär im Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, später Direktor des Österreichischen Gesellschaftsund Wirtschaftsmuseums. Wagner fand auf der Insel Arbe bei einer Rettungsaktion für Alte, Kinder und Flüchtlinge (vermutlich 1941) den Tod. Anhand dieser drei Biographien soll nicht nur der Frage nach Brüchen und Umbrüchen in der FunktionärInnenschulung vor und nach 1934 nachgegangen werden, sondern auch der Frage nach Kontinuitäten nach 1945.
Dr. Klaus-Dieter Mulley ist Leiter des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der Arbeiterkammer Wien und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur österreichischen Geschichte.
Die Bildungs- und Kulturarbeit der Arbeiterkammern 1920 bis 1933 und deren ideologisch-politische Umorientierung durch den Austrofaschismus
Mit der Konstituierung der Arbeiterkammern 1921 konnte die bis dahin überwiegend auf Vorträge beschränkte (frei-) gewerkschaftliche Bildungsarbeit und Funktionärsschulung auf eine neue, institutionell abgesicherte Basis gestellt werden.
Ausgehend von der Gründung der Bibliothek der Wiener Arbeiterkammer (Eröffnung 1922) wurde bereits im Herbst 1921 eine „Instruktorenschule“ für BetriebsrätInnen errichtet, die in den folgenden Jahren ausgebaut wurde. Beschränkte sich die Bildungsarbeit der Arbeiterkammer auf die Themenbereiche Gewerkschaftswesen, Sozialpolitik, Volkswirtschaft und Arbeitsrecht, so wurde in Bildungs- und Stiftungskursen in Volksheimen auch Sozialhygiene, Naturwissenschaft und Verfassungskunde vorgetragen. Des Weiteren wurde dem Berufsfortbildungswesen und Nach- und Umschulungskursen für Arbeitslose besonderes Augenmerk geschenkt. Nach der Ausschaltung der Selbstverwaltung der AK durch das Regime Dollfuss und deren Eingliederung in den austrofaschistischen Gewerkschaftsbund diente die von der AK weiterhin überwiegend finanzierte gewerkschaftliche Bildungsarbeit „christlichvaterländischen“ Zielen, mithin der Propagierung der „berufsständischen Neuordnung“.
Mag. Yves Müller, geboren 1982, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Gender Studies in Berlin. Tätigkeiten im Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick (ZfD) in Berlin und als freiberuflicher Historiker, u.a. Forschungsprojekt zur „Köpenicker Blutwoche“. Arbeitsschwerpunkte sind Rechtsextremismus sowie Männlichkeiten im Nationalsozialismus.
Die Zerstörung lokaler Arbeiterkultur durch den frühen NS-Terror am Beispiel der „Köpenicker Blutwoche“
Nach der Machtergreifung wurde im Juni 1933 die von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Kommunisten bewohnte Siedlung Elsengrund im Berliner Bezirk Köpenick von SA umstellt. Hunderte Menschen wurden verschleppt. Min. 23 Menschen wurden ermordet und in die nahegelegene Dahme geworfen oder starben an den Folgen der Misshandlungen. Am Beispiel der „Köpenicker Blutwoche“ kann die Tragweite der Zerstörung der organisierten Arbeiterbewegung beleuchtet werden. Biographische Betrachtungen zeigen, wie die Nationalsozialisten nicht nur Familien auseinanderrissen, sondern Bewohner einer modernen Arbeitersiedlung und Träger einer Arbeiterkultur verfolgten. Das Beispiel veranschaulicht, welche Bedeutung die Lokalisierung der „Novemberverbrecher“ und „Bonzen“ für die Nationalsozialisten hatte. Die nationalsozialistische Vehemenz bei der Zerstörung von Wohnhäusern, Lokalen, Laubenkolonien und Zeltstädten resultiert aus der Annahme der Nationalsozialisten, „Nester“ des Arbeiterwiderstands unschädlich zu machen.
Andrea Neugebauer, M.A., Studium der Germanistik, Politikwissenschaften und Soziologie (Frankfurt/M.), langjährige Stadtarchivarin. Promotion (Soziologie) zum Zusammenhang von Arbeitserfahrungen und NS-Erinnerungen. Dozentin EFH Darmstadt und FH Frankfurt. Arbeitsfelder: Rekonstruktive Sozialforschung, Biografie-, Erfahrungs- und Praxistheorie. Schwerpunkte: Nationalsozialismus, Selbstkonstitution und Arbeit, Anti-Diskriminierungstraining.
Meine Tätikeit als Flugblattverteiler – Ach, das war eine herrliche Zeit!
Am Beispiel eines jungen Arbeiters, dessen Politisierungsprozess in der Begegnung mit verschiedenen Teilen der deutschen Arbeiterbewegung kurz vor 1933 begann, wird für die Phase des Nationalsozialismus die Existenz einer Parteien und Bekenntnisse übergreifenden Kultur des Sich-Nicht-Vereinnahmen-Lassens rekonstruiert. Außerhalb der illegalen Organisation der Arbeiterbewegung entstanden informeller Wissensaustausch, Sensibilität gegen die Judenverfolgung, radikale und zugleich ‚eigen-sinnige‘ Ablehnung von Krieg. Es konsolidierte sich eine konsequent antifaschistische Haltung, die auch das „Private“ gestaltete. Vorstellungen eines emanzipativen und solidarischen gesellschaftlichen Miteinanders, die in den Handlungspraxen von Verfolgung und Gefangenschaft entstanden, prallten nach dem Ende des Nationalsozialismus an eingefrorenen Vorstellungen und Re-Institutionalisierungen der alten Mitglieder der Arbeiterbewegung ab, kurzzeitigen kollektiven Handlungsspielräumen folgte die Individualisierung.
Dr. Marcus G. Patka, Priv. Doz. Dr. Mag. phil., seit 1998 Kurator im Jüdischen Museum Wien, zahlreiche Publikationen und Ausstellungen zu Literatur und Zeitgeschichte im In- und Ausland, zuletzt Hg. von „Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg“
Johann Ferch. Vom Arbeiterschriftsteller zum NS-Mitläufer
Der Schriftsteller Johann Ferch (1879-1951) war von 1918 bis 1934 ein vor allem von einem weiblichen Publikum vielgelesener Arbeiterschriftsteller und überdies der bedeutendste Vertreter und Agitator des Neomalthusianismus (Bewegung für Geburtenbeschränkung) in Österreich. Pro Jahr verfasste er zahlreiche Broschüren und Romane, bei denen das Schicksal von Frauen im Vordergrund steht. Aufgrund ihres tendenziösen Charakters gleiten seine Romane jedoch mitunter stark ins Triviale ab. Als Mitglied der Soldemokratischen Partei und der Freidenker stand er mit deren Spitzenfunktionären zumeist auf Kriegsfuß. Aufgrund seines radikalen Antiklerikalismus bei gleichzeitigem hohen Bekanntheitsgrad wurde Ferch im „Ständestaat“ geächtet und aus dem öffentlichen Leben verbannt. Daraufhin biederte er sich dem Nationalsozialismus an und begrüßte enthusiastisch den „Anschluss“ 1938, dennoch konnte er aber erst nach massiven Widerständen Mitglied der Reichsschriftumskammer werden.
Mag.a Dr.in Ester Saletta, Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Bergamo (Italien), Doktorandin bei Univ. Prof. Wendelin Schmidt-Dengler an der Universität Wien, Lektorin für Italienisch am Sprachenzentrum der Universität Wien und Stipendiatin verschiedener europäischer und amerikanischer Institutionen. Derzeit Mitarbeiterin der Rechtwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bergamo für den Bereich „Equal Opportunities: Gender-Studies in Law & Literature“, DAF-Lehrerin und Deutschsprachexpertin. Zahlreiche Buch und Essay-Publikationen über Gender und Post-Gender Studies, Wiener Moderne, Exilliteratur und österreichische Frauenliteratur der Gegenwart im Rahmen der Komparatistik.
Die Journalistin Adelheid Popp als engagierte Wiener Sozialdemokratin gegen die Nazi Ideologie
Laut Joseph Seethalers und Christian Oggolders statistischem Studium „Frauen in der Wiener Tagespresse der Ersten Republik“ war der Zeitraum 1918 bis 1938 die privilegierte Zeitspanne für jene berufstätigen Frauen, die im Bereich des Journalismus ihr politisches Engagement in der Gesellschaft zeigen wollten. Aber nach dem Machtantritt der NSDAP wurden mehrere Gesetze verabschiedet, die Frauen aus den gehobenen Berufen verdrängten und Tätigkeiten als Hausfrau und Mutter vorsahen. Emanzipatorische Bestrebungen waren in den Augen der Nationalsozialisten eine Erfindung jüdischen oder wahlweise auch marxistischen Geistes, denen entschlossen entgegengetreten werden sollte. Die Gleichschaltung richtete sich deshalb auch gegen die Vereinigungen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung. In so einem für die Frauenfrage innovativen Kontext spielt die Wiener emanzipierte Arbeiterin bzw. Journalistin und Sozialaktivistin Adelheid Popp (geborene Dworak) eine entscheidende Rolle, als sie die Frauenrechte verteidigt und einige Portraits von engagierten Frauen wie u. a. Lily Braun in der Arbeiter-Zeitung skizziert.
Dr.in Christine Schmidhofer, geboren 1964 in Linz, Studium der Philosophie, Germanistik und Soziologie in Wien und Linz. Promotion mit einer Dissertation über die Linzer Künstlerin Hedda Wagner. Mehrere Projekte für die Österreichische Historikerkommission, die Universität Linz und das Land Oberösterreich. Zahlreiche Publikationen im wissenschaftlichen (Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung) und literarischen Bereich. Arbeitet als freie Schriftstellerin und Wissenschaftlerin in Linz.
Innere Emigration als Reaktion auf die Zerstörung der Arbeiterkultur am Beispiel der Linzer Sozialdemokratin und Künstlerin Hedda Wagner (1876-1950)
Das Ende des Ersten Weltkrieges wurde von weiten Teilen der Österreichischen Bevölkerung als Phase des Aufschwungs und Möglichkeit der Veränderung wahrgenommen. Künstlerische Experimente, ausgelöst durch die dahinter stehende Einsicht, dass Kunst und Kultur nicht nur für die Eliten, sondern für alle Menschen unabhängig vom Einkommen zugänglich wären, fanden zunehmend Eingang in die Gesellschaft. In Linz etablierte sich vor allem die sozialistische Kunsstelle als Veranstalterin von Theaterstücken, Singspielen, Lesungen und Performances. Mit der Wirtschaftskrise 1929 und der Etablierung des Ständestaats Anfang der 30er Jahre wurde das Ende der allgemeinen Aufbruchsstimmung eingeleitet, die letztendlich im dritten Reich völlig zum Erliegen kam. Zahlreiche Kunstschaffende wurden mittels Aufführungs- und Schreibverbot an der Fortführung ihrer künstlerischen Tätigkeit gehindert. Dazu zählten auch Künstlerinnen und Künstler aus dem sozialistischen Umfeld. Sie waren dazu gezwungen, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren oder den Weg der inneren Emigration zu gehen. Die Linzer Künstlerin und Sozialdemokratin Hedda Wagner zählte zu jenen, die nicht mehr publiziert werden durften. Hedda Wagner konnte und wollte sich nicht mit einem Regime arrangieren, dessen Maxime sie zutiefst verabscheute, daher wählte sie den Weg der inneren Emigration. Einen Weg, der mit drastischen materiellen Einschränkungen verbunden war und letztendlich in Krankheit und Tod mündete.
Daniela Schmohl, M.A., Magisterstudium Geschichte, Psychologie und Journalistik an den Universitäten Leipzig und Wrocław, Referentin der Jugend- und Erwachsenenbildung, Schwerpunkt Arbeit gegen Neonazismus und Rassismus, Mitarbeiterin der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, Dissertation „Sozialistisches Milieu in Breslau. Kontinuität und Veränderungen in der Weimarer Republik und der NS-Zeit“ (gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung).
Das Breslauer Gewerkschaftshaus
Breslau (heute Wrocław/Polen) war Anfang des 20. Jahrhunderts das Zentrum der niederschlesischen Arbeiterbewegung. Das sozialistische Milieu der Stadt während der Weimarer Republik war geprägt von einer starken linken Sozialdemokratie. Dank der „außergewöhnlich günstige[n] intellektuelle[n] Infrastruktur“ galt Breslau bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Musterstadt des Arbeiterbildungswesens. Ein Zentrum dieses Wirkens war das Gewerkschaftshaus in der Breslauer Margaretenstraße. Am 2. März 1933 stürmten SA und Polizei das Haus, verwüsteten die Inneneinrichtung und erschossen zwei Menschen. Vorangegangen waren Monate, in denen das Gewerkschaftshaus nicht mehr nur der Versammlungsort der Breslauer Arbeiter_innen war, sondern ständig Angriffen von SA und NSDAP ausgesetzt war.
Nach der Verwüstung wurde das Gewerkschaftshaus das „Haus der Arbeit“ der Deutschen Arbeitsfront Gau Schlesien. Zahlreiche Gewerkschafter_innen und Angehörige der Arbeiterbewegung wurden in das frühe KZ in Breslau-Dürrgoy verschleppt.
Im Beitrag wird das Gewerkschaftshaus als Zentrum verschiedenster politischer wie kultureller Aktivitäten dargestellt und gezeigt welchen Angriffen dieses Haus durch die Nationalsozialisten ausgesetzt war. Neben dem kulturellen und intellektuellen Verlust für die schlesische Arbeiterbewegung werden auch die aktiven Angehörigen der Arbeiterbewegung im Kampf gegen die Nationalsozialisten in Breslau gewürdigt.
Mag.a Lisa Sinowatz, Grundlagenreferentin der Abteilung für Lehrlings- und Jugendschutz in der AK Wien. Studierte Politikwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Wien.
Dr.in Irene Suchy, Ö1-Musikredakteurin, Musikwissenschafterin, Literatin, Ausstellungsmacherin, Dramaturgin. Selbständige wissenschaftliche Publikationen zu Paul Wittgenstein, Friedrich Gulda, Otto M. Zykan, Jugendmusikfest Deutschlandsberg und Strasshof an der Nordbahn. Literarische Publikation „Litanei gottloser Gebete“. Bank Austria Kunstpreis 2011, Karl Renner Preis 2013.
Soweit politisch tragbar – Hoch-Zeit und Aus-Gang der ArbeiterInnen-Gesangskultur bis 1933/ 1934
Entstehung, Produktionsbedingungen und Zielsetzungen der AbeiterInnenchöre. Eine Untersuchung im Bezug auf Gender-Verhältnisse, Repertoire, politische Haltung, ProtagonistInnen und eine Betrachtung der spärlichen Ausläufer wie das Burg Waldeck Festival.
Dr. Harald Troch, Abgeordneter zum Nationalrat, SPÖ Wien-Simmering – Bezirksparteivorsitzender, Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Förderverein der Volkshochschule Simmering uvm.
Dr. Fritz/Derek Weber, Historiker und Dramaturg. Veröffentlichungen zur Sozial- und Wirtschafts-, Zeit- und Kulturgeschichte und zur Geschichte der Arbeiterbewegung, u. a. zusammen mit Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller u. Berthold Unfried, Ökonomie der Arisierung, Wien-München 2004; Walter Baier, Lisbeth N. Tralori, Derek Weber (Hg.), Otto Bauer und der Austromarxismus, Berlin 2008; Der Kalte Krieg in der SPÖ, Wien-Berlin 2011.
Symphonie Prolétaire. Die Arbeitersymphonie zwischen Tradition und Aufbruch.
Arbeiterbewegung bedeutete immer auch Kulturbewegung. In Österreich wird diese Verbindung nicht nur in der persönlichen Freundschaft Viktor Adlers mit Gustav Mahler deutlich. Auch die 1905 von David Josef Bach ins Leben gerufenen Arbeiter-Symphonie-Konzerte (ASK) legen davon Zeugnis ab. Schon vor 1914 wurden diese von rund 10.000 Menschen pro Jahr besucht.
Nach der Republik-Gründung wurde die Verbindung noch enger – und auch „politischer“. Nach Viktor Adlers Tod fand am 11. Jänner 1919 ein seinem Andenken gewidmetes Konzert im Rahmen der ASK statt. Auf eine neue Grundlage gestellt wurden die Konzerte im Jahr 1919 durch die Gründung der Sozialdemokratischen Kunststelle. Die Gründung war ein Symptom gesellschaftliche Änderungen: Im Zeichen des „Roten Wien“ herrschte eine allgemeine kulturelle und politische Aufbruchstimmung, die unbeeinflußt von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten ein reiches Kulturleben entfaltete. Wie sehr sich die Situation gesellschafts- und kulturpolitisch geändert hatte, zeigt auch die Programmatik der Konzerte: Vor 1914 wurde dem Publikum – über dessen tatsächliche Zusammensetzung wenig bekannt ist – das „klassische“ Repertoire vermittelt; nach 1918 eine enge Verbindung mit der zeitgenössischen Musik heraus. (Arnold Schönberg zeigte schon 1919/1920 Interesse für eine solche Option.)
Eine wichtige Rolle bei der Herstellung der Verbindungen spielte der AZ-Kulturredakteur und Komponist Paul A. Pisk, der auch Sekretär des von Arnold Schönberg gegründeten „Vereins für musikalische Privataufführungen“ war. Neben Erich Wolfgang Korngold und Alexander Zemlinsky trat ab 1922 auch Anton Webern als Dirigent, später (ab 1926) auch als allgemeiner Richtungsgeber der Konzerte auf. 1926 wurde die 200. Aufführung eines ASK mit Gustav Mahlers 8. Symphonie gefeiert. Gleichzeitig wurde die Konzerttätigkeit sozusagen „politisiert“: 1928 fand im Rahmen der „Repubikfeiern“ ein Konzert statt, in dessen Rahmen neben einer Aufführung von Gustav Mahlers 2. Symphonie auch die Uraufführung von Arnold Schönbergs Chorwerk „Friede auf Erden“ auf dem Programm stand. Das letzte ASK fand am 11. Februar 1934, einen Tag vor Ausbruch der Februarkämpfe statt. Mit dem 12. Februar 1934 ging nicht nur eine Konzert-Serie zu Ende; sondern eine ganze Epoche des Wiener Musiklebens.
Es gibt noch viel zu erforschen, vor allem, was die finanzielle Seite der ASK betrifft. (Schwierige wirtschaftliche Situation: Hyperinflation, Währungsstabilisierung, Weltwirtschaftskrise.) Offene Frage: Erfolgte ein Teil der Finanzierung über Splitter aus den Steuereinnahmen der Gemeinde Wien? Andere ungeklärte Fragen: 1931 oder 1932 fand im Konzerthaus ein Konzert mit Alexander Mossolows „Zavod“ („Eisengießerei“) statt, auf das der Komponist in einem Brief an Stalin vom März 1932 Bezug nahm. Mossolow zufolge hätten sich die anwesenden 2000 „Arbeiter“ spontan erhoben und eine Wiederholung verlangt. Ob dieses Konzert im Rahmen der ASK stattfand, ist unklar, aber anzunehmen. Ende der 1920er-Jahre fand im Rahmen der ASK in Linz ein Massenspektakel nach sowjetischem Muster statt: mit Fabrik- und Schiffs-Sirenen, Einbeziehung des Publikums, revolutionärem Appell: „Internationale“ von Sirenen gespielt. Regisseur war Eduard Macku. Warum in Linz? Wie wurde die sowjetische Kulturentwicklung rezipiert?
Dr. Christian Zech, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin. Studierte Politikwissenschaften und Geschichte in Mannheim und Hamburg; im Rahmen seiner Masterarbeit beschäftigte er sich intensiv mit der Exilpresse in den Vereinigten Staaten. Inzwischen promoviert er am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin über Siegfried Aufhäuser im US-amerikanischen Exil.
Dr. Andreas Marquet, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn. Studium Wirtschafts- und Sozialgeschichte/Neuere Geschichte und Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim.
Promotion 2014 in Mannheim. 2012 bis 2014 Archivar des P. Walter Jacob Archivs der Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur an der Universität Hamburg. Seit 2014 Referent im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn.
Nach Zerschlagung und Vertreibung: Die Politisierung der Arbeiterwohlfahrt im Exil
Unmittelbar mit der ersten Emigrationswelle 1933 war der Bedarf nach Anlaufstellen im Bereich des Fürsorge- und Wohlfahrtswesens innerhalb der Aufnahmeländer evident geworden. Erfahrungen, Strukturen und personelle Netzwerke schienen in dieser Situation für eine Reorganisation bzw. Neugründung der Arbeiterwohlfahrt im Exil zu sprechen. Welche Strukturen sich nach deren schrittweiser Auflösung tatsächlich etablieren konnten, welche Aufgabenbereiche die Nachfolgeorganisation(en) der AW für sich definierte(n) und warum diese(n) innerhalb der von zahlreichen Akteuren geprägten Szenerie des Fürsorgewesens zunächst nur eine untergeordnete Rolle zufiel, soll anhand des Pariser Vorkriegsexils und des New Yorker Exils während des Zweiten Weltkriegs analysiert werden. Zentrale These ist, dass trotz der Unterschiede des französischen und des amerikanischen Exils die Politisierung der sozialdemokratischen Kulturorganisation AW kennzeichnend für diese Entwicklung war.
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Zimmermann, geboren 1946 in Düsseldorf, Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft. Lehrtätigkeit in Tübingen, Siegen, St. Louis, Mo., Michigan Techn. Univ., Gastprofesssuren in der Ukraine, Bosnien (Sarajevo) und Ägypten Buchveröffentlichungen (u.a.): Literaturrezeption im historischen Prozess. München 1977; Television im Wandel der Zeiten. Frankfurt a. M. 1997; Navigationen. Studien zur Literatur- und Mediengeschichte im 20. und 21. Jahrhundert. Hamburg 2013. Veröffentlichungen zum Thema „Arbeiterliteratur“: „Auf der Suche nach einer literarischen Identität: das Proletariat als Thema der Literatur, die Literatur als Thema des Proletariats“ in: Propyläen-Geschichte-der-Literatur, Bd. V., Berlin 1984; „Arbeiterliteratur“ in: Deutsche Literatur zwischen 1945 und 1995. Hrsg. v. H. A. Glaser, Berlin, Stuttgart, Wien 1997; „Friede den Hütten“ in: Zimmermann, Navigationen. Hamburg 2013.
Drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern. Zerstörungen von proletarischem Klassenbewußtsein und Arbeiterkultur im 20.Jahrhundert.
Teil I skizziert in welchen Formen sich Arbeiterkultur seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert artikulierte (z.B. Liedgut, Autobiografien, Vereinskultur, Pressewesen) und fragt, aus welchen Leitutopien sie sich speist und wodurch sie sich von der bürgerlichen Kultur unterscheidet. Dabei treten auch Probleme ihrer Orientierungssuche unter den Bedingungen ihrer Ausgrenzung als „vaterlandslose Gesellen“ ins Blickfeld.
Teil II beschreibt die identitätsstiftenden Wertmuster von Arbeiterkultur. Dazu zähle ich Klassenbewußtsein, Solidarität, Fortschrittsoptimismus (Glaube an die Veränderung der Gesellschaft durch solidarisches Handeln), Bildung als Instrument von Befreiung aus Unmündigkeit (hier tritt auch der Konflikt zwischen individuellem Aufstieg aus der Arbeiterklasse und dem der Zielvorstellung einer kollektiven Befreiung der Arbeiterklasse in einzelnen Biografien ins Blickfeld). Als unverzichtbares Element von Arbeiterkultur wird darüber hinaus ihre Organisations-Orientierung angesehen. Als Methoden der Zerstörung dieser identitätsprägenden Wertmuster durch den Faschismus werden folgende Phänomene dargestellt:
1. Volksgemeinschafts-Ideologie
2. Führer- und Gefolgschaftsprinzip
3. Rassenideologie statt Klassenkampf
4. Politische Verfolgung, physische Vernichtung
5. Umfunktionierung und Manipulation von Sprache zum Zwecke faschistischer Gehirnwäsche (z.B. Volksgenosse statt Genosse)
Teil III skizziert Versuche der Wiederbelebung von Arbeiterkultur unter den Bedingungen des Kalten Krieges sowie der sich anschließenden Ost-West-Konfrontation, z.B. „Kumpel greif zur Feder“ – Bitterfelder Weg in der DDR oder in Westdeutschland die Gründung der Gruppe 61 sowie in den 1970er Jahren die Konstituierung der „Werkkreise zur Literatur der Arbeitswelt“.
Alexander Znamenskiy. Der 1979 in Moskau geborene Musiker studierte Viola und Kammermusik an der Zentralmusikschule des Moskauer Konservatoriums. Danach studierte er von 1997-2005 Konzertfach Viola an der Universität „Mozarteum“ bei Prof. Thomas Riebl und Prof. Veronika Hagen in Salzburg mit dem Spezialfach Kammermusik beim Altenberg-Trio in Wien. Seit 2003 ist er in Wien tätig, gründete das „Razumovsky Quartett“ und ist Vizepräsident der „Razumovsky Gesellschaft für Kunst und Kultur“. Er singt und dirigiert in der russisch-orthodoxen Kirche zum hl. Nikolaus in Wien und ist außerdem Sänger des Schönberg-Chores. 2012 begann er das ordentliche Studium an der Musikuniversität Wien im Fach Dirigieren bei Prof. Uroš Lajovič und Prof. Simeon Pikonkoff. 2013 gründete er die „Wiener Polyphoniker“- das europäische Integrationsorchester.
„Die Wiener Polyphoniker“ ist das erste europäische Jugend-Integrationsorchester, das durch Musik auf höchstem Niveau Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zusammenführt, um durch ihre künstlerischen Leistungen der Integrationsthematik in der Öffentlichkeit ein positives Bild zu verleihen.