Alexander Emanuely
Der Neinsager
Einige Notizen zu Erich Schmid
Lefeu oder Der Abbruch hat eine lange Vorgeschichte. [...] Modell gestanden hat für den Roman Jean Amérys Malerfreund Erich Schmid.
Irene Heidelberger-Leonard1)
Erich Schmid hat die letzten 28 Jahre seines Lebens in einer chambre de bonne in 5, Rue Rollin im Quartier Latin gelebt und gearbeitet. In der Gasse, Jean Améry zufolge eher Gosse, hatten schon René Descartes, Blaise Pascal und der rumänische surrealistische Dichter und Philosoph Benjamin Fondane, 1944 in Auschwitz ermordet, gewohnt. Als Erich Schmid 1947 seine kleine Dachwohnung bezog, hatte das jüdische Kinderhilfswerk Oeuvre de secours aux enfants (OSE) im Haus gerade ein Heim für männliche Jugendliche, die Buchenwald überlebt hatten, eingerichtet. Die ca. 30 jungen Männer kamen fast alle aus Polen und sprachen untereinander nur jiddisch.2) Da Erich Schmid selbst mittellos war, arbeitete er anfangs für Kost und Logis als Hausmeister im Heim der Überlebenden. Daneben malte er und lernte bald die Malerin Eva Friedmann kennen und heiratete sie 1946. Sie war, so wie die Nachbarn, ebenfalls eine KZ Überlebende. Eva Friedmann wird „ein paar Jahre darauf [...] auf tragische Weise an einem Gehirntumor [sterben] – und nun war E.S. wieder allein mit seinen Visionen, seinen Gauloises, seinem tröstenden Schnaps und seinen Gedanken.“3)
Erich Schmid selbst war nur knapp der Deportation entkommen. Er war von 1940 bis 1943 interniert und zwar in den französischen Lagern St. Cyprien, Gurs und Rivesaltes. Aus Rivesaltes konnte er entkommen und in Chambon-sur-Lignon untertauchen. Etwa 5.000 Menschen wurden im Laufe der Zeit in dieser Gemeinde in der Auvergne, die normalerweise 3.000 BewohnerInnen, mehrheitlich HugenottInnen, zählt, versteckt. Neben Nieuwlande in den Niederlanden ist einzig Chambon-sur-Lignon als Ortschaft als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet worden, und zwar im Jahr 1990. Neben dem Pastor André Trocmé und fast der gesamten Bevölkerung sind auch das Schweizer Rote Kreuz, die Quäker und die OSE Teil des Rettungsnetzwerkes gewesen.4) Albert Camus hat übrigens von 1942 bis 1943 in den Bergen um Chambon-sur-Lignon seine Tuberkulose kuriert und „Das Missverständnis“ und „Die Pest“ geschrieben. Die Gegend war ein Zentrum der Résistance, der sich Erich Schmid 1944 anschloß. Wie so viele in den Forces françaises de l’intérieur (FFI) kämpfende Flüchtlinge aus Österreich, Deutschland oder Spanien, wurde Erich Schmid bald der Fremdenlegion überstellt.5)Nach Ende des Krieges wurde er demobilisiert.
Erich Schmid war Wiener und am 14. Oktober 1908 geboren. Sein Vater Hermann Schmid war ein erfolgreicher Geschäftsmann, dessen Geschäft in der Innenstadt jedoch in der Weltwirtschaftskrise bankrott ging.Der junge Erich studierte 1925 bis 1930 Psychologie, bevor er 1930 bis 1934 Kurse in Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste und der Wiener Kunstgewerbeschule, bei Eugen Steinhof, Albert Paris Gütersloh und Wilhelm Müller-Hofmann, und an der Reimann-Schule in Berlin absolvierte.6) Erich Schmid schloß in Wien Bekanntschaft mit den ihn ermutigenden Künstlern Oskar Kokoschka und Alfred Kubin und fand einen Freund fürs Leben: Jean Améry, damals Hans Mayer.
1938 konnte Erich Schmid nach Antwerpen fliehen, wo er an der Académie royale des beaux-arts weitere Kurse besuchte. In Brüssel traf er häufig Hans Mayer und dessen Frau Maria. 1940 wurden Erich Schmid und Hans Mayer gemeinsam als „feindliche Ausländer“ nach Frankreich überstellt und interniert. Erich Schmids Eltern und sein kleiner Bruder haben die Verfolgung durch die Nazis nicht überlebt; nur die ältere Schwester Gerta konnte sich nach Großbritannien retten.
In Paris stellte Erich Schmid zum ersten Mal im April 1948 aus, im Salon des réalités nouvelles, Mitaussteller waren Pierre Soulages, Victor Vasarely, Maria Manton. 1951 wurde der Maler in die Freimaurer-Loge „Goethe“ aufgenommen. Langjähriger Vorsitzender dieser deutschsprachigen Loge der „Großloge von Frankreich“ war der 1942 deportierte und ermordete legendäre belgische Schriftsteller und Friedensaktivist Edouard Ignace Engel, alias Edouard E. Plantagenet. Dieser hatte zu Kurt Tucholskys engen Pariser Freunden gezählt. Viele Mitglieder der Goethe sind, weil sie in der Résistance oder Juden oder gar beides waren, deportiert worden. Und in der 1947 wieder eröffneten Loge wurden nun auch andere Exilierte neben Schmid Mitglieder.
Der ersten Ausstellung in Paris folgten viele weitere, oft in kleinen Galerien, oft bei Gruppenausstellungen. Wichtige Einzelausstellungen waren jene in der Galerie St. Georges in Lyon 1960 und in der Pariser Galerie Kriegel 1972. Für den Kriegel-Ausstellungskatalog hatte Jean Améry einen kurzen Essay über Erich Schmids Bilder verfaßt.7) Trotzdem blieb Erich Schmid, der im Umfeld der Maler der „Jeune école de Lyon“ wie Alexandre Garbell, André Cottavoz ausstellt, eher ein Geheimtipp. Dem Kunsthistoriker Matthias Boeckl zufolge ist Erich Schmid
[...] ein wichtiger Vertreter jener Richtung der Pariser Nachkriegs-Szene, die – auf der „Verliererseite“ im damals tobenden Richtungsstreit der modernen Malerei zwischen figurativer und abstrakter Gestaltung – in malerisch-psychologisierender Manier Sujets und Stilelemente expressionistischer und surrealistischer Strömungen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg auf eine betont kultivierte Weise […] weiterentwickelte.8)
Zu seinen Sammlern gehörte „der bekannte kanadische Sammler Mendl [sic!]“9), womit Frederick Salomon Mendel, der Vater der Malerin Eva Miller-Mendel, einer Studienkollegin Erich Schmids aus Wiener Tagen, gemeint ist. Der Berliner Mendel hatte in Kanada, in seiner neuen Heimatstadt Saskatoon, ein Museum moderner Kunst: die Mendel Art Galery, gestiftet.10) Erich Schmid traf oft in den Caféhäusern des Quartier Latin, in Saint-Germain-des-Prés oder am Montparnasse seine KollegInnen und FreundInnen. Jean Améry hatte jedoch
den Eindruck, als brauche, ja als wolle E.S. gar keine Gefährten, dass seine sehr ausgesprochene Liebenswürdigkeit, sein fröhlich-zynischer Galgenhumor, seine kameradschaftliche Attitüde im Grunde nur Mittel sind, sich den Mitmenschen, den er nicht verachtet, von dem er aber auch nichts hält, vom Leibe zu halten.11)
1958 lernte Erich Schmid die 1924 in Galveston, Texas, geborene Gail Singer kennen, eine Malerin und Grafikerin, die ein paar Jahre zuvor mit dem John T. Milliken Foreign Travel Scholarship nach Europa gekommen war und u.a. auch bei Stanley William Hayter im „Atelier 17“ in Paris studieren sollte.12) Ihr Stil war stark von jenem der Gruppe CoBRA beeinflußt. Ihr Tod traf Erich Schmid 1983 hart, nach Jean Amérys Selbstmord 1978. Schmid selbst starb am 30. Dezember 1984 in Paris und liegt am Friedhof von Père-Lachaise begraben.
Erich Schmid hat sich dem Kunstmarkt verweigert, ging in stillem Widerstand unbeirrt seinen Weg. Daoch war sein chambre de bonne alles andere als ein Elfenbeinturm.
Neinsagen wird als revolutionärer Akt und Aufstand sowohl gegen die sozial-reaktionäre "brave new world" als auch gegen die Pseudorevolution einer ihr Nein ständig zurücknehmenden und im Ernstfall ihrer Integration ins Gesamtsystem keinen Widerstand entgegensetzenden künstlerischen homines ludentes gedeutet.13)
1) Irene Heidelberger-Leonard: Nachwort. In Jean Améry: Werke, Bd. 1. Die Schiffbrüchigen, Lefeu oder der Abbruch. Stuttgart 2007, 668.
2) Ludwig Schwarz: Une expérience avec de jeunes déportés. In: Enfance. Tome 2 n°5, 1949, 497-505.
3) Jean Améry: Die neuen Mönche. Bildnisse (Un)berühmter Zeitgenossen: Unbekannter Maler E.S. In Claudia Widder, Roland Widder: Erich Schmid Wien 1908 - Paris 1984. Weitra 2002. 36. Zuerst erschienen in der Sonntagsausgabe des St. Galler Tagblatts vom 5.4.1959.
4) Rebecca Love Fishkin: Heroes of the Holocaust. Stevens Point 2011, 52f.; vgl. Léon Poliakov: L'Auberge des musiciens. Mémoires, Paris 1981.
5) Claudia Widder: Biographische Bruchstücke aus dem Leben des Malers Erich Schmid. In: C. Widder u.a., wie Anm. 3 , 14.
6) Ivonn Kappel: „In fremden Spiegeln sehen wir das eigene Bild“: Jean Amérys Lefeu oder Der Abbruch. Würzburg 2009, 152
7) Jean Améry: Life with Schmid’s pictures.. In: C. Widder u.a., wie Anm. 3, 38-39 (Nachdruck).
8) Matthias Boeckl: Erich Schmid – Eine Rekonstruktion. In: C. Widder u.a., wie Anm. 3, 19.
9) Jean Améry: Die neuen Mönche. Bildnisse (Un)berühmter Zeitgenossen: Unbekannter Maler E.S. In: C. Widder u.a., wie Anm. 3, 34.
10) Mendel Art Gallery. History. http://www.mendel.ca/2011/the-mendel-gift
11) Améry, wie Anm. 3, 36.
12) Herald Times Reporter, February 28, 1975, 18.
13) Jean Améry: Lefeu oder Der Abbruch. Konzept zu einem Roman-Essay (1972). In Jean Améry: Werke, Bd. 1. Die Schiffbrüchigen, Lefeu oder der Abbruch. Stuttgart 2007, 656.